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Tuesday, January 1, 2013

Deutschland unsichtbaren Handel mit dem Tod

Der Verkauf von deutschen Waffen boomt. Doch das Wachstum hat einen Makel: Es findet im Verborgenen statt. SPD, Grüne und einige Unionspolitiker fordern mehr Transparenz – aber die Regierung mauert

Georg Wilhelm Adamowitsch hatte gute Nachrichten zu verkünden. Kurz vor dem Weihnachtsfest trat der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vor die Presse, um die Bedeutung der in seinem Verband organisierten 80 Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu preisen.
Die Statistiken, die Adamowitsch zu diesem Zweck vorstellte, beschreiben eine Branche mit rasantem Wachstum. So ist die Zahl der Beschäftigten von 2005 bis 2011 um 27,4 Prozent auf knapp 98.000 Arbeitnehmer gestiegen. Rechnet man Ausstrahleffekte auf Zulieferer und nachgelagerte Wirtschaftszweige hinzu, hängen weitere rund 220.000 Arbeitsplätze an der Rüstungsindustrie. Das gesamte Güteraufkommen der Branche lag 2011 bei 28 Milliarden Euro, die Bruttowertschöpfung wuchs in den vergangenen fünf Jahren um durchschnittlich fünf Prozent.
Diese Zahlen sind insofern besonders bemerkenswert, als der Rüstungsindustrie Kernmärkte weggebrochen sind. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Unternehmen mit sinkenden Budgets ihrer klassischen Abnehmer konfrontiert. Nicht nur bei der heimischen Bundeswehr, auch bei den Streitkräften der europäischen und Nato-Bündnispartner wurden die Ausgaben für die Beschaffung neuer Waffen zum Teil drastisch reduziert. Die weltweite Finanz- und Schuldenkrise ließ die Verteidigungshaushalte weiter schrumpfen.
Doch die Rüstungsindustrie erschloss sich neue Absatzmärkte. 2011 gingen Rüstungsgüter im Wert von 12,5 Milliarden Euro in den Export – also fast die Hälfte der Produktion. Die neuen Kunden außerhalb von EU- oder Nato-Staaten kommen beispielsweise aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Katar, dem Sultanat Brunei, Ägypten oder Singapur.

Zunächst einmal ist alles verboten

In jedem anderen Industriezweig würde man von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Doch Rüstung ist keine Branche wie jede andere. Sie produziert Güter, die den Tod bringen können. Im Grundgesetz ist deshalb in Artikel 26 II eine politische Kontrolle des Gewerbes festgeschrieben. "Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden", heißt es dort. Im Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz sind die verbindlichen Details geregelt. Hinzu kommen unverbindliche Leitlinien, aufgeschrieben in den "Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern".
Gemeinsamer Tenor dieser Normen: Die deutsche Rüstungsexportpolitik ist grundsätzlich restriktiv zu gestalten. Zunächst einmal ist also alles verboten – es sei denn, die Regierung erteilt eine Ausnahmegenehmigung.
Nur: Wie passt dieser Grundsatz zum aktuellen Boom der deutschen Rüstungsindustrie? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Denn die Entscheidung, ob ein Waffenexport erlaubt wird, trifft der Bundessicherheitsrat. Darin vertreten sind die Bundeskanzlerin, der Chef des Kanzleramtes, die Minister für Auswärtiges, Verteidigung, Finanzen, Inneres, Justiz, Wirtschaft und Entwicklungshilfe.
Das Gremium tagt geheim, seine Geschäftsordnung ist geheim, und seine Entscheidungen sind es auch. Es gibt also keine parlamentarische Kontrolle, meist auch keine öffentlichen Debatten über die Waffenexporte – jedenfalls bis zur Veröffentlichung des Rüstungsexportberichts der Bundesregierung. Doch wenn dieser jährliche Rechenschaftsbericht dem Bundestag vorgelegt wird, sind die Genehmigungen längst erteilt und nicht mehr revidierbar.
Früher, als die Waffenlieferungen noch allein an Bündnispartner gingen, mag das kein Problem gewesen sein. Doch wenn heute an Staaten wie Saudi-Arabien geliefert wird, einer islamistischen Autokratie also mit einer verheerenden Menschenrechtsbilanz, gelegen in einer der unruhigsten Regionen der Welt, gibt es einen wachsenden Bedarf, über die Vertretbarkeit von Rüstungsexporten zu diskutieren – und zwar auf breiterer Basis als den neun Mitgliedern des Bundessicherheitsrates. Die Neigung der Regierung allerdings, ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf eine exekutive Eigenverantwortung aufzugeben, ist nicht sonderlich ausgeprägt.

