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Monday, January 28, 2013

Tamper Altmire mit dem Mainstream der Umwelt

Die unbegrenzte Subventionierung der regenerativen Energien hat ein Ende. Der Sumpf, der Bürger, Handwerk und Industrie Milliarden kostet und uns in den Blackout führt, muss trocken gelegt werden


Der alte Streit, wer der deutsche Energieminister sei, ist für den Augenblick entschieden: Bundesumweltminister Peter Altmaier hat seinem Kabinettskollegen Philipp Rösler aus dem Wirtschaftsressort das Heft des Handelns entrissen und mit seinen Vorschlägen zur Zukunft der Energiewende politische Tabus gleich im Dutzend gebrochen.
Geht es nach Altmaier, soll die bislang unbegrenzte Subventionierung der Ökostrom-Produzenten durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) endlich aufhören und die Kostenbelastung der Bürger gesetzlich begrenzt werden. Die Branche der erneuerbaren Energien, bislang mit Geld und Privilegien überhäuft, soll künftig mitbezahlen für das "nationale Gemeinschaftswerk" Energiewende.
Der "Totengräber" beweist politischen Mut
Der Selbstbedienungsladen EEG wird dichtgemacht: ein unerhörter Vorstoß, ausgerechnet von einem Bundesumweltminister. Dieses Maß an Unabhängigkeit, auch gegenüber den überlieferten Gewissheiten im eigenen Ministerium, so viel politischen Mut, sich mit dem ökologischen Mainstream anzulegen, hat noch keiner von Altmaiers Amtsvorgängern gezeigt, und das schließt Bundeskanzlerin Merkel mit ein.
Dass Altmaier bei den subventionsverwöhnten Ökostromern nun als Totengräber der Energiewende gilt: geschenkt. Wer den Sumpf trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen. Richtig ist vielmehr, dass Altmaier mit seiner schnell wirkenden Kostenbremse die schlingernde Energiewende sicher zurück auf die Straße bringt, bevor das ganze Unternehmen im Straßengraben landet.
Die Belastung der Bürger, des Handwerks und der Industrie mit den Ökostrom-Kosten ist bereits auf über 20 Milliarden Euro gestiegen. Ohne einen beherzten Eingriff droht alles in diesem Jahr um weitere vier Milliarden Euro anzusteigen. Weil zugleich die Energiepreise in den USA ins Bodenlose fallen, plant ein Teil der Industrie bereits die Abwanderung, Wertschöpfungsketten drohen zu zerreißen. Obwohl es weder genügend Leitungsnetze noch Stromspeicher gibt, werden hierzulande aber weiterhin Solar- und Windparks an jedem Bedarf vorbei gebaut.
Der Blackout kommt näher
Das bringt die Wirtschaftskraft ebenso in Gefahr wie die Versorgungssicherheit. Gestern musste Deutschland zum ersten Mal in diesem Winter auf Reservekraftwerke in Österreich zurückgreifen, um die Blackout-Gefahr zu bannen. Das zeigt: Das System der deutschen Energieversorgung gerät mit einem solchen Tempo aus der Balance, dass wir uns eine jahrelange Diskussion über ein anderes "Marktdesign", wie es Grüne und Ökostromer gerne hätten, nicht leisten können.
Der Energiewende ist nur dann ein ökologischer Erfolg beschert, wenn sie auch ökonomisch auf sicheren Grundlagen steht. 

Selbst Bill Gates lösen die größten Probleme in der Welt

 Eine Innovation – von Impfung bis Saatgut – hat nur Auswirkungen, wenn sie die Leute erreicht. Dabei haben wir die Werkzeuge längst in der Hand, schreibt Bill Gates im "Wall Street Journal".


Wir können heute im 21. Jahrhundert viel über die Verbesserung der Welt von einem Symbol der industriellen Revolution lernen: der Dampfmaschine. Die industrielle Nutzung des Dampfantriebs setzte viele Innovationen voraus, die William Rosen in seinem Buch "The Most Powerful Idea in the World" nachzeichnet. Eine der wichtigsten Innovationen war eine neue Methode, den Energieausstoß von Maschinen zu messen und ein Mikrometer namens "Lord Chancellor", das kleinste Distanzen messen konnte.
Solche Messinstrumente, schreibt Rosen in seinem Buch, erlaubten den Erfindern zu sehen, ob die schrittweise vorgenommenen Veränderungen an ihren Maschinen Verbesserungen darstellen – also zum Beispiel zu mehr Kraft und weniger Verbrauch führten. Sie waren die Voraussetzung, um bessere Maschinen zu bauen. Wir können daraus eine generelle Lehre ziehen: Ohne eine Rückmeldung durch präzise Messinstrumente, schreibt Rosen, sind Erfindungen dazu verdammt "selten und unregelmäßig" zu sein. Mit den Messinstrumenten werden Erfindungen dagegen alltäglich.
In den vergangenen Jahren habe ich eindrücklich erlebt, wie wichtig Messungen sind, um die Lebensumstände des Menschen zu verbessern. Sie können unglaubliche Fortschritte dadurch erzielen, wenn Sie sich ein klares Ziel setzen und Maßstäbe definieren, die den Fortschritt zu diesem Ziel messen.


Das mag trivial erscheinen, doch es ist erstaunlich, wie oft das nicht getan wird und wie schwer es ist, dieses Prinzip richtig umzusetzen. Historisch wurde Entwicklungshilfe an der Höhe der investierten Summe gemessen und während des Kalten Krieges danach, ob ein Land auf unserer Seite stand. Ob die Entwicklungshilfe dagegen wirkte und Leuten half, war kein Kriterium. Das Problem ist nicht auf die Entwicklungshilfe beschränkt. Trotz Fortschritten in diesem Bereich bekommen mehr als 90 Prozent der Pädagogen in den USA nach wie vor überhaupt kein Feedback darüber, ob sie sich verbessern.

Eine Innovation – sei es eine neue Impfung oder ein verbessertes Saatgut – kann keine Auswirkungen haben, wenn sie nicht die Leute erreicht, die davon profitieren werden. Wir benötigen Innovationen im Bereich der Messungen, um neue, effektive Wege zu finden, diese Werkzeuge und Dienste zu den Kliniken, Kleinbauern und Schulklassen zu bringen, die sie benötigen.

Ich habe in den vergangenen Jahren selbst viele Beispiele kennengelernt, bei denen Messungen Fortschritte ermöglicht haben – angefangen von einer Schule in Colorado bis hin zu einer Erste-Hilfe-Station im ländlichen Äthiopien. Unsere Stiftung unterstützt diese Bemühungen. Doch wir und andere müssen noch mehr tun. Da die Budgets der Regierungen und Stiftungen weltweit knapper werden, müssen wir uns alle die Lehre der Dampfmaschine zu Herzen nehmen und diese Strategie für die Lösung der größten Probleme der Welt übernehmen.


Millennium-Ziele waren großer Erfolg



Einer der größten Erfolge bei der Nutzung von Messinstrumenten, um globale Veränderungen herbeizuführen, war eine Übereinkunft, die 2000 von den Vereinten Nationen unterschrieben wurde. Die von 189 Nationen unterstützten Millennium-Entwicklungsziele setzten sich das Jahr 2015 als Frist, um in einigen wichtigen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Grundeinkommen eine konkrete prozentuale Verbesserungen zu erreichen.

Viele haben erwartet, dass die Vereinbarung unterzeichnet und vergessen werden würde – wie so viele Absichtserklärungen von UN und Regierungen rund um die Welt. Schon in den Jahrzehnten davor gab es viele gut gemeinte Proklamationen, um Probleme vom Welthunger bis zur Missachtung von Menschenrechten zu bekämpfen. Doch viele davon besaßen keinen Fahrplan, um den Fortschritt zu messen. Die Millennium-Ziele dagegen wurden von einem breiten Konsens getragen, waren konkret und brachten eine Konzentration auf das Wesentliche.

Als Äthiopien die Millennium-Ziele 2000 unterschrieb, verpflichtete sich das Land zu konkreten Zahlen bei seinem Ziel, allen Bürgern eine medizinische Grundversorgung bereitzustellen. Das konkrete Vorhaben, die Kindersterblichkeitsrate um zwei Drittel zu reduzieren, war ein klares Ziel anhand dessen Erfolg und Misserfolg gemessen werden konnte. Äthiopiens Verpflichtung brachte eine Welle von Spendengeldern in das Land, die die Gesundheitsversorgung verbesserten.

Mit der Hilfe des indischen Bundesstaates Kerala, der ein erfolgreiches Netzwerk von durch die Bevölkerung betriebenen Erste-Hilfe-Stationen aufgebaut hat, startete Äthiopien 2004 sein eigenes Gesundheitsprogramm. Heute gibt es mehr als 15.000 der Stationen mit 34.000 Mitarbeitern. Einer der größten Vorteile der Messungen ist, dass sie den politisch Verantwortlichen die Möglichkeit geben, innerhalb des Landes Vergleiche zu machen und von den besten Beispielen zu lernen.


Schon einfache Maßnahmen helfen



Vergangenen März habe ich das Germana Gale Health Post in der Dolocha-Region Äthiopiens besucht. Ich sah dort Chartdiagramme zu Schutzimpfungen, Malariafällen und anderen Daten an der Wand. Diese Informationen werden in ein teilweise computergestütztes System eingespeist, das der Regierung zeigt, wo Dinge funktionieren, sodass sie dort eingreifen können, wo sie nicht funktionieren.

In den vergangenen Jahren haben vor Ort erhobene Daten Regierungen geholfen, schneller auf Ausbrüche von Malaria und Masern zu reagieren. Vielleicht noch wichtiger ist, dass die Regierung zuvor über keine offizielle Geburten- und Sterbestatistik Neugeborener im ländlichen Äthiopien verfügte. Inzwischen werden die Daten genau erfasst.

Die Gesundheitshelfer erbringen die meisten Dienstleistungen stationär, besuchen aber auch die Wohnungen von schwangeren Frauen und Kranken. Sie stellen sicher, dass jeder Haushalt mit einem Moskitonetz ausgestattet ist, um Malaria zu verhindern. Außerdem achten sie darauf, dass ein Plumpsklo vorhanden ist und Erste Hilfe sowie anderes medizinisches Basiswissen vermittelt wird. Alle diese Maßnahmen sind sehr einfach und sie haben dennoch die Situation der Menschen im Land dramatisch verbessert.

Nehmen Sie die Situation einer einer jungen Mutter in Dalocha. Sebsebila Nassir wurde 1990 geboren. Damals erlebten rund 20 Prozent der Kinder in Äthiopien nicht ihren fünften Geburtstag. Zwei der sechs Geschwister von Sebsebila starben als Kinder. Als eine Krankenstation in Dolocha eröffnete, änderte sich ihr Leben. Als sie im vergangenen Jahr schwanger wurde, wurde sie regelmäßig untersucht. Am 28. November ging sie in ein Krankenhaus. Sieben Stunden dauerten die Wehen und die anschließende Geburt, währen der gesamten Zeit saß eine Hebamme an ihrem Bett. Kurz nachdem die Tochter geboren war, gaben die Mitarbeiter dem Kind Impfungen gegen Polio und Tuberkulose.

Einer äthiopischen Sitte zufolge warten Eltern oft, bis sie einem Kind einen Namen geben, weil es häufig in den ersten Wochen stirbt. Als vor drei Jahren Sebsebilas erste Tochter geboren wurde, folgte sie der Tradition und wartete einen Monat, bis sie ihrer Tochter einen Namen gab. Diesmal schrieb sie "Amira", arabisch für Prinzessin, auf den Impfpass – am Tag ihrer Geburt. Sebsebila ist nicht alleine: Viele Eltern in Äthiopien machen es inzwischen genauso.

Äthiopien ist es gelungen, die Kindersterblichkeit seit 1990 um mehr als 60 Prozent zu senken. Damit ist das Land auf dem besten Weg, die Kindersterblichkeit wie in den Millennium-Entwicklungszielen vereinbart, bis 2015 um zwei Drittel im Vergleich zu 1990 zu senken. Auch wenn die Ziele weltweit nicht erreicht werden, haben wir dennoch große Fortschritte gemacht: Die Zahl der Todesfälle unter Kindern bis zum Alter von fünf Jahren fiel von 12 Millionen 1990 auf 6,9 Millionen 2011 – trotz der höheren Geburtenrate.


Polio ist fast ausgerottet



Eine weitere Erfolgsgeschichte ist Polio. Ab 1988 setzten sich Gesundheitsorganisationen und zahlreiche Länder das Ziel, Polio auszurotten. Das hat den politische Willen erzeugt, für groß angelegte Impfkampagnen zu zahlen. Seit 2000 ist das Virus beinahe ausgerottet, es gibt inzwischen weniger als 1000 Fälle der Krankheit weltweit.

