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Tuesday, January 15, 2013

Kurt Beck - die immer geblieben

Nach 18 Jahren, zwei Monaten und 21 Tagen gibt Kurt Beck sein Amt als Ministerpräsident ab. Er verkörpert eine Erfolgsgeschichte – und einen Typus Politiker, der sehr selten geworden ist

Gewiss, man soll nie nie sagen. Fast alles spricht aber dafür, dass wir einen wie Kurt Beck nie mehr bekommen werden. Moderne Gesellschaften sind, als Demokratien schon gar, ziemlich durchlässig und aufstiegsfreundlich.
Der Fahrstuhl nach oben ist immer in Betrieb. Das gilt überall, auch in der Politik, in ihr vielleicht sogar ganz besonders. Einer, der diesen Weg nach oben geschafft hat, ist Kurt Beck, einziger Sohn eines Maurers und gelernter Elektromechaniker aus dem Süden der Pfalz. Er ist eine lebende Erfolgsgeschichte, und dieser Erfolg hat ihn ihm körperlich Gestalt angenommen.
18 Jahre, zwei Monate und 21 Tage: Länger als jeder andere in der Geschichte der Bundesrepublik hielt er sich im Amt eines Ministerpräsidenten. Dass er werden würde, was er wurde, das war ihm wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. Der Letzte seiner Art wird er wohl deswegen sein, weil er aber immer der blieb, der er war.
Noch oft werden Politiker den Orbit erreichen, die wie er von unten kommen. Doch ihre Karriere wird sie verändern, sie werden andere werden. Sie mögen die Heimat noch irgendwo im Herzen haben, sie werden aber die Gewohnheiten der Heimat ablegen. Und auch deren Fertigkeiten, mit denen im politischen Leben, schon gar dem in Berlin, kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen ist.