Reaktionen? Rituale

Ein aktuelles Beispiel dafür ist ein neuer Deal mit den Saudis. Die "Bild am Sonntag" berichtete kurz vor dem Jahreswechsel über eine Großbestellung der Scheichs. Danach hat das Königreich am Golf bei den deutschen Firmen Krauss Maffei Wegmann sowie Bruker Daltonik 30 ABC-Spürpanzer vom Typ Dingo 2 zum Preis von etwa 100 Millionen Euro geordert. Ein paar Wochen zuvor hatte der "Spiegel" bereits über das Interesse der Araber am Kauf von mehreren hundert Transportpanzern, Typ Boxer, berichtet. Und im Juli 2011 wurde eine Voranfrage des Golfstaates über den Kauf von bis zu 270 Leopard-II-Kampfpanzern vom Bundessicherheitsrat positiv beschieden.
Die Regierung reagiert auf solche Berichte mit einem Ritual. Das Wirtschaftsministerium teilte auch diesmal wieder mit, dass man "grundsätzlich keine Angaben zu Voranfragen über die Genehmigungsfähigkeit bestimmter Ausfuhrvorhaben" mache. Der Regierungssprecher ergänzte: "Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, das betrifft unter anderem die Tagesordnung und das Abstimmungsverhalten."
Ähnlich erwartbar ist die Reaktion der Opposition. Grünen-Chefin Claudia Roth prangerte das Dingo-Geschäft an: "Es scheint zur traurigen Routine der Regierung Merkel zu werden, schwere Kriegswaffen an Saudi-Arabien und andere autoritäre Staaten zu liefern." Schwarz-Gelb rüste eine aggressive Diktatur auf und nehme billigend in Kauf, "dass sie damit schwerste Menschenrechtsverletzungen unterstützt". Der Schlussakt steht noch aus: Irgendein Bundesminister wird irgendwann anmerken, dass die Vorgängerregierungen unter Beteiligung von SPD und Grünen das alles ebenso gehalten hätten und die Kritik deshalb scheinheilig sei.

Merkels Alternative

Dabei ginge es auch anders. Volker Kauder, Fraktionschef der Union im Bundestag, sprach neulich in der "Welt am Sonntag" ganz offen über die problematischen Waffenlieferungen an das islamistische Regime in Riad. Dort gebe es "in der Tat keine Religionsfreiheit und antisemitische Tendenzen. Das Land spielt aber andererseits eine wichtige Rolle als Gegengewicht zum Iran." Es sei eine bittere Ironie: "Die Saudis mögen selbst judenfeindlich sein, aber sie sorgen auch dafür, dass der Iran die Juden nicht ins Meer treiben kann." Kauders Fazit: "Es gibt Situationen, in denen wir als Politiker schuldig werden. Die Interessen unseres Landes und unsere Werte sind nicht immer deckungsgleich".
Die Bundeskanzlerin dagegen scheut die öffentliche Debatte darüber, wie man diese widerstreitenden Interessen ausgleichen kann. Dabei hat sich Angela Merkel darüber ausführlich Gedanken gemacht. Die reichen weit über den Einzelfall Saudi-Arabien hinaus.
Aus dem seit elf Jahren währenden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat Merkel den Schluss gezogen, dass die Entsendung von Soldaten des Westens in fremde Krisenregionen mehr Probleme als Lösungen schafft. Ihre Alternative: Partnerländer in den Problemregionen der Welt sind zu "ertüchtigen" – auch mit dem Export von Waffen. So sollen "regionale Stabilitätsanker" geschaffen werden, die vor ihrer Haustür selbst für Ordnung sorgen. Angenehmer Nebeneffekt dieser Strategie: Die heimische Rüstungsindustrie profitiert von den millionenschweren Aufträgen.

Die Regierung will nicht diskutieren

Der Pferdefuß an dieser Außenpolitik: Mit den restriktiven Exportgrundsätzen ist das alles kaum vereinbar. "Beschäftigungspolitische Gründe" dürfen danach ohnehin keine ausschlaggebende Rolle bei Waffenlieferungen spielen. Und während in den Grundsätzen viel von Menschenrechten die Rede ist, lässt sich von Ertüchtigung regionaler Ordnungsmächte nichts finden. Die Regierung fasst das unter "besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik". Klar scheint nur eines: Akzeptanz für Rüstungsexporte lässt sich mit dieser Geheimniskrämerei nicht erreichen.
Diese Einsicht wächst auch in den Regierungsfraktionen. Nachdem SPD und Grüne längst Anträge formuliert haben, die auf eine stärkere Einbeziehung des Parlamentes zielen, macht sich nun auch Ruprecht Polenz (CDU) dafür stark. "Wir brauchen in diesen Fragen mehr Transparenz", sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Sein Parteifreund Roderich Kiesewetter spricht sich sogar für ein "Rückrufrecht" des Parlaments bei Entscheidungen des Bundessicherheitsrates aus. Und der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen fordert: "Wenn ein demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Waffen verkauft, dann sollte er dazu stehen und seine Entscheidung öffentlich rechtfertigen."
Doch sind diese Stimmen in den Regierungsparteien eine Minderheit. Für eine Anhörung des Parlaments zum Thema Transparenz bei Rüstungsexporten bestellten Union und FDP im November Experten, die eine größere Beteiligung des Bundestags als Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung strikt ablehnten. Das Argument ist juristisch wacklig. Aber eines belegt es in aller Deutlichkeit: Die Bundesregierung will nicht über ihre Exportpolitik diskutieren, nicht mit der Öffentlichkeit, und auch nicht mit dem Bundestag. Über den Verkauf von deutschen Waffen in alle Welt wird weiter im Verborgenen entschieden.
 

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