Den wirklich allerletzten Fall loszuwerden, ist allerdings der schwierigste Teil. Um die Ausbreitung der Infektionen zu stoppen, müssen Gesundheitsmitarbeiter fast alle Kinder unter fünf Jahren in von Polio betroffenen Ländern mehrmals im Jahr impfen. Heute gibt es nur noch drei Ländern, die Polio noch nicht besiegt haben: Nigeria, Pakistan und Afghanistan.

Vor vier Jahren habe ich den Norden von Nigeria besucht, um zu verstehen, warum die Ausrottung von Polio dort so schwierig ist. Ich beobachtete, dass die alltägliche öffentliche Gesundheitsversorgung versagte: Weniger als die Hälfte der Kinder erhielten regelmäßig Impfungen. Ein großes Problem war, dass viele kleine Siedlungen in der Region auf den handgezeichneten Karten und Listen der Impfmitarbeiter fehlten.

Um dieses Problem zu lösen gingen die Gesundheitshelfer durch sämtliche Gebiete mit hohem Polio-Risiko im Norden des Landes, wodurch sie 3000 zuvor übersehene Gemeinden in die Impfkampagne aufnehmen konnten. Das Impfprogramm nutzt außerdem hochauflösende Satellitenbilder, um noch detaillierte Karten herstellen zu können. Dadurch können die Impfungen nun noch effizienter verteilt werden.

Zudem testet das Programm die Nutzung von Smartphones mit GPS-Anwendungen für die Impfmitarbeiter. Am Ende des Tages kann die zurückgelegte Strecke von den Mobiltelefonen heruntergeladen werden und die Verantwortlichen können sie mit der geplanten Strecke vergleichen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass Regionen, die ausgelassen wurden, noch einmal besucht werden.

Ich glaube, dass diese Art von Messinstrumenten uns helfen kann, die Aufgabe zu erfüllen, Polio in den kommenden sechs Jahren auszurotten. Außerdem können diese Systeme auch bei Routineimpfungen und anderen Gesundheitsdienstleistungen genutzt werden, wodurch das Erbe der Polio-Bekämpfung noch länger überleben wird als die Krankheit selbst.


Wie Messungen der Bildung helfen



Ein anderer Bereich, in dem Messungen zu Verbesserungen führen, ist die Bildung. Im Oktober saßen meine Frau Melinda und ich mit rund zwei Dutzend Zwölftklässlern der Eagle Valley High School im US-Bundesstaat Colorado zusammen. Die Sprach- und Kunstlehrerin Mary Ann Stavney erklärte den Schülern, wie sie nichtfiktionale Texte schreiben. Sie band die Schüler ein, bewegte sich unter ihnen, sorgte für viel Beteiligung.

Wir konnten sehen, warum sie den Titel "Master Teacher" bekommen hatte, der von der Schule den besten Lehrern gegeben wird. Der Titel ist eine wichtige Komponente des Lehrerbewertungssystems im Bezirk Eagle County.

Stavneys Arbeit als Master Teacher wird von einem dreijährigen Projekt unserer Stiftung unterstützt. Es wurde finanziert, um besser zu verstehen, wie Bewertungs- und Feedback-Systeme für Lehrer funktionieren sollten. Mit Erfahrungen von mehr als 3000 Klassenlehrern stellte das Projekt einige Maßnahmen heraus, die Schulen nutzen sollten, um die Leistung von Lehrern zu messen – darunter Daten von Tests, Umfragen unter den Schülern und Beurteilungen von speziell ausgebildeten Gutachtern. Über das Schuljahr wird jeder der 470 Lehrer in Eagly County drei Mal bewertet und mindestens neun Mal in der Klasse von einem Master Teacher beobachtet.

Bei den Bewertungen im Bezirk Eagle County wird den Lehrern nicht einfach nur eine Punktzahl zugeordnet . Sie erhalten konkrete Rückmeldungen über Bereiche, die sie verbessern können und bekommen Wege aufgezeigt, wie sie ihre Stärken noch ausbauen können. Zusätzlich zu einem Einzeltraining leiten Mentoren wöchentliche Gruppensitzungen, in denen die Lehrer sich ihre Fähigkeiten gegenseitig beibringen. Die Lehrer erhalten die Berechtigung auf jährliche Gehaltserhöhungen und Boni auf Basis der Beobachtungen der Klasse und dem Abschneiden der Schüler.

Das Programm steht wegen knapper Kassen vor Herausforderungen, doch Eagly County konnte sein Bewertungs- und Unterstützungssystem beibehalten. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, warum die Schüler ihre Leistungen in den vergangenen fünf Jahren dort verbessert haben.

Bei den Spitzenleistungen ist das amerikanische Bildungssystem bis zu zwölften Klasse hinter die Länder Nordeuropas und Asiens zurückgefallen. Meiner Meinung nach, ist die wichtigste Veränderung, die das amerikanische Bildungssystem verbessern kann, qualitativ hochwertige Rückmelde-Systeme für Lehrer, die mit genügend Geld ausgestattet sind und denen die Lehrer vertrauen.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von weiteren Bereichen, in denen unsere Fähigkeit, Dinge zu messen, das Leben der Menschen deutlich verbessern kann. Bereiche, in denen wir ohne Not hinterherhinken.


Bessere Messungen in armen Ländern



In armen Ländern benötigen wir immer noch bessere Möglichkeiten, die Effizienz der zahlreichen Regierungsmitarbeiter zu messen, die für die Gesundheitsversorgung zuständig sind. Sie sind der Schlüssel dazu, Dinge wie Impfungen und Bildung zu denjenigen zu bringen, die sie am dringendsten benötigen. Wie gut sind sie ausgebildet? Kommen sie zur Arbeit? Wie können Bewertungen sie dazu bringen, ihren Job besser zu machen?

In den USA sollten wir messen, welchen Wert Colleges für unsere Gesellschaft leisten. Rankings von Colleges konzentrieren sich derzeit darauf, wer dort zugelassen wird – also die Noten und Qualitäten der Schüler – sowie auf Urteilen und Vorurteilen über die "Reputation" einer Schule. Den Schülern wäre mehr geholfen, wenn sich Rankings darauf konzentrieren würden, welche Colleges ihre Abgänger am besten auf das Berufsleben vorbereiten. Dann wüssten sie, dass wo sie das meiste für ihre Studiengebühren bekommen.

Im Bereich der Landwirtschaft würde ein globales Produktionsziel armen Ländern helfen, sich auf einen wichtigen aber vernachlässigten Bereich zu konzentrieren: Die Effizienz und die Produktion von Hunderten Millionen von Kleinbauern, die in Armut leben. Es wäre ein großer Schritt für die Armutsbekämpfung, wenn Zahlen darüber erhoben und veröffentlicht würden, wie gut die Regierungen in Entwicklungsländern, Spender und andere diesen Bauern helfen.

Und wenn ich zaubern könnte, würde ich mir wünschen, dass wir Wege finden, um messen zu können, wie die Risiken wie Krankheiten, Fehlernährung und Problemschwangerschaften sich auf das Potenzial von Kindern auswirken – ihre Fähigkeiten zu Lernen und einen Beitrag zur Gesellschaft zur leisten. Das zu messen, könnte uns helfen, alle Auswirkungen dieser Risiken zu quantifizieren und sie zu bekämpfen.

Das Leben der Ärmsten auf der Welt hat sich in den vergangenen 15 Jahren schneller verbessert als je zuvor. Ich bin zuversichtlich, dass es sich dieser Fortschritt in den kommenden 15 Jahren noch stärker beschleunigt. Der Prozess, den ich dazu beschrieben habe – Ziele setzen, einen Lösungsansatz wählen, die Resultate messen und diese Resultate dann dazu verwenden, den Ansatz zu verfeinern – helfen uns jedem Werkzeuge und Dienstleistungen an de Hand zu geben, von denen er profitieren wird – seien es Schüler in den USA oder Mütter in Afrika.

Indem wir dem Ansatz bei der Entwicklung der Dampfmaschine vor langer Zeit folgen, dank Messungen, ist Fortschritt nicht dazu verdammt, "selten und unregelmäßig" zu sein. Wir können ihn alltäglich machen.


 

"Sie und ein Herzstillstand"


Carolin Wosnitza alias "Sexy Cora" war als Erotik-Darstellerin bekannt und starb während einer Brust-OP. Ihre Narkoseärztin bekennt sich vor Gericht zu ihrer Schuld, die sichtbar auf ihr lastet


Ihren Beruf hat die Ärztin aufgegeben, die Schuldgefühle scheinen sie niederzudrücken, ihr Gesicht ist ein Spiegel ihrer bitteren Lebenserfahrung. "Ich trage die Verantwortung und die Schuld für den Tod an der Patientin Carolin Wosnitza", beginnt die Angeklagte ihre Aussage im Prozess um den Tod der als "Sexy Cora" bekannt gewordenen Pornodarstellerin. "Zu dieser Verantwortung und Schuld bekenne ich mich."
Ganz in Schwarz gekleidet ist die Angeklagte im Gericht erschienen, wo sie sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss, die blonden Haare hat die 56-Jährige zu einem straffen Zopf zusammengefasst, die Augen auf dem Weg zum Verhandlungssaal hinter einer Sonnenbrille verborgen. Aufmerksam mustert der Witwer der verstorbenen 23-Jährigen, Tim Wosnitza, die Frau auf der Anklagebank.
Unter der Regie des jetzt als Nebenkläger auftretenden Mannes hatte Carolin Wosnitza über Bilder auf Erotikportalen im Internet den Weg ins Pornobusiness eingeschlagen, mit dem sie und ihr Mann viel Geld verdienten. In der Hoffnung auf noch mehr Publicity und Verdienstmöglichkeiten hatte die junge Frau ihre Brust zum mittlerweile fünften Mal vergrößern lassen wollen. Die geplante Operation, die ihr von Körbchengröße F zu G verhelfen sollte, wurde ihr zum Verhängnis. Im Laufe des Eingriffs erlitt sie einen Herzstillstand, fiel ins Koma und verstarb neun Tage später.

Blass und kein Puls
Die Staatsanwaltschaft wirft nun der Ärztin vor, sie habe bei der am 11. Januar 2011 vorgenommenen Operation als zuständige Anästhesistin nicht für eine ausreichende Beatmung der Patientin gesorgt. Dadurch sei es zum Sauerstoffmangel gekommen, der einen Herzstillstand ausgelöst habe.
Durch die lange Unterversorgung mit Sauerstoff sei das Gehirn der Patientin so schwer geschädigt worden, dass sie am 20.Januar 2011 verstarb. Die Operation war in einer auf plastische und ästhetische Chirurgie spezialisierten Klinik in Hamburg vorgenommen worden.
Sie habe vor der geplanten Brustoperation der Patientin ein Narkosemittel gespritzt und sie zudem über eine Maske beatmet, erzählt die Angeklagte Marion F. Plötzlich habe sie bemerkt, dass die 23-Jährige sehr blass war, und festgestellt, dass sie keinen Puls mehr hatte.
"Das hat mir schon einen Schock versetzt." Sie sei "elektrisiert und angespannt" gewesen. "Du, die hat einen Herzstillstand", habe sie dem Operateur zugerufen und unverzüglich Medikamente gespritzt, um das Herz zu stimulieren und die Krise abzuwenden. Parallel habe der Chirurg mit Herzdruckmassage begonnen.
Ihr grundlegender Fehler sei es gewesen, dass sie übersehen habe, dass bei einem Gerät zur Überprüfung der Herzfrequenz ein Signalton abgeschaltet war und sie deshalb den Herzstillstand nicht sofort bemerkt habe. "Ich habe das zu verantworten. Ich würde alles darum geben, diesen Fehler wiedergutzumachen. Das kann ich aber nicht."
Halbe Million Euro Schulden
Ihre Tätigkeit als Ärztin habe sie nach diesem fatalen Ereignis aufgegeben, habe mittlerweile einen Rentenantrag gestellt und trage eine finanzielle Last von rund einer halben Million Euro Schulden aus einer früheren Praxisauflösung. Zudem sei sie nach dem Tod ihrer Patientin wegen einer depressiven Phase nur sehr eingeschränkt handlungsfähig gewesen.
"Ich befand mich sehr in einem schwarzen Loch." An Ehemann Tim Wosnitza, habe sie sich bislang nicht gewandt "und mich auch nicht entschuldigt, weil man so etwas nicht entschuldigen kann. Ich fühle mit ihm und der Familie."
Ungeachtet ihres Fehlers sei sie allerdings überzeugt davon, insistiert Marion F., dass sie ihre Patientin seinerzeit richtig beatmet habe. Auch die Sauerstoffzufuhr sei "regelgerecht" gewesen.
Dass sie das Operationsprotokoll nicht korrekt geführt habe, liege daran, dass sie mit der Reanimation "alle Hände voll zu tun hatte", zudem habe ihr und dem Operateur kein weiteres medizinisch geschultes Personal zur Seite gestanden. Dafür, dass es bei der Patientin zum Herzstillstand kam, habe sie keine genaue Erklärung. "Das sind alles Spekulationen."
Dokumentation nicht ordentlich geführt
Doch ein Sachverständiger ist nach Aktenstudium zu einem anderen Schluss gekommen. "Allerwahrscheinlichste Ursache" für den Herzstillstand sei, dass die "Beatmung nicht korrekt funktioniert hat", erklärt der Gutachter im Prozess.
"Ich habe keine berechtigten Zweifel, dass es eine andere Ursache gehabt haben könnte." Bei Carolin Wosnitza sei es möglich, dass sich der Sauerstoffmangel "schon über 20 Minuten aufgebaut hat".
Insofern sei es sehr misslich, dass die Dokumentation bei der Operation, unter anderem über den Kohlendioxidgehalt des Blutes, nicht ordentlich geführt wurde. Normalerweise bemerke man einen Beatmungsfehler "sofort, innerhalb von 30 Sekunden".


