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Wednesday, June 26, 2013

Der Geist der Luft von überall macht die Kunst Welt

Edward Snowden, der nützliche Idiot. Er war ein Niemand, bis er zwischen die Fronten von West und Ost geriet. Im Umgang mit ihm offenbart sich das gesamte Wesen der gegenwärtigen Weltpolitik.

Edward Snowden ist in aller Munde und dennoch unsichtbar: ein Luftgeist im Nirgendwo, auf den die Welt mit angehaltenem Atem schaut, auch wenn sie ihn (noch) nicht zu Gesicht bekommt. Nur selten schafft es ein Mensch, zum Hauptgesprächsthema der internationalen Presse zu werden, der scheinbar ein Niemand, jedenfalls ein Otto Normalverbraucher ist.
Snowden steht nicht in Amt und Würden. Er ist nicht der erste Mensch auf dem Mars und schon gar nicht der erste Westler, der ins Schmuddellager der Schurken überläuft. Trotzdem ist Snowden der Mann der Stunde. Genauer noch: Er ist die Wiederkehr des dritten Mannes in der Zwielichtigkeit, die sein literarischer Vorgänger Harry Lime im Roman von Graham Greene besaß. Auch von Lime ging diese schillernde Faszination aus, die nun Edward Snowden vorweisen kann. Anhänger besaß Lime ebenfalls.
Von der Literatur zur Politik. Auch politisch trifft auf Snowden das Bild vom dritten Mann zu. Im Duell zwischen Wladimir Putin und Barack Obama auf der einen, zwischen dem amerikanischen und chinesischen Präsidenten auf der anderen Seite steht eben der noch so knabenhaft wirkende Dritte, ein Nerd und Milchbart aus North Carolina, der seine Freundin von heute auf morgen verließ und auszog, den Großen der Welt das Fürchten zu lehren.

Snowden, der nützliche Idiot der Weltpolitik


Im Umgang mit Edward S. offenbart sich das gesamte Wesen der gegenwärtigen Weltpolitik – mit dem zögerlichen Präsidenten einer Supermacht, der seit langem international eine eher schwache Figur ist und mit einem Möchtegernriesen namens Wladimir Putin, der keine Gelegenheit auslässt, den Russen durch Imponiergehabe die eigene Größe vorzugaukeln.
Während Putin nur darauf wartet, die Amerikaner zu demütigen, kommt den Chinesen Edward Snowden wiederum gelegen, weil sie ihren asiatischen Nachbarn mit Hilfe des Whistleblowers zeigen können, wie schwach die Vereinigten Staaten im chinesischen Machtbereich sind, auch wenn es nicht den Tatsachen entspricht. Edward Snowden, der nützliche Idiot.
Auch in unseren Breiten hat der dritte Mann seine Bedeutung. Er wird als David gefeiert, der gegen den Goliath des US-Geheimdienstes kämpft. Ist er ein Held oder ein Verräter? Die meisten Deutschen halten ihn für einen Helden. Sie vergessen eines: Freigeister und Demokraten fliehen nicht in autoritäre Regime wie nach China, Russland oder Ecuador. Wenn sie meinen, sie müssten aufdecken, was die CIA und ihre Schwestern treiben, dann gehen sie zur New York Times oder Washington Post. Bob Woodward und Carl Bernstein haben es vorgemacht.

Alter SPD Steinmeier Grande in der Provinz?

Brandenburgs Regierungschef Platzeck ist angeschlagen. Jetzt macht das Gerücht die Runde, SPD-Fraktionschef Steinmeier könnte ihn ersetzen. Der dementiert sofort. Doch könnte ihm ein Wechsel gefallen?