Es liegt einfach an der Zeit
Das möchte nicht – nur – als Schelte des längst üblichen alerten Politikertyps verstanden werden, des Politikers, der keine Kanten und keinen Stallgeruch mehr hat. Es liegt einfach an der Zeit.
Wer sich heute im politischen Geschäft Berlins behaupten will, braucht andere Fähigkeiten. Auch Beck hatte, mehr gerufen denn aus eigenem Antrieb, bundespolitische Ambitionen, und man kann nicht ausschließen, dass er – wie vor ihm der Pfälzer Helmut Kohl – eine Weile lang sogar das Bundeskanzleramt im Auge hatte.
Im Jahr 2006 wuchs ihm, als Mathias Platzeck aus Krankheitsgründen den SPD-Vorsitz abgab, dieses Amt gewissermaßen automatisch zu. Nach so vielen abrupten Abbrüchen im Amt sah es so aus, als käme mit ihm Ruhe in die Partei.
Einer wie er würde sie ruhig, freundlich und mit jenem Vermögen zum autoritären Basta führen, das in der Sozialdemokratie eine lange Tradition hat und durchaus geschätzt wird. Wie etliche andere dachte auch ich, dass auf Becks Parteivorsitz wohl zutreffen werde, was Hannelore Kohl einmal über ihren Mann gesagt hat: "Wer den hat, der hat ihn lang."
Als ich dieser Tage Klaus von Dohnanyi darauf anspreche, ist er entschieden anderer Meinung. Nein, sagt er, der mit Beck seit Langem befreundet ist, er habe keinen Moment geglaubt, dass dieser sehr lange Parteivorsitzender bleiben werde: "Das liegt einfach daran, dass die Politik auf eine bestimmte Weise intellektueller geworden ist. Heute ist der Typus Lassalle, weniger der Typus Ebert gefragt." Also nicht der, der mit seinem Habitus einen sozialdemokratischen Zustand verkörpert, sondern der, der anzettelt, zuspitzt, theoretisch tut und in vielen Gassen nervös unterwegs ist.
Dohnanyi ist so etwas wie der politische Ziehvater Kurt Becks. Gegensätze ziehen sich an, vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet der früher scharf und noch immer intellektuell auftretende Hanseat, von dem wenig Gemütlichkeit ausgeht, den Heimatmenschen in die Politik befördert, ja gelockt hat.
"Mann von altem Schrot und Korn"
1979 wurde von Dohnanyi, den man stilistisch nicht so schnell mit diesem Bundesland in Verbindung bringt, Vorsitzender der SPD in Rheinland-Pfalz, im gleichen Jahr brachte er die Partei bei der Landtagswahl auf 42 Prozent, ein Ende der CDU-Erbpacht wurde wenigstens vorstellbar.
Schon vor längerer Zeit war ihm der freigestellte Betriebsrat Kurt Beck aufgefallen, der aus der Christlichen Arbeiterjugend kam, in der Abendschule die Mittlere Reife erworben hatte und 1972 – dem Willy-Brandt-Jahr – der SPD beigetreten war. Von Dohnanyi gefiel die Art des jungen Mannes: "sehr abgewogen, im klassischen Sinne sozialdemokratisch, pragmatisch, vernünftig".
Als sie sich einmal trafen, Beck war mit seinem VW gekommen, nahm er – damals Staatsminister im Auswärtigen Amt – in seiner Limousine ein Stück mit und zwangsverpflichtete den Widerstrebenden zu einer Kandidatur für die Landtagswahl, auf einem sicheren Listenplatz.
Klaus von Dohnanyi nennt Beck einen "Mann von altem Schrot und Korn", nennt ihn mehrfach "erdnah", "menschennah" und scheint ein wenig zu bedauern, dass die SPD von heute dafür keinen Sinn mehr habe. Kurt Beck, schließt er, verkörpere "eine sehr nachdankenswerte Erinnerung an die SPD, wie sie einmal gewesen war: Wir kennen einander, wir stehen füreinander."
"Hier wachsen keine Revolutionäre heran"
Beck, der fleißige Netzwerker, hat die Macht nicht erobert – das war das Werk Rudolf Scharpings. Er hat sie übernommen, ausgebaut und verstetigt. Zwölf Jahre regierte er mit der FDP, dann alleine, zuletzt mit den Grünen: fast die ganze Palette durch.
Rainer Brüderle, lange in Becks Kabinett Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, ist ein höflicher Mensch, er weiß nur Gutes über ihn zu berichten, bleibt aber allgemein. "Die Zusammenarbeit mit ihm war kameradschaftlich, ein fairer Partner. Er war kein Liberaler, aber er hatte Verständnis dafür, dass die Freiheit der Menschen in Rheinland-Pfalz ein wichtiges Anliegen war."
Kurt Becks Erfolg beruhte darauf, dass er stets leutselig blieb, im Laufe der Jahre aber einen starken, ja harten Machtwillen herausbildete. Das Land ist ein Bindestrich-Land, auch daher sehr heterogen. Westerwald, Hunsrück, Eifel sind eher rau, der Süden aber, besonders die südliche Pfalz, ist eine vom Wetter verwöhnte Region, die auch in schlechten Zeiten nie ganz arm war. "Hier", sagt Brüderle auf die Frage, woher Beck das Talent zum Kompromiss habe, "wachsen keine Revolutionäre heran."