 

Tuesday, January 22, 2013

Universität eröffnet zurückzutreten eine Klage gegen Chavan

Der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf hat entschieden: Gegen Bildungsministerin Annette Schavan wird ein Verfahren zum Entzug des Doktortitels eröffnet. Sie soll unsauber gearbeitet haben.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan droht der Verlust ihres Doktortitels. In der Plagiatsaffäre um die CDU-Politikerin leitet die Universität Düsseldorf ein offizielles Verfahren zur Aberkennung des akademischen Titels ein.

Das gab der Dekan der philosophischen Fakultät, Bruno Bleckmann, am Dienstagabend nach einer nichtöffentlichen Sitzung des Fakultätsrates bekannt.

Schavan wird vorgeworfen, in ihrer 1980 verfassten Dissertation Textpassagen unsauber übernommen und Quellen nicht klar gekennzeichnet zu haben. Sie selbst bestreitet die Vorwürfe.

Verfahren ist ergebnisoffen

Das Gremium folgte damit der Empfehlung der Promotionskommission, die als Vorinstanz die Arbeit geprüft hatte.

Der Fakultätsrat habe in geheimer Abstimmung mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung für die Einleitung des Hauptverfahrens gestimmt, sagte Bleckmann. "Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Verfahren ergebnisoffen ist." Für den 5. Februar sei eine weitere Sitzung des Fakultätsrats angesetzt. Dann werde über die Fortsetzung des Verfahrens beraten.

Die Plagiatsvorwürfe waren Ende April 2012 auf einer Internetplattform erhoben worden. Schavan werden fehlende Quellennachweise und die Vernachlässigung wissenschaftlicher Standards vorgeworfen.

Schavan will nicht zurücktreten

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe nahm sich die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität des Falls an. In einem Vorverfahren befasste sich zunächst der Promotionsausschuss damit. Er empfahl dem Fakultätsrat, ein offizielles Verfahren gegen die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete einzuleiten.

Die Ministerin und enge Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einen Täuschungsversuch mehrmals zurückgewiesen. Sie will auch im Fall eines Aberkennungsverfahrens wieder für den Bundestag kandidieren.

Gröhe mahnt Universität zu Fairness

Unmittelbar vor der Entscheidung des Fakultätsrats hatte Schavan Rückendeckung von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erhalten. Er habe volles Vertrauen in Schavan "und ihre klare Aussage, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht zutreffen", sagte Gröhe der "Welt".

Zugleich ermahnte er die Uni nachdrücklich, die Vorwürfe fair zu prüfen. Dabei müssten die von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zurecht angemahnten Kriterien uneingeschränkt angewendet werden.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen als Zusammenschluss bedeutender Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen hatte unter anderem die Prüfung der Arbeit durch einen zweiten Gutachter aus der Erziehungswissenschaft gefordert.

Im März 2011 war Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zurückgetreten, nachdem er wegen einer Plagiatsaffäre um seine Dissertation den Doktortitel abgegeben hatte. Auch den FDP-Politikern Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis wurden wegen Abschreibens ihre Doktortitel aberkannt.

Mehr in Kürze.

frig/dapd/ks

Netanyahu erklärt sich der Gewinner

Der Verluste ist dramatisch: Bei der Parlamentswahl in Israel verlor das Regierungsbündnis von Ministerpräsident Netanjahu ein Viertel der Mandate. Für die Überraschung des Abends sorgte ein Anderer

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Mehrmals rief er seine Anhänger dazu auf, ihre Stimme abzugeben. "Lasst alles stehen und liegen und geht wählen!", war auf seiner Facebook-Seite schon am Dienstagnachmittag zu lesen. Als um 22.00 Uhr die Wahllokale schlossen und die drei Fernsehsender ihrer Wählerbefragungen veröffentlichten, wurden seine Befürchtungen bestätigt: Die gemeinsame Liste des Likud und der rechtsnationalen Partei "Unser Haus Israel" hat wohl dramatische Verluste hinzunehmen und kommt den Prognosen zufolge auf nur noch 31 Sitze.

Bisher stellten die beiden Parteien gemeinsam 42 Abgeordnete. Die Überraschung des Abends aber war die Zukunftspartei des ehemaligen Fernsehmoderators Jair Lapid: Mit 18 bis 19 Sitzen wird "Es gibt eine Zukunft" die zweitstärkste Kraft im Parlament.

Teilt man die zersplitterte israelische Parteienlandschaft in ein rechtes und ein linkes Lager ergibt sich nach den Prognosen fast ein Patt: Likud-Beitenu, die orthodoxen Parteien und die rechtsnationale Partei "Das jüdische Haus" hätten mit 61 Stimmen zwar eine Mehrheit in der 120 Abgeordneten zählenden Knesset, Netanjahu wäre aber von jeder der Koalitionsparteien erpressbar. Eine stabile Koalition sieht anders aus. Der vorhergesagte Rechtsruck ist aber ausgeblieben, tatsächlich wurde bei den Wahlen das Zentrumslager gestärkt.

Netanjahus Fortsetzung wahrscheinlichste Variante

Eine Regierungsbildung ohne Jair Lapids "Zukunftspartei" ist deshalb kaum denkbar. Der führend Likud-Politiker und Bildungsminister Gideon Saar geht davon aus, dass Netanjahu auch die nächste Regierung bilden werde und rief noch in der Wahlnacht "alle zionistischen Parteien" auf, sich einer solchen Regierung anzuschließen.

Tatsächlich ist eine Fortsetzung der Regierung Netanjahu wohl immer noch das wahrscheinlichste Szenario. Auch der Regierungschef selbst geht davon aus: Auf Facebook schrieb er wenige Minuten nach Bekanntgabe der ersten Prognosen, das Ergebnis zeige den Wunsch des israelischen Volkes nach einer Fortsetzung seiner Regierung. Er werde versuchen eine möglichst breite Koalition zu bilden. Gemeinsam könne man "große Dinge für Israel tun", rief er Jair Lapid zu.

Ohne politische Zugeständnisse aber wird die Regierungsbeteiligung der "Zukunftspartei" nicht zu haben sein. In den Koalitionsverhandlungen wird Lapid nun jene klaren politischen Prinzipien präsentieren müssen, vor denen er sich im Wahlkampf immer gedrückt hat.

Es wird auch von Lapid abhängen, ob die rechtsnationale Partei "Das jüdische Haus" ebenfalls auf die Regierungsbänke gelangt oder ob Netanjahu um Tzipi Livni und zumindest eine der beiden orthodoxen Parteien werben muss. Der erste Anruf Lapids nach Bekanntgabe der Prognosen soll Schelly Jechimowitsch gegolten haben: Er wollte sie zum Beitritt in Netanjahus Koalition überreden.

Zentrum-Links-Regierung nicht unmöglich

Es ist dann auch kaum mehr als eine theoretische Möglichkeit, dass der Sohn des verstorbenen ehemaligen Justizminister Tommy Lapid das Amt des Ministerpräsidenten selbst anstrebt. Itzchak Herzog von der Arbeitspartei wies am Wahlabend auf die guten Beziehungen seiner Partei mit Lapid hin und sagte, gemeinsam sei eine Zentrum-Links-Regierung nicht unmöglich.

Im günstigsten Fall müsste man dazu nicht nur Tzipi Livnis Bewegung mit ins Boot holen, die mit sieben Mandaten die Erwartungen nicht übertroffen hatte und wäre auf die Beteiligung der sieben Abgeordneten der linksliberalen Meretz-Partei angewiesen - Lapid müsste zudem um die sozialistische jüdisch-arabische Chadasch-Partei und die beiden arabischen Parteien werben.

Nur Itzchak Rabin hat bisher eine Regierung mit den Stimmen der arabischen Abgeordneten gebildet - zum Koalitionsbeitritt kam es auch damals nicht. Lapid hat die Idee selbst schon für "lächerlich" erklärt, zudem gibt es in Israel die ungeschriebene und nicht besonders demokratische Regel, dass wichtige Entscheidungen mit einer "jüdischen Mehrheit" getroffen werden muss - also ohne von den arabischen Stimmen abhängig zu sein.

Jair Lapid als Juniorpartner?

Auch der Koalitionsbeitritt der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei könnte dem Vorsitzenden der Zukunftspartei eine Mehrheit verschafften: Der entschieden säkulare Lapid würde mit den unvermeidlichen Zugeständnissen an die Orthodoxen jedoch einen nicht unerheblichen Teil seiner Wähler verärgern.

Wenn alle Stimmen ausgezählt sind, ist es an Präsident Schimon Peres, nach Konsultationen mit allen Parteivorsitzenden zu entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Es spricht viel dafür, dass der nächste Ministerpräsident Israels wieder Benjamin Netanjahu heißen wird.

Jair Lapid könnte in der Regierung jene Rolle als Juniorpartner spielen, die bisher Außenminister Awigdor Liebermann zukam. Ob es der Zukunftspartei mit ihren fast 20 Mandaten gelingen wird, der Regierung ihren Stempel aufzudrücken und als Netanjahus mäßigendes Korrektiv zu wirken, wird dann der Lackmustest für den charmanten Medienmann.

McAllister in Angst bittere Erfahrung Jibril





Niedersachsens Noch-Ministerpräsident scheut sich, Oppositionsführer im Landtag zu werden. In guter Erinnerung ist die Demütigung, die SPD-Chef Sigmar Gabriel einst durch Christian Wulff erfuhr

Er berappelt sich allmählich wieder. David McAllister, Noch-Ministerpräsident von Niedersachsen, am Sonntag bei der Niedersachsenwahl vom großen zum etwas kleineren Hoffnungsträger der Union geschrumpft, gelingt schon hin und wieder ein Lächeln.

Das sieht manchmal noch etwas steif aus, aber das war vor dem großen Wahldrama auch schon so, wenn er sich gerade nicht richtig wohl fühlte in seiner Haut, wenn es in ihm arbeitete.

Und es arbeitet jetzt in ihm. Die Frage aller Fragen: Soll er neben dem Landesvorsitz am Ende auch den Fraktionsvorsitz der CDU übernehmen? Resettaste drücken. Und dann: Auf sie mit Gebrüll! Als Oppositionsführer der künftigen rot-grünen Regierung nicht nur rhetorisch Paroli bieten? Den Bonus des beliebtesten Landespolitikers ausspielen.

Die Einstimmen-Mehrheit des künftigen Regierungschefs Stephan Weil von Landtagssitzung zu Landtagssitzung auf die Probe stellen. Zuzutrauen wäre das dem versierten und mit ziemlich vielen Wassern gewaschenen Parlamentarier David McAllister. Die nötige Rückendeckung seiner Partei hätte er auch.

Vielleicht kommt ein Ruf der Kanzlerin

Wenn man sich umschaut in der neuen niedersächsischen CDU-Fraktion, dann fallen einem nicht viele auf, die dem 42-Jährigen Wahlverlierer auch nur ansatzweise das Wasser reichen könnte. Abgesehen davon, dass McAllister einem möglichen Ruf der Kanzlerin auch aus diesem Amt jederzeit folgen könnte – bei der nächsten Niedersachsen-Wahl wäre er 47, und damit immer noch sieben Jahre jünger als sein Rivale, Wahlsieger Stephan Weil, heute. Eigentlich riecht es geradezu nach einer Revanche.