Will sich Frank-Walter Steinmeier am Wochenende erholen, dann wird er Brandenburger, wenigstens einige Stunden lang, und manchmal über eine Nacht. Der SPD-Bundestagsfraktionschef reist dann nach Saaringen, einen kleinen Ortsteil von Brandenburg/Havel. Gerade einmal 70 Menschen wohnen in diesem Dorf, das nur aus einer Straße mit Backsteinpflaster besteht.
Steinmeier war noch Außenminister, als er hier vor fünf Jahren ein Appartment in einem stilvoll umgebauten Pferdestall mit Havel-Blick als Zweitwohnsitz bezog. Damals kandidierte er erstmals für den Bundestag – im großflächigen Wahlkreis 61, zu dem die Stadt Brandenburg zählt.
Während Steinmeier als SPD-Kanzlerkandidat scheiterte, zog er über das Direktmandat in den Bundestag ein. Nach wie vor ist er regelmäßig in seinem Wahlkreis unterwegs, schwärmt vom hier beheimateten Beelitzer Spargel und weiß um die Probleme von Orten wie Rathenow und Jüterbog.
Wird Frank-Walter Steinmeier künftig noch öfter in Brandenburg weilen und seine politische Heimat komplett hierher verlegen? Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung könnte Steinmeier im Herbst den gesundheitlich angeschlagenen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) ablösen. Der 59-Jährige ist seit 2002 Regierungschef in Potsdam. Jüngst erlitt er einen leichten Schlaganfall; an diesem Donnerstag will er seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen.

Steinmeier ließ gleich dementieren


Steinmeier ließ die Meldungen sogleich dementieren. "Das ist Unsinn", sagte sein Sprecher. Steinmeier sehe seine "Aufgabe im Bundestag und der Bundespolitik". SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann meinte zu den Spekulationen knapp: "Bullshit."
Selbst wenn Platzeck und Steinmeier derlei Überlegungen hegen sollten: Es käme einem politischen GAU gleich, würden sie jetzt, knapp drei Monate vor der Bundestagswahl, bekannt. Das personalpolitische Tohuwabohu bei der Bundes-SPD würde noch unüberschaubarer. Selbst ein öffentlich angedeutetes Liebäugeln Steinmeiers mit der Platzeck-Nachfolge brächte das ohnehin fragile Machtgefüge in der Sozialdemokratie aus der Balance. Hinzu käme der Eindruck: Steinmeier hat die Bundestagswahl bereits abgeschrieben – und plant schon jetzt seine Flucht.
Die SPD, in Umfragen bundesweit derzeit zwischen 22 und 25 Prozent liegend, kann eine solche Debatte nicht gebrauchen. Steinmeier wird im Volk geschätzt, und sein Abgang brächte vor allem den ohnehin schwächelnden Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in Bedrängnis.
Und doch gibt es Plausibilitäten für einen – mittelfristigen – Wechsel Steinbrücks nach Potsdam. Viel dürfte dabei vom Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl am 22. September abhängen. Sollte Peer Steinbrück Kanzler werden, dürfte er alles dafür tun, dass der verlässlich-solide Steinmeier Fraktionschef bleibt. Nicht zuletzt, um ein Gegengewicht zum Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zu bilden.

Steinbrück hält Gabriel für illoyal


Steinbrück hält Gabriel heute, anders als vor wenigen Monaten, für illoyal und unbeherrscht. Jüngst machte er das, mehr oder weniger, öffentlich deutlich. Die Lust von Steinmeier, noch einmal Außenminister zu werden, ist begrenzt. Von einer großen Koalition hält er inzwischen wenig, von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und deren reformerischem Nichtstun ist er enttäuscht. Zudem verliert das Auswärtige Amt beständig an Einfluss, diese Erosion der Macht hat sich durch den schwachen Minister Guido Westerwelle (FDP) noch beschleunigt.
Im Fall einer heftigen Niederlage der Bundes-SPD in knapp drei Monaten wäre Steinbrück weg vom Fenster, und Gabriel und Steinmeier womöglich auch. Das Gerücht, wonach er Regierungsverantwortung im politisch überschaubaren Brandenburg übernehmen will, gibt es in der SPD seit einigen Monaten. "FWS", wie Steinmeier bei seinen eigenen Leuten genannt wird, sei die holperige Zusammenarbeit mit dem unsteten Gabriel leid, heißt es.
Der aus Ostwestfalen stammende Protestant mit seinem preußischen Pflichtethos und einem Hang zur Pedanterie fühlt sich in Brandenburg wohl. Anders als viele Spitzenpolitiker interessiert sich der "Generalist" Steinmeier für politische Detailfragen und ist sich gewiss nicht zu schade, sich damit zu befassen. Auch als Nachfolger des ebenfalls angeschlagenen Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister von Berlin wurde er schon gehandelt.
Steinmeiers Machtbewusstsein wird wegen seines freundlichen, zuweilen bescheidenen Auftretens manchmal unterschätzt. Dabei hatte er nur durch einen machiavellistischen Machtanspruch nach dem 23-Prozent-Debakel bei der letzten Bundestagswahl seine politische Haut gerettet. Noch am Abend der Wahl, kurz nach den ersten Hochrechnung, kündigte der fulminant gescheiterte Kanzlerkandidat an, für den Vorsitz der SPD-Fraktion zu kandidieren. Steinmeier wurde gewählt, während Parteichef Franz Müntefering sein Amt verlor.

