n-de

Tuesday, January 22, 2013

Steinbrück vom Kanzler steuern können





Sollte es bei der Bundestagswahl für Rot-Grün reichen, könnte Peer Steinbrück sich auf eine starke Machtbasis stützen: Rot-Grün dominiert nun den Bundesrat, und das dürfte bis Herbst 2014 so bleiben

Gut 900 Kilometer sind es von Flensburg nach Freiburg. Wer von der dänischen Grenze in den Breisgau reist, kann die rot-grüne Republik durchqueren.

Zumindest, wenn in Niedersachsen der designierte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Kabinett aus Sozialdemokraten und Grünen regieren. Dann fährt man von Schleswig-Holstein (wo die dänische Minderheit SSW mit im Boot ist) nach Niedersachsen, macht einen Abstecher nach Bremen und reist weiter durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nach Baden-Württemberg, wo ein grüner Ministerpräsident die Koalition anführt.

In bislang fünf Bundesländern herrschen rot-grüne Koalitionen, mit Niedersachsen dürfte ein weiteres großes Land dazu kommen. Der Machtwechsel in Hannover soll zugleich der Startschuss sein für eine solche Koalition nach der Bundestagswahl im September. Im Bundesrat indes wollen die Berliner Oppositionsparteien schon jetzt ihren Einfluss geltend machen – aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Sigmar Gabriel spielt mit den Muskeln

Mit den Muskeln spielt, wie üblich, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er hat zwar nur vor langer, langer Zeit vier Jahre mit den Grünen regiert, von 1990 bis 1994, als einfacher Abgeordneter. Umso lauter kündigt er schon jetzt an, welche Gesetze eine rot-grüne Bundesregierung ohne Probleme durch einen links dominierten Bundesrat bringen würde: Etwa die doppelte Staatsbürgerschaft, eine Vermögensteuer und die komplette Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften.

Einen gesetzlich fixierten Mindestlohn wollen die Sozialdemokraten schon aus der Opposition heraus von der Länderkammer beschließen lassen; schließlich wissen sie um die Sympathien dafür in der CDU.

Stephan Weil hat bereits angekündigt, das umstrittene Betreuungsgeld zu Fall bringen zu wollen. In der Familien- und Energiepolitik sollen weitere Initiativen folgen. Die SPD geriert sich, als regierte sie bereits im Bund.

36 der 69 Sitze im Bundesrat

Dabei weist Gabriel zu Recht darauf hin, dass ein Gleichklang von Bundestag und Bundesrat eine viel größere Wirkung hätte. Bei SPD und Grünen gehört es zum guten Ton zu erklären, bald werde man gemeinsam die Bundesregierung stellen.

Sollte es dazu kommen, könnte ein Bundeskanzler Peer Steinbrück (SPD) mit einem Vizekanzler Jürgen Trittin (Grüne) in der Tat durchregieren: Mit Rot-Grün in Niedersachsen käme das linke Lager auf 36 der 69 Sitze im Bundesrat; einbezogen sind Hamburg, wo die SPD allein regiert, und Brandenburg mit einer rot-roten Koalition.

Strategischer Vorteil des linken Lagers: Erst im Herbst 2014 findet in einem solcherart regierten Land eine Wahl statt, in Brandenburg. Bis dahin stände die Mehrheit, und womöglich wird zuvor noch in Hessen (Wahl am 22. September) Schwarz-Gelb abgelöst.

Die Mitsprache der Linken in Brandenburg relativiert Sigmar Gabriel mit dem lustigen und doch nicht ganz falschen Hinweis, die märkischen Linken seien "ja eher rechte Sozialdemokraten". Diese "vernünftigen Leute", durch und durch pragmatisch, trügen die Initiativen von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) mit.

Gabriels Freude über die absehbare Konstellation im Bundesrat bezieht sich freilich auch auf die Möglichkeit, die Bundesregierung bereits im Wahljahr regelrecht vorzuführen.

Grüne wollen vorgegebene Linie nicht aufgeben

Die Grünen reagieren auf die SPD-Ankündigungen sehr zurückhaltend. Sie wollen nicht ihre bisherige, vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vorgegebene Linie aufgeben, sich in den Ländern und im Bundesrat durch konstruktive Sachorientierung zu profilieren. Schon deshalb, weil Lagerkriege zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün im Bundesrat den für die Grünen enorm wichtigen Konsens über ein Endlagersuchgesetz gefährden könnten.