Die Gründe, die gegen einen zweiten Anlauf sprechen, sind eher psychologischer Natur. Der CDU-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag sitzt etwa drei Meter Luftlinie vor dem leicht erhöhten Sitz des Regierungschefs. Fünf Jahre lang könnte Stephan Weil auf seinen CDU-Rivalen herabsehen. Von dem Stuhl, von dem McAllister meint, dass er eigentlich ihm zustehe.

Klatsche für Gabriel

Als Negativ-Beispiel nennt der Christdemokrat in diesem Zusammenhang gerne den Namen Sigmar Gabriel. Dem heutigen SPD-Vorsitzenden war es im Jahr 2003 ähnlich ergangen wie McAllister. Gabriel wurde Fraktionschef und wirkte dabei zwei Jahre lang sehr unglücklich. Allerdings hatte Gabriel gegen Christian Wulff zuvor eine richtige Klatsche eingefahren, auch aus eigener Schuld.

Das kann man von McAllister nach dieser dramatischen Wahlnacht nun wirklich nicht sagen. Die Entscheidung bleibt also vorerst offen. "Nun warten wir einfach mal in Ruhe ab, wie es weitergeht", wimmelte McAllister selbst am Dienstag alle entsprechenden Fragen ab.

CDU-Fraktionschef auf Abruf

In einer ersten Fraktionssitzung bestätigten die CDU-Abgeordneten dann einstimmig den bisherigen Fraktionschef Björn Thümler in seinem Amt. Wie lange er es behält, entscheidet sich voraussichtlich erst nach dem offiziellen Regierungswechsel in Hannover. Thümler hat bereits erklärt, dass er im Fall der Fälle bereit wäre, seinen Platz für McAllister zu räumen.

Die Wahl des Sozialdemokraten Stephan Weil zum neuen Ministerpräsidenten von Niedersachsen wird voraussichtlich am 19. Februar erfolgen. SPD und Grüne wollten noch am Dienstag erste Gespräche über die Bildung ihrer Koalition führen.

Trotz einiger zu erwartender Hakeleien im Bereich der Agrar- und der Verkehrspolitik rechnet man in Hannover mit einem recht zügigen Verhandlungsverlauf.

Panne in der SPD-Fraktion

Wahlsieger Weil selbst wurde am Dienstag mit großem Applaus von der neuen SPD-Fraktion begrüßt. Er erwarte von den Abgeordneten, dass sie sich nicht "als Gruppe von Kopfnickern" formierten.

Das bewies einer von ihnen sofort: Die neue Fraktionschefin Johanne Modder aus dem Emsland erhielt überraschenderweise eine Gegenstimme. Sollte das auch Weil passieren, würde er nicht Ministerpräsident. Mit den Grünen hat er nur eine Stimme Mehrheit.

Auch die Freien Demokraten haben am Dienstag die Weichen für die Legislaturperiode gestellt. Spitzenkandidat und Landeschef Stefan Birkner verzichtete auf den Fraktionsvorsitz und schlug stattdessen Christian Dürr vor, der die FDP-Fraktion schon in den vergangenen Jahren angeführt. Der 35-Jährige hatte sich dabei als hervorragender Debattenredner profiliert.

Steinbrück vom Kanzler steuern können





Sollte es bei der Bundestagswahl für Rot-Grün reichen, könnte Peer Steinbrück sich auf eine starke Machtbasis stützen: Rot-Grün dominiert nun den Bundesrat, und das dürfte bis Herbst 2014 so bleiben

Gut 900 Kilometer sind es von Flensburg nach Freiburg. Wer von der dänischen Grenze in den Breisgau reist, kann die rot-grüne Republik durchqueren.

Zumindest, wenn in Niedersachsen der designierte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Kabinett aus Sozialdemokraten und Grünen regieren. Dann fährt man von Schleswig-Holstein (wo die dänische Minderheit SSW mit im Boot ist) nach Niedersachsen, macht einen Abstecher nach Bremen und reist weiter durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nach Baden-Württemberg, wo ein grüner Ministerpräsident die Koalition anführt.

In bislang fünf Bundesländern herrschen rot-grüne Koalitionen, mit Niedersachsen dürfte ein weiteres großes Land dazu kommen. Der Machtwechsel in Hannover soll zugleich der Startschuss sein für eine solche Koalition nach der Bundestagswahl im September. Im Bundesrat indes wollen die Berliner Oppositionsparteien schon jetzt ihren Einfluss geltend machen – aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Sigmar Gabriel spielt mit den Muskeln

Mit den Muskeln spielt, wie üblich, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er hat zwar nur vor langer, langer Zeit vier Jahre mit den Grünen regiert, von 1990 bis 1994, als einfacher Abgeordneter. Umso lauter kündigt er schon jetzt an, welche Gesetze eine rot-grüne Bundesregierung ohne Probleme durch einen links dominierten Bundesrat bringen würde: Etwa die doppelte Staatsbürgerschaft, eine Vermögensteuer und die komplette Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften.

Einen gesetzlich fixierten Mindestlohn wollen die Sozialdemokraten schon aus der Opposition heraus von der Länderkammer beschließen lassen; schließlich wissen sie um die Sympathien dafür in der CDU.

Stephan Weil hat bereits angekündigt, das umstrittene Betreuungsgeld zu Fall bringen zu wollen. In der Familien- und Energiepolitik sollen weitere Initiativen folgen. Die SPD geriert sich, als regierte sie bereits im Bund.

36 der 69 Sitze im Bundesrat

Dabei weist Gabriel zu Recht darauf hin, dass ein Gleichklang von Bundestag und Bundesrat eine viel größere Wirkung hätte. Bei SPD und Grünen gehört es zum guten Ton zu erklären, bald werde man gemeinsam die Bundesregierung stellen.

Sollte es dazu kommen, könnte ein Bundeskanzler Peer Steinbrück (SPD) mit einem Vizekanzler Jürgen Trittin (Grüne) in der Tat durchregieren: Mit Rot-Grün in Niedersachsen käme das linke Lager auf 36 der 69 Sitze im Bundesrat; einbezogen sind Hamburg, wo die SPD allein regiert, und Brandenburg mit einer rot-roten Koalition.

Strategischer Vorteil des linken Lagers: Erst im Herbst 2014 findet in einem solcherart regierten Land eine Wahl statt, in Brandenburg. Bis dahin stände die Mehrheit, und womöglich wird zuvor noch in Hessen (Wahl am 22. September) Schwarz-Gelb abgelöst.

Die Mitsprache der Linken in Brandenburg relativiert Sigmar Gabriel mit dem lustigen und doch nicht ganz falschen Hinweis, die märkischen Linken seien "ja eher rechte Sozialdemokraten". Diese "vernünftigen Leute", durch und durch pragmatisch, trügen die Initiativen von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) mit.

Gabriels Freude über die absehbare Konstellation im Bundesrat bezieht sich freilich auch auf die Möglichkeit, die Bundesregierung bereits im Wahljahr regelrecht vorzuführen.

Grüne wollen vorgegebene Linie nicht aufgeben

Die Grünen reagieren auf die SPD-Ankündigungen sehr zurückhaltend. Sie wollen nicht ihre bisherige, vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vorgegebene Linie aufgeben, sich in den Ländern und im Bundesrat durch konstruktive Sachorientierung zu profilieren. Schon deshalb, weil Lagerkriege zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün im Bundesrat den für die Grünen enorm wichtigen Konsens über ein Endlagersuchgesetz gefährden könnten.

Hier brauchen die Grünen das Entgegenkommen der Bundesregierung, wenn jede Vorfestlegung auf Gorleben ausgeschlossen werden soll und die Grünen ihre Suchkriterien für andere Standort durchsetzen wollen. Hinzukommt, dass die Grünen kaum Möglichkeiten sehen, im Bundesrat bis zur Wahl viel auszurichten.

Es gibt nur noch wenige Bundesratssitzungen bis zum Herbst, da bleibt kaum Zeit für große Initiativen. Außerdem gibt es die neue niedersächsische Landesregierung noch gar nicht.

Beck skeptisch bei Verhinderung von Betreuungsgeld

Daher ist der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, skeptisch, dass Rot-Grün das Betreuungsgeld verhindern könnte. "Das Gesetz ist schon so weit auf dem Weg, dass ich nicht sicher bin, ob wir vorher die neue Mehrheit in Niedersachsen schon im Amt haben, um das zu stoppen", sagte Beck im Deutschlandfunk.

Denkbar sei allenfalls eine Bundesratsinitiative im Frühjahr, die darauf abziele, das Betreuungsgeld zurückzunehmen. Damit, so Beck, müsste sich der Bundestag "natürlich auseinandersetzen". Wobei aber die Grünen wenig Lust haben, ihre Kraft im Bundesrat darauf zu verwenden, alle möglichen Forderungen in den Bundestag zu spielen und dann zu erleben, dass die dort von Schwarz-Gelb zurückgewiesen werden – oder unbearbeitet liegen bleiben

Viel wichtiger sind den Grünen jene Bundesratskonflikte, die schon seit einigen Monaten ausgefochten werden. Etwa der Streit um das Jahressteuergesetz, wo die Grünen die Gleichbehandlung von Homo-Ehen durchsetzen wollen, oder das Ringen um die sogenannten Entflechtungsmittel aus dem Fiskalpakt, wo es für die Länder um Milliarden geht.

Beim Kita-Ausbau sieht man wenig Ansatzpunkte

Gemessen hieran ist es aus Sicht grüner Landespolitiker nachrangig, im Bundesrat neue, aussichtsarme Initiativen zu ergreifen. Daher geben sie wenig auf Parolen, die rot-grünen Länder müssten die Frauenquote, den gesetzlichen Mindestlohn oder die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen durchsetzen.

Auch beim Kita-Ausbau sieht man wenig Ansatzpunkte. Wenn sich der Bundesrat mit dem schon bald vom Parlament zu verabschiedenden Gesetz befasst, haben die Länder wenig Lust, sich durch langwierige Verhandlungen jene gut 500 Millionen Euro entgehen zu lassen, die ihnen der Bund für den Kita-Ausbau geben will.

Allerdings gibt es hierbei Grüne, die Veränderungen fordern, nämlich Kommunalpolitiker wie den Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. "Bund und Länder müssen sich gemeinsam zum Ziel setzen, den Kita-Ausbau schneller als bislang geplant umzusetzen", sagte Palmer der "Welt".

Nach den derzeitigen Plänen ist es für Palmer "objektiv nicht mehr möglich, flächendeckend den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz zu gewährleisten". Daher sei zu befürchten, dass "auf die Kommunen eine Klage- und Prozessflut zukommt".

Die Länder müssten "im Bundesrat alles dafür tun, um den Ausbau guter und bedarfsgerechter Kita-Plätz stark zu beschleunigen". Doch die Länder wollen nicht länger aufs Geld des Bundes warten – wie auch ansonsten den grünen Landespolitikern die Interessen ihrer Länder wichtiger sind als Schaukämpfe im Bundesrat.

"Wir sind nicht Teil eines Lagers"

Im Übrigen sind die Grünen wegen ihrer neuen Stärke nicht geneigt, der SPD dienstbar zu sein. Das hat auch innerparteiliche Gründe. Denn die von der überwältigenden Grünen-Mehrheit verfochtene Festlegung auf Rot-Grün lässt sich gegen Kritiker im Realo-Lager nur durchhalten, wenn die Eigenständigkeit der Partei betont wird.

"Wir Grünen sind nicht Teil eines Lagers", sagte der bayerische Landesvorsitzende Dieter Janecek der "Welt". Er ging weiter: "Wenn es bei der Bundestagswahl nicht reicht für Rot-Grün, dann sollten wir auch in anderen Richtungen gesprächsbereit sein.

Welche Richtungen das sind, wird dann von der jeweiligen Konstellation abhängen." Janecek ist damit bei den Grünen ein Außenseiter. Doch Leute wie ihn kann die Partei nur im Zaum halten, wenn sie sich nicht als reine Lagerkämpferin gibt. Auch nicht im Bundesrat.

Stefan Weil droht nun zu "töten die Ungläubigen"?

 Erste Abstimmung, erste Panne: Bei der Wahl der niedersächsischen SPD-Fraktionschefin gibt es eine Gegenstimme. Das könnte bei der Wahl des Ministerpräsidenten tödlich sein.

Das geht ja gut los im Landtag von Hannover. Gleich bei der ersten Abstimmung innerhalb der künftig hier mit den Grünen und einer Stimme Mehrheit regierenden SPD fehlte am Ende eine sicher geglaubte Stimme.