Sentimental ist sein Verhältnis zur SPD keineswegs
Es gibt Politiker, die gewissermaßen aus sich heraus, aus eigener Macht ganz nach oben kommen. Man findet sie vor allem in den Parteien, die nicht ans Kollektiv glauben oder die eher die besseren Leute anziehen, also bei CDU, FDP und den Grünen. Kurt Beck ist solch einer nicht. Als einer der wenigen führenden Sozialdemokraten seit Friedrich Ebert hat er kein Abitur, kein Studium.
Daher war ihm die Partei als Apparat nie Zumutung. Kleinen Leuten half es oft nicht weiter, wenn sie klug oder schlau oder beides waren. Sie brauchten die Apparatur der Arbeiterbewegung oder der Partei als Treppe, zumindest Geländer auf dem Weg nach oben. Für Kurt Beck war die SPD nicht Wärmestube, sondern probates Mittel zum Zweck. Er meint es ernst, wenn er auf Menschen zugeht, er interessiert sich wirklich, und er ist das, was man einen "Kümmerer" nennt. Seine Heimat liebt er sowieso, aber auch der Rest seines Landes macht ihn froh.
Viele können bezeugen, dass ihm unbekannte Winkel, Hinterhöfe und Gaststuben Rufe des Entzückens entlocken können, die beides sind: ehrlich und inszeniert. Sentimental ist sein Verhältnis zur SPD keineswegs, zwar nicht erst seit er 2008 unter größtem Druck am Schwielowsee vor den Toren Berlins den SPD-Vorsitz abgab. Er, der Gesellige, sagt: "Wo Menschen zusammenkommen, gehen eben allzu schnell Ideale verloren." Kurt Beck kennt die Einsamkeit.
Die Zeit der Egomanen schien zu Ende
Der größte politische Schlag wurde ihm versetzt, nachdem er 2006 Vorsitzender der SPD geworden war. Alles schien so gut zu passen, wer hätte den so würdig und ganz in der Tradition die Uhr August Bebels tragen können? Die Zeit der Kläffer, der Hinterhofstrategen, der Egomanen schien zu Ende zu sein.
Doch schnell kam Kurt Beck aus dem Tritt. Anders als einst in Bonn weht in Berlin ein scharfer Wind, Beck meint: "Die Bundespolitik wird massiv von Intrigen dominiert, wesentlich stärker als zu Bonner Zeiten." Beck, der gerne im äußersten Westen der Republik lebt, verlor auf dem Berliner Parkett die Wendigkeit, die er in Mainz oder Koblenz oder Kaiserslautern trotz seiner Körperfülle immer hatte.
Und doch wäre es zu einfach, Berlin und sein Klima für dieses Scheitern verantwortlich zu machen. Er hat sich als Parteivorsitzender verheddert, und es gelang ihm nicht mehr, jene in sich ruhende Selbstzufriedenheit auszustrahlen, mit der er zum Symbol für sein Land geworden war. Der König von Mainz wurde zum König ohne Land.
Und man setzte ihm zu: Als er nach einem Afghanistan-Besuch sagte, man müsse in Zukunft auch dem "moderaten Taliban" verhandeln, wurde er als außenpolitischer ABC-Schütze verhöhnt. Heute wird der Vorschlag von vielen der damaligen Kritiker geteilt.
"Er ist geerdet"
Sigmar Gabriel, sein Nach-Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, hat ihn kürzlich in Mainz besucht. Er spricht mit Achtung von Kurt Beck. Als ich Gabriel frage, ob es das Provinzielle sei, das ihn in Berlin habe scheitern lassen, antwortet der SPD-Vorsitzende, der zumindest am Wochenende mit Lust in der Harzer Provinz lebt: "Kurt Beck ist, wie ich auch, ein bekennender Provinzler. Das ist etwas anderes als provinziell, sondern das Wissen, dass Deutschland nicht nur aus Berlin, München oder Hamburg besteht und man sich im Land und bei den Leuten auskennen muss, wenn man gute Politik machen will."
Vielleicht sei das, wie auch die "irre Arroganz" nicht nur in Medien, Grund dafür gewesen, dass er sich so unsicher auf dem Berliner Parkett bewegt hat. Gabriel: "Er ist geerdet – genau das, was in der Politik so oft fehlt. Und: Wie alle, die von unten kommen, ist Kurt Beck bei Unfairness und Boshaftigkeit verletzlich." Auch Gabriel kommt von unten.
Zurück in Mainz sah Kurt Beck bald nicht mehr wie der gescheiterte Parteivorsitzende, sondern wieder wie der routinierte Ministerpräsident aus. Doch er hinterlässt, neben seinen Segnungen, hohe Schulden und das Debakel des Nürburgrings.
Mit einem Zaubertrick ist ihm auf den letzten Metern noch gelungen, ein halbwegs fröhliches Ende seiner Amtszeit hinzulegen. Er will sich nach dem Abschied vom Amt besonders dem Tierschutz widmen. Auf die Frage, welche Tiere dann in den besonderen Genuss seiner Fürsorge kämen, antwortete er: "Alle. Hund und Katz sind mir besonders nahe, aber das ist nicht der Maßstab." Eine Antwort, so ehrlich wie kalkuliert, Häuslichkeit und PR in einem.

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