Hier brauchen die Grünen das Entgegenkommen der Bundesregierung, wenn jede Vorfestlegung auf Gorleben ausgeschlossen werden soll und die Grünen ihre Suchkriterien für andere Standort durchsetzen wollen. Hinzukommt, dass die Grünen kaum Möglichkeiten sehen, im Bundesrat bis zur Wahl viel auszurichten.

Es gibt nur noch wenige Bundesratssitzungen bis zum Herbst, da bleibt kaum Zeit für große Initiativen. Außerdem gibt es die neue niedersächsische Landesregierung noch gar nicht.

Beck skeptisch bei Verhinderung von Betreuungsgeld

Daher ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, skeptisch, dass Rot-Grün das Betreuungsgeld verhindern könnte. "Das Gesetz ist schon so weit auf dem Weg, dass ich nicht sicher bin, ob wir vorher die neue Mehrheit in Niedersachsen schon im Amt haben, um das zu stoppen", sagte Beck im Deutschlandfunk.

Denkbar sei allenfalls eine Bundesratsinitiative im Frühjahr, die darauf abziele, das Betreuungsgeld zurückzunehmen. Damit, so Beck, müsste sich der Bundestag "natürlich auseinandersetzen". Wobei aber die Grünen wenig Lust haben, ihre Kraft im Bundesrat darauf zu verwenden, alle möglichen Forderungen in den Bundestag zu spielen und dann zu erleben, dass die dort von Schwarz-Gelb zurückgewiesen werden – oder unbearbeitet liegen bleiben

Viel wichtiger sind den Grünen jene Bundesratskonflikte, die schon seit einigen Monaten ausgefochten werden. Etwa der Streit um das Jahressteuergesetz, wo die Grünen die Gleichbehandlung von Homo-Ehen durchsetzen wollen, oder das Ringen um die sogenannten Entflechtungsmittel aus dem Fiskalpakt, wo es für die Länder um Milliarden geht.

Beim Kita-Ausbau sieht man wenig Ansatzpunkte

Gemessen hieran ist es aus Sicht grüner Landespolitiker nachrangig, im Bundesrat neue, aussichtsarme Initiativen zu ergreifen. Daher geben sie wenig auf Parolen, die rot-grünen Länder müssten die Frauenquote, den gesetzlichen Mindestlohn oder die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen durchsetzen.

Auch beim Kita-Ausbau sieht man wenig Ansatzpunkte. Wenn sich der Bundesrat mit dem schon bald vom Parlament zu verabschiedenden Gesetz befasst, haben die Länder wenig Lust, sich durch langwierige Verhandlungen jene gut 500 Millionen Euro entgehen zu lassen, die ihnen der Bund für den Kita-Ausbau geben will.

Allerdings gibt es hierbei Grüne, die Veränderungen fordern, nämlich Kommunalpolitiker wie den Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. "Bund und Länder müssen sich gemeinsam zum Ziel setzen, den Kita-Ausbau schneller als bislang geplant umzusetzen", sagte Palmer der "Welt".

Nach den derzeitigen Plänen ist es für Palmer "objektiv nicht mehr möglich, flächendeckend den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz zu gewährleisten". Daher sei zu befürchten, dass "auf die Kommunen eine Klage- und Prozessflut zukommt".

Die Länder müssten "im Bundesrat alles dafür tun, um den Ausbau guter und bedarfsgerechter Kita-Plätz stark zu beschleunigen". Doch die Länder wollen nicht länger aufs Geld des Bundes warten – wie auch ansonsten den grünen Landespolitikern die Interessen ihrer Länder wichtiger sind als Schaukämpfe im Bundesrat.

"Wir sind nicht Teil eines Lagers"

Im Übrigen sind die Grünen wegen ihrer neuen Stärke nicht geneigt, der SPD dienstbar zu sein. Das hat auch innerparteiliche Gründe. Denn die von der überwältigenden Grünen-Mehrheit verfochtene Festlegung auf Rot-Grün lässt sich gegen Kritiker im Realo-Lager nur durchhalten, wenn die Eigenständigkeit der Partei betont wird.

"Wir Grünen sind nicht Teil eines Lagers", sagte der bayerische Landesvorsitzende Dieter Janecek der "Welt". Er ging weiter: "Wenn es bei der Bundestagswahl nicht reicht für Rot-Grün, dann sollten wir auch in anderen Richtungen gesprächsbereit sein.

Welche Richtungen das sind, wird dann von der jeweiligen Konstellation abhängen." Janecek ist damit bei den Grünen ein Außenseiter. Doch Leute wie ihn kann die Partei nur im Zaum halten, wenn sie sich nicht als reine Lagerkämpferin gibt. Auch nicht im Bundesrat.

No comments:

Post a Comment