Bei der Wahl der künftigen sozialdemokratischen Fraktionschefin im Niedersachsen-Parlament, Johanne Modder, gab es überraschend eine Gegenstimme. Passiert Vergleichbares bei der für den 19. Februar geplanten Wahl des Ministerpräsidenten, hätte Stephan Weil keine Mehrheit.

Der Wahlsieger betonte dann nach der ersten Fraktionssitzung seiner Partei auch gleich, dass er in dieser Gegenstimme für Modder kein schlechtes Vorzeichen für seine eigene Wahl sehe. Zwar werde es auch künftig interne Meinungsverschiedenheiten geben bei den Sozialdemokraten, "ich habe aber die Erwartung und Gewissheit, dass wir anschließend einstimmig nach außen auftreten", sagte der designierte niedersächsische Ministerpräsident.

SPD und Grüne werden im neuen niedersächsischen Landtag nur eine Stimme Mehrheit gegenüber CDU und FDP haben.

Mahnung aus Schleswig-Holstein

Schon am Vortag hatte der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner seinen niedersächsischen Kollegen aus leidvoller Erfahrung zur Achtsamkeit geraten. Zwar sei der "Heide-Mord", bei dem im Jahr 2005 die damalige SPD-Spitzenkandidatin Heide Simonis vier Mal nacheinander die Einstimmen-Mehrheit des von ihr gebildeten Bündnisses verpasste, ein "singuläres Ereignis". Richtig sei aber auch, so Stegner weiter, "dass man sich auf so eine knappe Mehrheit vorbereiten muss".

Mit dieser Vorbereitung wollten SPD und Grüne noch am Dienstagabend in kleiner Runde beginnen. Bei den Koalitionsverhandlungen werden Kontroversen insbesondere bei den Themen Verkehr, Finanzen und Massentierhaltung erwartet. Größter Streitpunkt könnte der Bau der A 20 sein, den die Grünen laut Wahlprogramm verhindern wollen. Ein Konflikt, der auch über der rot-grün-blauen Kieler Koalition schwebt.

Die A 20 soll dereinst von Lübeck über Segeberg zur Elbe bei Drochtersen führen, den Fluss dort unterqueren, um dann auf niedersächsischer Seite unter anderem den neuen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven zu erreichen.

SPD beim Thema Verkehr flexibel?

Stephan Weil, der die Verhandlungen zusammen mit den grünen Spitzenkandidaten Stefan Wenzel und Anja Piel führen wird, kann diese durchaus vertrackte Knackpunkt der Regierungsbildung nicht weiter beeindrucken. "Wir werden eine gute Koalitionsvereinbarung erarbeiten", sagte der Sozialdemokrat vor Beginn der ersten Bündnis-Gespräche.

Auch die Grünen geben sich zuversichtlich. Weil habe ihnen bereits signalisiert, dass die SPD bezüglich der Verkehrsplanung flexibel in die Verhandlungen gehe, hieß es aus der Parteiführung.

Über das neue Personal der neuen Landesregierung wird intern bereits eifrig spekuliert, auch wenn die Beteiligten dazu offiziell nur das Übliche sagen wollen: Darüber spreche man ganz zuletzt.

Klar soll aber schon jetzt sein, dass der Osterholzer Landrat Jörg Mielke neuer Chef der niedersächsischen Staatskanzlei wird. Auch der bisherige Arbeitsdirektor der Salzgitter AG Peter-Jürgen Schneider, so heißt es in der SPD, sei als Finanzminister gesetzt.

Grüne wollen drei Ressorts

Dazu passt, dass die Grünen auf dieses wichtige, aber auch unbequeme Querschnittsressort wenig Wert liegen. Ihre Gedanken gehen eher in Richtung eines neu geschnittenes Umwelt- und Energieressort, das Spitzenkandidat Stefan Wenzel übernehmen könnte. Auf ein Agrarressort, das der Parteilinke Christian Meyer leiten würde. Und auf das Sozialministerium, in das die Landtagsabgeordnete Miriam Staudte einziehen könnte.

Aber, wie gesagt, über diese Fragen, sprechen Parteien bei Koalitionsverhandlungen immer ganz zuletzt. Offiziell jedenfalls

Sunday, January 20, 2013

ARD, ZDF und sehen Rot und Grün in der Vorderseite

Niedersachsen steht vor einem Regierungswechsel. Wenige Minuten bevor das vorläufige amtliche Endergebnis bekanntgegeben wird, liegt in den Hochrechnungen von ARD und ZDF Rot-Grün vor Schwarz-Gelb.


In Hannover deutet sich ein politischer Wechsel an. Nach der letzten Hochrechnung der ARD lag Rot-Grün am Sonntagabend nach Mandaten vor der amtierenden schwarz-gelben Koalition.

In der ARD-Hochrechnung (22.19 Uhr) erreicht die CDU 36,0 Prozent, die FDP 10,0 Prozent. Zusammen ergibt dies 46,0 Prozent. Die SPD liegt bei 32,7 Prozent, die Grünen erzielen 13,6 Prozent. Zusammen erreichen sie 46,3 Prozent, also 0,3 Prozentpunkte mehr als Schwarz-Gelb. SPD und Grüne haben demnach zusammen 68 Sitze, CDU und FDP zusammen 67 Sitze.

Laut ZDF-Hochrechnung (22.47 Uhr) liegt die CDU mit 36,2 Prozent vorn, die FDP kommt auf 9,9 Prozent. Zusammen ergibt dies 46,1 Prozent. Die SPD erreicht 32,6 Prozent, die Grünen kommen auf 13,6 Prozent. Mit zusammen 46,3 Prozent liegt Rot-Grün um hauchdünne 0,2 Prozentpunkte vorn und hat mit 69 zu 68 einen Sitz Vorsprung im Landtag.

Erfolgreiche FDP-Zweitstimmen-Kampagne

Klarer Wahlverlierer ist die CDU, die als einzige der wieder im Landtag vertretenen Parteien Stimmen verlor. David McAllister hatte die Landesregierung 2010 nach der Wahl seines Vorgängers Christian Wulff zum Bundespräsidenten übernommen. Er musste sich erstmals als Ministerpräsident in einer Wahl behaupten.

Die FDP mit Umweltminister Stefan Birkner an der Spitze lag in den Umfragen lange Zeit unter der Fünf-Prozent-Marke und warb im Wahlkampf massiv um Zweitstimmen von CDU-Wählern – offenbar erfolgreich. Allerdings fehlten diese Stimmen dann der CDU. Am Ende verteidigte die FDP nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen den dritten Landtag in Folge.

SPD fehlt Rückenwind aus Berlin

Der Niedersachsen-SPD und Spitzenkandidat Stephan Weil fehlte auch Rückenwind aus Berlin, wo Kanzlerkandidat Steinbrück seit Wochen wegen seiner Nebenverdienste und seiner Äußerungen zum Kanzlergehalt in der Kritik steht und in den Umfragen abgestürzt ist. Die Grünen fuhren zwar ihr mit Abstand bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Niedersachsen ein.

Für die Linkspartei setzte sich die Serie von schweren Verlusten in Westdeutschland fort. Im vergangenen Jahr verpasste sie den Wiedereinzug in die Landtage von Schleswig-Holstein (2,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (2,5 Prozent). 2011 war die Linke schon in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erfolglos geblieben. Stark ist sie damit nur noch in Ostdeutschland und im Saarland.

Für die Piratenpartei war Niedersachsen der erste schwere Dämpfer nach einer Erfolgsserie. Diese brachte die junge Partei in die Landesparlamente Berlins, des Saarlands, Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens. In Niedersachsen lagen sie im Mai vergangenen Jahres in Umfragen auch noch bei 8 Prozent.

Bei der Wahl 2008 hatte die CDU 42,5 Prozent Stimmen bekommen und war damit stärkste Kraft. Die SPD kam auf 30,1 Prozent, die FDP auf 8,2 Prozent und die Grünen auf 8,0 Prozent. Die Linke schaffte 2008 mit 7,1 Prozent erstmals in Niedersachsen den Sprung ins Parlament.


dpa/dapd/fas

Doris Schröder-KOPF verpasst direktes Mandat


Kein Promi-Bonus: Doris Schröder-Köpf, Ehefrau von Altkanzler Gerhard Schröder, hat ein Direktmandat für den niedersächsischen Landtag verpasst. Gegen ihre Konkurrentin unterlag sie klar.

Doris Schröder-Köpf hat trotz Pressewirbels im Wahlkampf bei ihrer ersten Kandidatur für den niedersächsischen Landtag ein Direktmandat für die SPD verpasst. Die Frau von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder unterlag mit 33,8 Prozent klar dem Konkurrenten der CDU Dirk Toepffer (41,8 Prozent).

Die auf Platz 12 der Landesliste der Sozialdemokraten gesetzte 49-Jährige soll im Fall einer künftigen rot-grünen Landesregierung zur Beauftragten für das Thema Integration werden.

Schröder-Köpf war mit einem Promi-Bonus in den Wahlkampf gestartet. Abgelichtet mit ihrem Mann, durch Interviews und Porträts in den Medien errang die blonde Journalistin bundesweit mehr Aufsehen als Spitzenkandidat Stephan Weil.

Konkurrentin trat zu den Linken über

Im Mittelpunkt stand aber auch mehrfach die Frage an den Alt-Bundeskanzler, wie nun seine Pflichten im Haushalt aussehen. Seine Antworten zum Butterbrote schmieren und Spielen mit den Kindern haben wohl nicht nur seiner Frau, sondern auch der SPD Sympathiewerte gebracht.

In die Schlagzeilen geriet die 49-Jährige vor der Wahl noch einmal, als ihre direkte und geschlagene Konkurrentin in ihrem Wahlkreis kürzlich zu den Linken übertrat.

Sigrid Leuschner begründete ihren Schritt mit "Bauchschmerzen", die sie schon seit dem Reformwerk Agenda 2010 vom damaligen Kanzler Schröder gehabt habe. Bei den Genossen sah man es eher als Nachtreten aus Enttäuschung über die Niederlage gegen Schröder-Köpf.

Rösler Sinn - FDP überrascht sich selbst


Trotz der Störfeuer aus der Bundespartei können die Liberalen in Niedersachsen zulegen. Das Wahlergebnis liefert Parteichef Rösler eine gute Ausgangsposition für den Machtkampf in den nächsten Tagen

Der erste Weg von Philipp Rösler führte heute in die Kirche. Zum katholischen Gottesdienst. Der zweite ins Wahllokal, eine Grundschule in seinem Wohnort Isernhagen bei Hannover, zur Stimmabgabe, natürlich für die FDP.

Diesem Beispiel folgten überraschend viele Niedersachsen, so dass am frühen Abend das beste Ergebnis in der Geschichte des liberalen Landesverbandes zu verbuchen war.

Diesen Sensationserfolg hätte Rösler gern in der Landeshauptstadt gefeiert, mit den Parteifreunden bei der Wahlparty in der "Bar Celona". Das ging aber nicht, er musste schon nachmittags nach Berlin fahren, ins Thomas-Dehler-Haus. Denn in der Parteizentrale hatte sich die gesamte Führungsspitze der Liberalen versammelt. Offiziell, um den Wiedereinzug in den Landtag zu feiern. Inoffiziell aber auch, um über Röslers Zukunft zu beraten.

Partei hat enorm zugelegt

Der Vorsitzende hatte angekündigt, Präsidium und Vorstand in diesen Beratungen einen Vorschlag für die personelle Aufstellung der FDP für die Bundestagswahl im September zu machen.

Dabei schwebt ihm ein Team vor, in dem er seine Jobs als Parteichef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler behält. Andere könnten symbolisch aufgewertet werden. So könnte Fraktionschef Rainer Brüderle zum Spitzenkandidaten ausgerufen werden.

Das Wahlergebnis in Niedersachsen ist dabei ein starkes Argument für Röslers Vorschlag. Denn gemessen an der Kommunalwahl 2011, bei der die FDP nur 3,4 Prozent holte, hat die Partei enorm zugelegt. Sie hat sogar das hervorragende Ergebnis bei der Landtagswahl 2008 (8,2 Prozent) übertroffen – trotz aller Störfeuer aus der Bundespartei während des Wahlkampfes.

Nun hat auch Rösler geliefert

Wolfgang Kubicki und Christian Lindner, die zuletzt in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen jeweils über acht Prozent geholt hatten, waren dafür als Heilsbringer gefeiert worden. Nun hat auch Rösler geliefert.

Denn bei allem Respekt vor dem Spitzenkandidaten Stefan Birkner: Rösler ist der prominenteste Freidemokrat in dem Bundesland, er hat allein in den vergangenen zwei Wochen über 50 Wahlkampfauftritte absolviert und damit gezeigt: Die FDP kann mit ihm an der Spitze gute Ergebnisse holen.

Warum also sollte er von irgendeinem Posten zurücktreten? Weil die Liberalen in den Umfragen auf Bundesebene dauerhaft unter der Fünfprozentmarke liegen, sagen seine Gegner. Und weil die Stimmen vor allem von der CDU kamen und diese Leihstimmen eher ein Landesphänomen sind.

So mancher Kollege des FDP-Vorsitzenden hatte deshalb bereits im Vorfeld deutlich gemacht, dass das Wahlergebnis aus Niedersachsen keine Rolle spiele.

"Er ist ein guter Mann"

Das Präsidiumsmitglied Dirk Niebel zum Beispiel will sich nicht mit Debatten über Prozentzahlen aufhalten. Er hält eine personelle Neuausrichtung der Liberalen für zwingend notwendig, um bei der Bundestagswahl erfolgreich sein zu können. Hermann Otto Solms und Wolfgang Gerhardt sehen das ähnlich.

Für sie ist klar: Rösler muss abgelöst werden, als Vorsitzender, Fachminister und Vizekanzler. Am Sonntag sagte Niebel, Niedersachsen ein "tolles Ergebnis für die FDP". Es gebe den Parteimitgliedern "ihre Würde zurück". Wie es nun mit Rösler weitergehen solle, werde am Montag in den Gremien besprochen.

FDP-Generalsekretär Patrick Döring verteidigte dagegen seinen Chef. "Dass Philipp Rösler in Niedersachsen wohnt, ist kein Geheimnis", sagte Döring und verwies auf den Wahlkampfauftritt von Hans-Dietrich Genscher am vorigen Freitag. Da hatte der Ehrenvorsitzende, eigentlich kein Anhänger Röslers, gesagt: "Niedersachsen ist auch Rösler, ein Wahlerfolg in Niedersachsen für die FDP ist vor allem ein Erfolg für Rösler."

Überhaupt teile er die Kritik an dem Parteichef nicht: "Er ist ein guter Mann." Der Altliberale hatte schon immer ein gutes Gespür für kurzfristige Stimmungswechsel. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass der Aufstand gegen Rösler nun abgesagt wird.

Wie positioniert sich Fraktionschef Brüderle?

Dafür spricht auch die Einschätzung von Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki. "Wenn er wieder antritt, wovon ich ausgehe, werde ich ihn unterstützen", sagte der Schleswig-Holsteiner. Nach dem "glorreichen Sieg" könne die FDP-Spitze in Harmonie über die Aufstellung für die Bundestagswahl sprechen, erklärte Kubicki, der bislang als Kritiker Röslers galt.

Den Wunsch nach einem freiwilligen Verzicht Röslers auf das Amt des Vorsitzenden schließen diese Äußerungen aber nicht aus. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger Zastrow sagte der "Welt", er erwarte, "dass die Debatte über unseren Vorsitzenden Philipp Rösler jetzt beendet wird. Wir müssten doch verrückt sein, wenn wir uns mit einem solchen Wahlergebnis im Rücken weiter über Personalfragen streiten."

Es wird darauf ankommen, wie Fraktionschef Brüderle sich nun positioniert. Am Freitag hatte er gemeinsam mit Lindner, dem Landeschef aus Nordrhein-Westfalen, für einen vorgezogenen Parteitag plädiert. Diese Rufe gab es auch gestern. Die Behauptung Brüderles, ihm ginge es dabei nur um ein schnelles Ende der Personaldebatte, halten viele in der Partei für vorgeschoben.

Die meisten Liberalen verstanden das eher so, dass dieses Duo die Parteispitze übernehmen will.

"Die freien Demokraten werden jetzt loslegen"

Unbelastet von den Ränkespielen in der Bundespartei konnte die FDP in Niedersachsen ihren Wiedereinzug in den Landtag feiern. Der 39-jährige Birkner, der erst seit Januar 2012 der schwarz-gelben Regierung als Umweltminister angehört, hat sich ohne lautes Poltern darauf beschränkt, die Erfolge der Koalition darzustellen.

Dabei profitierte der Jurist von der guten Zusammenarbeit mit Ministerpräsident David McAllister (CDU), der die Zweitstimmenkampagne der FDP zwar nicht offen, aber doch unterschwellig goutierte und damit beförderte. Birkners Botschaft lautete: "Wenn wir als Team agieren, können wir erfolgreich sein."

Abzuwarten bleibt, ob die Kollegen in Berlin das hinbekommen. Rösler machte jedenfalls sehr deutlich, dass er den Erfolg "in meinem Heimatland Niedersachsen" auch für sich in Anspruch nimmt. Und er sagte: "Das Rennen hat jetzt erst angefangen. Die freien Demokraten werden jetzt loslegen." Fragt sich nur, in welche Richtung.

David McAllister - die Gewinner und die Opfer und Hoffnung?

Rund 80 Prozent der Liberalen-Wähler in Niedersachsen stimmen sonst für die Christdemokraten. Damit rettet die CDU den Koalitionspartner FDP – und hofft auf eine Wiederholung des Erfolgs im September

"Unsere Strategie war so erfolgreich, dass wir fast ihr Opfer geworden sind." So fasste ein führender CDU-Politiker das Ergebnis von Niedersachsen am frühen Sonntagabend zusammen. Noch immer ist unklar, ob es für Schwarz-Gelb am Ende reichen würde.

Sicher ist nur: Die FDP zieht mit fast zehn Prozent wieder in den Landtag ein. Und der Löwenanteil davon kommt von der CDU.

In der Spitze der Bundespartei, die sich am Montag zu Gremiensitzungen trifft, setzte sich in Telefonaten und SMS-Dialogen rasch eine gespaltene Interpretation durch. Gut: Die Union sei – nach einer langen Durststrecke – nun wieder in der Lage, bürgerliche Mehrheiten zu bekommen.

Auch gut: Die FDP würde nun erkennen, dass sie die Bundestagswahl im September nur in Treue zur Union überstehen könnte. Nicht gut: Das "Problem R." sei nicht gelöst. "R." steht für Rösler: Mit dem Verbleib des von vielen als schwach eingeschätzten Oberliberalen werde der FDP auch weiter ein echtes strategisches Zentrum fehlen. Dies mache die Arbeit in der schwarz-gelben Koalition nicht leichter.

Über die Hürde geholfen

Ebenfalls betrüblich: Das schwache Abschneiden des eigenen Kandidaten David McAllister. Zu Beginn des Wahlkampfes hätte man ein solches Endergebnis zwar begrüßt: Damals galt Rot-Grün als wahrscheinlichste Option, die allein einen Einzug von Linker oder Piraten verhindern könnte. Doch dann riss die CDU das Steuer herum.

In einem Wahlkampf, der gestandenen Bundespolitikern Respekt abnötigte, holte Ministerpräsident McAllister nicht nur auf, sondern setzte sich vor die SPD. Zeitweise führte er so deutlich, dass ihm manche rieten, die lange nicht aus den Startlöchern kommende FDP aufzugeben.

Den Griff zur absoluten Mehrheit – der freilich nur in einem Drei-Parteien-Parlament theoretisch möglich wäre – deutete nur die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer offen an. McAllister und Merkel entschieden dann anders: Sie halfen den Liberalen über die Hürde.

Keine Blaupause für die Bundestagswahl

In CDU-Kreisen hieß es am Sonntag, von dem FDP-Ergebnis sei mindestens die Hälfte "ausgeliehen". Tatsächlich waren es mehr, wie die Forschungsgruppe Wahlen bekanntgab: Sie sprach von einem "Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager".

80 Prozent der FDP-Wähler gäben sonst eigentlich der CDU ihre Zweitstimme. Etwas weniger hätte auch gereicht, meinten viele Christdemokraten hinter vorgehaltener Hand.

McAllisters Wahlkampf in Niedersachsen gilt nicht als Blaupause für die Bundestagswahl, aber doch als Beispiel, aus dem man Lehren ziehen sollte. Erstens, die CDU sollte noch stärker auf die Kanzlerin setzen. McAllister machte einen expliziten Kanzlerinnen-Wahlkampf, ja, er genoss es geradezu, sich als bloßen Helfer zu inszenieren. Merkel, so seine ebenso schlichte wie treffende Analyse, zieht.

Zweitens, die CDU wird weiter auf die FDP setzen. Die Aussage, die schwarz-gelbe Koalition im Bund fortsetzen zu wollen, gewinnt mit der Wahl in Niedersachsen selbstverständlich an Plausibilität.

McAllister hat recht behalten

Drittens, der Ton gegenüber den Grünen sollte distanziert bleiben. McAllister hatte sich jeden schwarz-grünen Flirt im Wahlkampf verbeten. Dies wäre ihm bei einem Ausscheiden der FDP als strategischer Fehler angelastet worden. So hat er recht behalten.

Wobei genaue Beobachter einen Unterschied zu früheren Anti-Grünen-Wahlkämpfen beobachteten: McAllister ging zu den grünen Politikern auf Distanz, nicht aber zu ihren Themen und Wählern.

Tatsächlich hat McAllister sich, etwa indem er die Festlegung auf Gorleben als Atomendlager aufgab, ihnen angenähert. Diese Haltung gegenüber den Grünen gilt intern schon als Erfolgsmodell für die CDU. Statt "Wir wollen mit denen nichts zu tun haben" lieber: "Wir laufen denen nicht hinterher". Selbstbewusstsein statt der Alternativen Anbiederung oder Ablehnung. Dies dürfte auch der Ton bei der Bundestagswahl sein.

Karriereschritte für die Zeit nach Merkel

In der CDU galt McAllister schon vor dem Wahlabend als gestärkt. Dies dürfte weiter gelten – selbst, falls es am Ende doch nicht zu einer schwarz-gelben Mehrheit in Niedersachsen reichen sollte.

Merkel hat nämlich früh in Gesprächen mit Vertrauten den Gedanken anklingen lassen, selbst bei einem Verlust des Ministerpräsidentenamts sehe sie ihn weiter in der Führungsreserve.

Im Falle eines Siegs hätte er sich nicht nur von seinem langjährigen Mentor Christian Wulff emanzipiert, sondern auch von der starken Niedersächsin Ursula von der Leyen. Bisher vertritt die Arbeitsministerin den Landesverband in der Bundes-CDU, etwa als Vizechefin.

McAllister hat sich in zweieinhalb Jahren Amtszeit als Ministerpräsident betont desinteressiert an Bundes- oder Europapolitik gezeigt. Mit einer selbst errungenen Mehrheit könnte er dies ändern. Gefährlich für die Kanzlerin wäre das nicht: McAllister ist jung genug, weitere Karriereschritte erst für die Zeit nach Merkel zu erträumen.


Thursday, January 17, 2013

Berliner Modell, alle Schattierungen von grau!





Endlich steht fest, wie es um das noch zu rekonstruierende Berliner Stadtschloss herum aussehen soll: puristisch, einfallslos, ohne einprägsame Akzente. Und leider ohne zwei historische Wahrzeichen

In Berlin ist man ja schon froh, wenn nicht alles schief geht. Insofern hört man sie förmlich, die Stoßseufzer der Erleichterung, die dem geplagten Hauptstädter entfahren, nachdem nun bekannt wurde, wie die Umgebung des rekonstruierten Berlins Stadtschlosses aussehen wird: Es hätte nämlich schlimmer kommen können.

Was der jetzt preisgekrönte Entwurf des schweizerischen Architekturbüros für die Umgebung des beharrlich "Humboldtforum" genannten Bauprojektes vorsieht, schaut auf den ersten Blick wenigstes nicht nach einer urbanen Katastrophe aus: Graues Dolomitgestein wird die einstige Residenz der Preußenherrscher weiträumig umgeben und sie, wenn man es denn so sehen will, würdig umrahmen.

Ein bisschen Grün ist nur zum Lustgarten hin vorgesehen sowie am Spreeufer. Dort soll eine Baumgruppe aus Trauerweiden die Umrisse des ehemaligen "Apothekerflügels" andeuten, der als mittelalterliches Anhängsel den prächtigen Schlüter-Bau an die bescheidenen Anfänge des Hauses bis zur Zerstörung erinnert hat. Auf solcherart Kuriosa verzichtet man natürlich im Zeitalter des stilistischen Purismus bei einem repräsentativen Wiederaufbau, vielleicht zurecht.

Doch apropos Purismus: Wenn dieser Entwurf so, wie er eingereicht wurde, realisiert wird, dann wird man jetzt schon sagen dürfen: Distanzierter kann man sich gegenüber einem architektonischen Komplex, der ja nichts Geringeres leisten soll als die urbane Mitte der deutschen Hauptstadt endlich, endlich wieder herzustellen, nicht verhalten.

"Offen" für Diskussionen

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat zwar bei der Präsentation des Timo-Hermann-Entwurfs hervorgehoben, dieser zeichne sich auch dadurch aus, dass er so "offen" für weitere Diskussionen sein. Damit wollte sie wahrscheinlich Enttäuschungen vorbeugen, nach dem Motto: Keine Sorge, da kommt noch was, wir hübschen nach. Aber es steht zu vermuten, dass es sich dabei um wenig wirksame Beruhigungstropfen handelt.

Es war schließlich Madame Lüscher selbst, die schon vor Monaten Tatsachen der künftigen Schlossplatz-Gestaltung schuf, indem sie dort, wo die Breite Straße auf den Schlossplatz trifft, das Areal verkleinerte, auf dem einst der berühmte Neptunbrunnen von Reinhold Begas prangte, den sich die sogenannten Traditionalisten so sehnlich an die alte Stelle zurückwünschen.

Und das ist denn auch für den mit der Diskussion vertrauten Hauptstädter das eigentliche Signal, das von der Entscheidung der Preisjury ausgeht: Kein Begas, kein Brunnen, mithin kein opulenter Historismus um das Schloss herum, um Gottes Willen nein, das könnte ja ganz einfach toll aussehen.

Dabei will man doch sein "kritisches", um nicht zu sagen "gebrochenes" Verhältnis zur preußischen "Zwingburg" von einst dokumentieren. Nur ja keine Identifikation aufkommen lassen. Hat schließlich alles irgendwie mit Auschwitz zu tun. Der Neptuns-Trumm bleibt schön, was er nun schon so lange war: ein Fremdkörper in der Wüstenei des Alexanderplatzes.

Freut euch, Schöneberger!

Auch die Rossebändiger finden offenbar keine Gnade vor den Augen der Juroren. Dabei sind sie dezenter und auch älter (von 1847 nämlich) und schmückten einst ebenfalls die Schauseite des Schlosses. Aber auch dieser skulpturale Schmuck verstößt offenbar noch immer gegen jene ästhetische Korrektheit, der sich das Gremium aus Politikern und Architekten verpflichtet fühlt, die nun für eine denkbar kalte und emotionslose Variante stimmten, um die einstige Hohenzollern-Residenz in den Stadtraum von heute einzugliedern.

Das wird zumindest die Schöneberger unter den Berlinern freuen. Sie können demnach wahrscheinlich weiterhin den Anblick jener beiden Bildwerke in ihrem Kleistpark genießen. Bildwerke, die einst der russische Zar seinem Thron-Kollegen Friedrich Wilhelm IV. schenkte, weshalb die beiden kraftvollen männlichen Nuditäten, die so elegant wie energisch ihre Pferde führen, auch für die früher so engen dynastischen Verbindungen Preußens und Russlands stehen.

Der Eklektizismus wird damit Markenzeichen Berlins bleiben, denn am selben Ort, an den die Rossebändiger zogen, wurden ja auch die Kolonnaden von Gontard versetzt. Heute meist als "Kleist-Kolonnaden" bezeichnet, sind sie eines der ganz wenigen baulichen Elemente, die sich aus dem friderizianischen Berlin des 18. Jahrhunderts erhalten haben, wo sie die Stadt zum Norden hin mit einem markanten Schlusspunkt versahen. Damals war Schöneberg ein von viel Heidekraut umgebenes Dorf im Süden der Metropole. Das Versetzte, Verkehrte, Verlorene: das bleibt also typisch für Berlin.

Größter anzunehmender Vorfall Gabriel Altfalke

Bulldozer? Haudrauf? Weit gefehlt. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist verletzlich und liebesbedürftig. Sollte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Nerven verlieren, hätte er eine bittere Pflicht zu
Am Abend der niedersächsischen Landtagswahl tritt Sigmar Gabriel vor die Kameras. Es ist 18.30 Uhr, eine halbe Stunde zuvor wurden die Wahllokale geschlossen. Gabriel wirkt deprimiert, und er hat in der Tat keinen Grund zum Feiern. Von einem "sehr, sehr schwierigen Ergebnis" für die SPD spricht er, und zum Trost applaudieren ihm die eigenen Anhänger frenetisch. "Liebe Leute", ruft er ihnen zu und kündigt kampfeslustig und ein wenig trotzig ein "Rückspiel" an.

Zehn Jahre liegt diese Szene zurück, fast auf den Tag genau. Mit der Landtagswahl am 2. Februar 2003 endete Sigmar Gabriels Karriere als Ministerpräsident von Niedersachsen. Zweieinhalb Jahre später war er wieder da, diesmal in Berlin. Zum Bundesumweltminister wurde er berufen, es handelte sich um eine politisch-persönliche Reha-Maßnahme, Franz Müntefering hieß sein Therapeut.

Weitere vier Jahre darauf, nach dem 23-Prozent-Debakel der SPD, hob Gabriel forsch den Finger, als es darum ging, wer künftig die Partei führen sollte. Gut drei Jahre ist Gabriel seitdem Parteivorsitzender, und in dieser Eigenschaft muss er am Sonntagabend vor die Fernsehkameras treten. Einiges spricht dafür, dass Sigmar Gabriel abermals ein sehr schwieriges Ergebnis und eine noch kompliziertere Lage seiner Partei erklären muss.


Auch Gabriels Schicksal steht auf dem Spiel

Natürlich, in Niedersachsen steht Stephan Weil zur Wahl, der solide SPD-Spitzenkandidat, der gewiss ein guter Ministerpräsident wäre. Natürlich, in Niedersachsen geht es auch um die Zukunft von Peer Steinbrück, schon allein weil es sich um die erste Wahl nach seiner Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten handelt, vor allem aber weil Steinbrück seiner Partei bisher erstens Probleme und zweitens Peinlichkeiten beschert hat.

Doch natürlich steht in Niedersachsen auch Sigmar Gabriels Schicksal auf dem Spiel. Eine Schlappe von SPD und Grünen setzt ihn extrem unter Druck, er müsste umgehend auf eine – parteiintern erwartete – Niederlage reagieren. Konsequenzen aus dem Steinbrück-Malus hätte er zu ziehen. Sollte Stephan Weil keine Aussicht auf das Ministerpräsidentenamt haben, erwartet die Partei spätestens am Montag ein Signal des Willy-Brandt-Hauses. Gabriel ist gefragt.


Er demonstriert, dass er es besser kann


Bei den Falken, und nicht etwa bei den Jusos, wurde Sigmar Gabriel, Jahrgang 1959, politisch geprägt. Die Falken waren pragmatischer als die Jusos. Gabriel organisierte Zeltlager und Rockkonzerte, Theorie-Debatten über Papiere in unverständlicher Sprache waren ihm zuwider. Die Falken, die sich bis heute Sozialistische Jugend Deutschlands nennen, standen stets in engem Austausch mit der SPD.

Gab es Unmut über die Falken, berichtete Gabriel vor vielen Jahren aus seiner Jugend in den 1970er-Jahren, dann kamen Herbert Wehner oder Hans-Jürgen Wischnewski vorbei. Lief alles prima, suchten Heidi Wieczorek-Zeul oder Rudolf Scharping die Falken auf. Gabriel und seine Mitstreiter verstanden das Signal. Es lautete: Die Sache ist wohl nicht so ernst.

Sigmar Gabriel versteht es also, Zeichen zu deuten und Zeichen zu setzen. Wittert er Ärger oder eine Wahlniederlage oder beides, dann ist Gabriel omnipräsent, dann bestätigt er all jene, die ihn darauf reduzieren, er sei eben "umtriebig". Hat Gabriel den Eindruck, etwas gerate grundsätzlich schief, dann läuft er hochtourig, dann ist niemand vor ihm sicher, schon gar kein Mikrofon und keine Kamera.

In den vergangenen Tagen warf Gabriel der Kanzlerin "Lohndumping" vor, stellte hohe Hürden für eine Zypern-Hilfe auf, bezichtigte den Bundesverkehrsminister mit Blick auf den Berliner Großflughafen der Täuschung und bot der CDU einen "nationalen Rentenkonsens" an, natürlich ohne die CSU und die FDP.

Nein, mit diesen Vorstößen dreht Gabriel nicht die politische Stimmungslage, und die Auswirkungen auf das Ergebnis der SPD am Sonntag werden sich in Grenzen halten. Gabriel weiß das, aber er beweist damit seinen Leuten und sich selbst, dass er es versteht, Themen zu setzen. Er demonstriert, dass er es einfach besser kann.


Lage der SPD ist prekär


Besser etwa als der irrlichternde Peer Steinbrück, der am Donnerstag – die Verzweiflung scheint groß – in der "Bild"-Zeitung gegen den "Wucher" bei Dispo-Zinsen mobil machte. Dispo-Zinsen? Da war doch was. "Wir brauchen endlich ein Gesetz mit einer Obergrenze für Dispo-Zinsen", verlangte Gabriel vor einem halben Jahr und polterte über "Abzocke".

Das Parlament machte Sommerpause, und der SPD-Chef litt darunter, dass seine Partei wochenlang vor sich hin dämmerte. Es war eine Phase, in der Gabriel dieses und jenes forderte, auf dass die Partei überhaupt stattfand.

Die Lage der SPD ist nach dem fast vier Monate andauernden Fehlstart Peer Steinbrücks prekär. "Beschissen" sei die Situation, heißt es in der Partei. Nichts gelinge derzeit. Wie einst bei den Falken gäbe es in dieser verfahrenen Lage wohl Besuch von Herbert Wehner, nicht von Heidemarie Wieczorek-Zeul. Bei der SPD muss in solchen Situationen der Vorsitzende ran, ist der Vorsitzende überzeugt.

Kanzlerkandidat Steinbrück wird Gabriel dabei als nur bedingt hilfreich empfinden, und er könnte sich darüber austauschen mit dem ehemaligen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Als dessen Wahlkampf 2009 partout nicht in die Gänge kam, eröffnete Gabriel, damals Umweltminister, einen eigenen Wahlkampf. Er suchte jede rostige Schraube in deutschen Atomkraftwerken, natürlich wurde er fündig. Die Partei dankte ihm den Privat-Bundestagswahlkampf später mit ihrem Vorsitz.


Ein "ausgezeichneter Kandidat" – auf Nachfrage


Das Verhältnis zwischen Gabriel und Steinbrück ist, vorsichtig formuliert, ausbaufähig. Der Vorsitzende ist entsetzt über die diversen Fehlgriffe des Kandidaten, und so sehr er ihn öffentlich verteidigt, so ist sein Groll spürbar. Mehrfach hat Gabriel ihn intern gedrängt, Positionen zu überdenken. So brachte der SPD-Chef Kandidat Steinbrück dazu, seine "Nebeneinkünfte" zu veröffentlichen. Steinbrück wiederum misstraut Gabriel.

Sigmar Gabriel gilt, vielleicht wegen seiner robusten Statur, als Bulldozer. Er gibt immer wieder den Haudrauf. Dabei ist er verletzlich, emotional, liebesbedürftig, So sehr er zum verbalen Holzhacken neigt, so sensibel formuliert er zuweilen.

Am Montag vor einer Woche, bei seinem Auftritt zum Jahresauftakt, gelang Gabriel das Kunststück, Steinbrück zu rüffeln – ohne ihn zu rüffeln. Er sprach fast eine Viertelstunde über 150 Jahre SPD, den Lebensalltag der Menschen und immer wieder von "Werten und Prinzipien". Den Namen Steinbrück ließ er nicht einmal fallen. Auf Nachfrage nannte Gabriel ihn dann einen "ausgezeichneten Kandidaten". Natürlich.


Für Gabriel herrscht eigentlich immer Wahlkampf


In diesen Tagen tourt Gabriel unermüdlich durch Niedersachsen. Am Donnerstag war er in Bensersiel, Roffhausen, Wilhelmshaven, Delmenhorst. Er macht Wahlkampf, das kann er, attestieren ihm selbst seine Gegner. Dabei muss man wissen, dass für Gabriel eigentlich immer Wahlkampf herrscht.

Am Sonntag wird er mit der engeren Parteiführung über die Prognosen aus Hannover beraten. Sollten SPD und Grüne eine parlamentarische Mehrheit erhalten, kann Gabriel – wie Steinbrück – erst einmal durchatmen. Alles andere setzt die SPD unter Zugzwang, die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition wäre nach allerlei gewonnen Wahlen in den Ländern der größte anzunehmende Unfall. Für Steinbrück nach dreieinhalb Monaten als Kandidat, für Gabriel nach dreieinhalb Jahren im Amt. Die SPD zöge mit Gegenwind in den Bundestagswahlkampf.

Die Ruhe und Disziplin, die derzeit in der SPD herrscht, würde Sonntag enden. Ihr Vorsitzender wird dann agieren, nicht reagieren wollen. Sollte Steinbrück die Nerven verlieren, müsste Gabriel die Kanzlerkandidatur übernehmen. Das wäre Pflicht des Vorsitzenden in bitterer Zeit.

Tuesday, January 15, 2013

Kurt Beck - die immer geblieben

Nach 18 Jahren, zwei Monaten und 21 Tagen gibt Kurt Beck sein Amt als Ministerpräsident ab. Er verkörpert eine Erfolgsgeschichte – und einen Typus Politiker, der sehr selten geworden ist

Gewiss, man soll nie nie sagen. Fast alles spricht aber dafür, dass wir einen wie Kurt Beck nie mehr bekommen werden. Moderne Gesellschaften sind, als Demokratien schon gar, ziemlich durchlässig und aufstiegsfreundlich.
Der Fahrstuhl nach oben ist immer in Betrieb. Das gilt überall, auch in der Politik, in ihr vielleicht sogar ganz besonders. Einer, der diesen Weg nach oben geschafft hat, ist Kurt Beck, einziger Sohn eines Maurers und gelernter Elektromechaniker aus dem Süden der Pfalz. Er ist eine lebende Erfolgsgeschichte, und dieser Erfolg hat ihn ihm körperlich Gestalt angenommen.
18 Jahre, zwei Monate und 21 Tage: Länger als jeder andere in der Geschichte der Bundesrepublik hielt er sich im Amt eines Ministerpräsidenten. Dass er werden würde, was er wurde, das war ihm wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. Der Letzte seiner Art wird er wohl deswegen sein, weil er aber immer der blieb, der er war.
Noch oft werden Politiker den Orbit erreichen, die wie er von unten kommen. Doch ihre Karriere wird sie verändern, sie werden andere werden. Sie mögen die Heimat noch irgendwo im Herzen haben, sie werden aber die Gewohnheiten der Heimat ablegen. Und auch deren Fertigkeiten, mit denen im politischen Leben, schon gar dem in Berlin, kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen ist.

Es liegt einfach an der Zeit
Das möchte nicht – nur – als Schelte des längst üblichen alerten Politikertyps verstanden werden, des Politikers, der keine Kanten und keinen Stallgeruch mehr hat. Es liegt einfach an der Zeit.
Wer sich heute im politischen Geschäft Berlins behaupten will, braucht andere Fähigkeiten. Auch Beck hatte, mehr gerufen denn aus eigenem Antrieb, bundespolitische Ambitionen, und man kann nicht ausschließen, dass er – wie vor ihm der Pfälzer Helmut Kohl – eine Weile lang sogar das Bundeskanzleramt im Auge hatte.
Im Jahr 2006 wuchs ihm, als Mathias Platzeck aus Krankheitsgründen den SPD-Vorsitz abgab, dieses Amt gewissermaßen automatisch zu. Nach so vielen abrupten Abbrüchen im Amt sah es so aus, als käme mit ihm Ruhe in die Partei.
Einer wie er würde sie ruhig, freundlich und mit jenem Vermögen zum autoritären Basta führen, das in der Sozialdemokratie eine lange Tradition hat und durchaus geschätzt wird. Wie etliche andere dachte auch ich, dass auf Becks Parteivorsitz wohl zutreffen werde, was Hannelore Kohl einmal über ihren Mann gesagt hat: "Wer den hat, der hat ihn lang."
Als ich dieser Tage Klaus von Dohnanyi darauf anspreche, ist er entschieden anderer Meinung. Nein, sagt er, der mit Beck seit Langem befreundet ist, er habe keinen Moment geglaubt, dass dieser sehr lange Parteivorsitzender bleiben werde: "Das liegt einfach daran, dass die Politik auf eine bestimmte Weise intellektueller geworden ist. Heute ist der Typus Lassalle, weniger der Typus Ebert gefragt." Also nicht der, der mit seinem Habitus einen sozialdemokratischen Zustand verkörpert, sondern der, der anzettelt, zuspitzt, theoretisch tut und in vielen Gassen nervös unterwegs ist.
Dohnanyi ist so etwas wie der politische Ziehvater Kurt Becks. Gegensätze ziehen sich an, vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet der früher scharf und noch immer intellektuell auftretende Hanseat, von dem wenig Gemütlichkeit ausgeht, den Heimatmenschen in die Politik befördert, ja gelockt hat.
"Mann von altem Schrot und Korn"
1979 wurde von Dohnanyi, den man stilistisch nicht so schnell mit diesem Bundesland in Verbindung bringt, Vorsitzender der SPD in Rheinland-Pfalz, im gleichen Jahr brachte er die Partei bei der Landtagswahl auf 42 Prozent, ein Ende der CDU-Erbpacht wurde wenigstens vorstellbar.
Schon vor längerer Zeit war ihm der freigestellte Betriebsrat Kurt Beck aufgefallen, der aus der Christlichen Arbeiterjugend kam, in der Abendschule die Mittlere Reife erworben hatte und 1972 – dem Willy-Brandt-Jahr – der SPD beigetreten war. Von Dohnanyi gefiel die Art des jungen Mannes: "sehr abgewogen, im klassischen Sinne sozialdemokratisch, pragmatisch, vernünftig".
Als sie sich einmal trafen, Beck war mit seinem VW gekommen, nahm er – damals Staatsminister im Auswärtigen Amt – in seiner Limousine ein Stück mit und zwangsverpflichtete den Widerstrebenden zu einer Kandidatur für die Landtagswahl, auf einem sicheren Listenplatz.
Klaus von Dohnanyi nennt Beck einen "Mann von altem Schrot und Korn", nennt ihn mehrfach "erdnah", "menschennah" und scheint ein wenig zu bedauern, dass die SPD von heute dafür keinen Sinn mehr habe. Kurt Beck, schließt er, verkörpere "eine sehr nachdankenswerte Erinnerung an die SPD, wie sie einmal gewesen war: Wir kennen einander, wir stehen füreinander."
"Hier wachsen keine Revolutionäre heran"
Beck, der fleißige Netzwerker, hat die Macht nicht erobert – das war das Werk Rudolf Scharpings. Er hat sie übernommen, ausgebaut und verstetigt. Zwölf Jahre regierte er mit der FDP, dann alleine, zuletzt mit den Grünen: fast die ganze Palette durch.
Rainer Brüderle, lange in Becks Kabinett Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, ist ein höflicher Mensch, er weiß nur Gutes über ihn zu berichten, bleibt aber allgemein. "Die Zusammenarbeit mit ihm war kameradschaftlich, ein fairer Partner. Er war kein Liberaler, aber er hatte Verständnis dafür, dass die Freiheit der Menschen in Rheinland-Pfalz ein wichtiges Anliegen war."
Kurt Becks Erfolg beruhte darauf, dass er stets leutselig blieb, im Laufe der Jahre aber einen starken, ja harten Machtwillen herausbildete. Das Land ist ein Bindestrich-Land, auch daher sehr heterogen. Westerwald, Hunsrück, Eifel sind eher rau, der Süden aber, besonders die südliche Pfalz, ist eine vom Wetter verwöhnte Region, die auch in schlechten Zeiten nie ganz arm war. "Hier", sagt Brüderle auf die Frage, woher Beck das Talent zum Kompromiss habe, "wachsen keine Revolutionäre heran."
Sentimental ist sein Verhältnis zur SPD keineswegs
Es gibt Politiker, die gewissermaßen aus sich heraus, aus eigener Macht ganz nach oben kommen. Man findet sie vor allem in den Parteien, die nicht ans Kollektiv glauben oder die eher die besseren Leute anziehen, also bei CDU, FDP und den Grünen. Kurt Beck ist solch einer nicht. Als einer der wenigen führenden Sozialdemokraten seit Friedrich Ebert hat er kein Abitur, kein Studium.
Daher war ihm die Partei als Apparat nie Zumutung. Kleinen Leuten half es oft nicht weiter, wenn sie klug oder schlau oder beides waren. Sie brauchten die Apparatur der Arbeiterbewegung oder der Partei als Treppe, zumindest Geländer auf dem Weg nach oben. Für Kurt Beck war die SPD nicht Wärmestube, sondern probates Mittel zum Zweck. Er meint es ernst, wenn er auf Menschen zugeht, er interessiert sich wirklich, und er ist das, was man einen "Kümmerer" nennt. Seine Heimat liebt er sowieso, aber auch der Rest seines Landes macht ihn froh.
Viele können bezeugen, dass ihm unbekannte Winkel, Hinterhöfe und Gaststuben Rufe des Entzückens entlocken können, die beides sind: ehrlich und inszeniert. Sentimental ist sein Verhältnis zur SPD keineswegs, zwar nicht erst seit er 2008 unter größtem Druck am Schwielowsee vor den Toren Berlins den SPD-Vorsitz abgab. Er, der Gesellige, sagt: "Wo Menschen zusammenkommen, gehen eben allzu schnell Ideale verloren." Kurt Beck kennt die Einsamkeit.
Die Zeit der Egomanen schien zu Ende
Der größte politische Schlag wurde ihm versetzt, nachdem er 2006 Vorsitzender der SPD geworden war. Alles schien so gut zu passen, wer hätte den so würdig und ganz in der Tradition die Uhr August Bebels tragen können? Die Zeit der Kläffer, der Hinterhofstrategen, der Egomanen schien zu Ende zu sein.
Doch schnell kam Kurt Beck aus dem Tritt. Anders als einst in Bonn weht in Berlin ein scharfer Wind, Beck meint: "Die Bundespolitik wird massiv von Intrigen dominiert, wesentlich stärker als zu Bonner Zeiten." Beck, der gerne im äußersten Westen der Republik lebt, verlor auf dem Berliner Parkett die Wendigkeit, die er in Mainz oder Koblenz oder Kaiserslautern trotz seiner Körperfülle immer hatte.
Und doch wäre es zu einfach, Berlin und sein Klima für dieses Scheitern verantwortlich zu machen. Er hat sich als Parteivorsitzender verheddert, und es gelang ihm nicht mehr, jene in sich ruhende Selbstzufriedenheit auszustrahlen, mit der er zum Symbol für sein Land geworden war. Der König von Mainz wurde zum König ohne Land.
Und man setzte ihm zu: Als er nach einem Afghanistan-Besuch sagte, man müsse in Zukunft auch dem "moderaten Taliban" verhandeln, wurde er als außenpolitischer ABC-Schütze verhöhnt. Heute wird der Vorschlag von vielen der damaligen Kritiker geteilt.
"Er ist geerdet"
Sigmar Gabriel, sein Nach-Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, hat ihn kürzlich in Mainz besucht. Er spricht mit Achtung von Kurt Beck. Als ich Gabriel frage, ob es das Provinzielle sei, das ihn in Berlin habe scheitern lassen, antwortet der SPD-Vorsitzende, der zumindest am Wochenende mit Lust in der Harzer Provinz lebt: "Kurt Beck ist, wie ich auch, ein bekennender Provinzler. Das ist etwas anderes als provinziell, sondern das Wissen, dass Deutschland nicht nur aus Berlin, München oder Hamburg besteht und man sich im Land und bei den Leuten auskennen muss, wenn man gute Politik machen will."
Vielleicht sei das, wie auch die "irre Arroganz" nicht nur in Medien, Grund dafür gewesen, dass er sich so unsicher auf dem Berliner Parkett bewegt hat. Gabriel: "Er ist geerdet – genau das, was in der Politik so oft fehlt. Und: Wie alle, die von unten kommen, ist Kurt Beck bei Unfairness und Boshaftigkeit verletzlich." Auch Gabriel kommt von unten.
Zurück in Mainz sah Kurt Beck bald nicht mehr wie der gescheiterte Parteivorsitzende, sondern wieder wie der routinierte Ministerpräsident aus. Doch er hinterlässt, neben seinen Segnungen, hohe Schulden und das Debakel des Nürburgrings.
Mit einem Zaubertrick ist ihm auf den letzten Metern noch gelungen, ein halbwegs fröhliches Ende seiner Amtszeit hinzulegen. Er will sich nach dem Abschied vom Amt besonders dem Tierschutz widmen. Auf die Frage, welche Tiere dann in den besonderen Genuss seiner Fürsorge kämen, antwortete er: "Alle. Hund und Katz sind mir besonders nahe, aber das ist nicht der Maßstab." Eine Antwort, so ehrlich wie kalkuliert, Häuslichkeit und PR in einem.