Steinmeier und die Linke – das passt


Mit den weitgehend pragmatischen Linken in Brandenburg könnte Steinmeier gewiss gut regieren, durch die linke Dominanz im Bundesrat lässt sich von Potsdam ein wenig das ganze Land regieren. Das bundespolitische Gewicht des kleinen Landes würde mit Steinmeier größer.
Und Platzeck? Der will am Donnerstag in der Staatskanzlei Vertreter der Tourismusbranche empfangen, um über die Folgen des Hochwassers zu reden. Eigentlich könnte das noch warten. Doch Platzeck will mit seiner Turbo-Rückkehr offensichtlich dem Eindruck entgegentreten, er sei nicht arbeitsfähig.
Denn längst stellt sich selbst für Vertraute die Frage: Schafft er das alles? Und vor allem: Sollte er sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft nicht doch wieder abgeben? Die Probleme am Pannen-Hauptstadtflughafen BER sind auch unter dem neuen Chef Hartmut Mehdorn gravierend.
Sofern Platzeck vor der regulären Landtagswahl im Herbst 2014 abträte, käme wohl in Brandenburgs SPD ein interner Nachfolger zum Zuge. In dem Bundesland genießen – mehr als in anderen – Sozialdemokraten, die aus der Region stammen, einen Bonus. Als aussichtsreichster und derzeit einziger interner Nachfolger Platzecks gilt der aus der Lausitz stammende Landesinnenminister Dietmar Woidke.
Der machte als Fraktionschef eine gute Figur, und die zeigt er auch, seit er das Amt des zurückgetretenen Rainer Speer übernommen hat. Das konnte man zuletzt bei der Bewältigung des Hochwassers sehen. Woidke startete seine Karriere als Umweltminister. Wie einst Platzeck. 

Friday, June 21, 2013

LED-Leuchten billig Sieg steht unmittelbar bevor

Osram steht vor dem eigenen Börsengang. Und warnt vor mehr Wettbewerbern auf dem Markt für LED-Lampen. Es droht ein starker Preisverfall – doch was die Siemens-Tochter fürchtet, freut die Verbraucher.

Die Siemens-Tochter Osram warnt gut zwei Wochen vor dem Börsengang vor einem scharfen Wettbewerb im Markt für LED-Lampen. "Bei Beleuchtungsprodukten ist historisch ein Preisverfall zu beobachten", heißt es in einem Börsenprospekt, den das Unternehmen am Freitag veröffentlichte. "Dieser Trend wird sich auch fortsetzen."
Die Veröffentlichung des Prospekts ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Börse. Am 8. Juli wird die Aktie des Unternehmens erstmals gehandelt werden. Im Januar hatten die Siemens-Aktionäre auf der Hauptversammlung den Weg für die Abspaltung geebnet. Siemens wird knapp ein Fünftel der Aktien halten, den Rest besitzen die Siemens-Eigner. Osram ist angehalten, im Börsenprospekt alle Marktrisiken zu beschreiben.
Der Beleuchtungsmarkt befindet sich in einem massivem Umbruch. So werden traditionelle Leuchtmittel wie Glühbirnen – in Zukunft aber auch Halogen- und Energiesparlampen – durch moderne Halbleitertechnologie abgelöst. LED-Lampen sind energiesparend, da sie kaum Wärme produzieren. Darüber hinaus funktionieren sie über Jahrzehnte hinweg. Sie stellen allerdings die Logik in der Beleuchtungsbranche auf den Kopf. Die Chipherstellung hat nichts mit der Fertigung traditioneller Lampentechnologie gemein.
Die Unternehmensberatung McKinsey sagt der neuen Technologie in einer viel beachteten Lichtstudie einen Siegeszug voraus. So gehen die Berater davon aus, dass LED 2016 bereits 45 Prozent und 2020 mindestens 70 Prozent des Lichtmarkts ausmachen werden. 2011 waren es erst zwölf Prozent. Die gesamte Beleuchtungsbranche setzte 2011 rund 73 Milliarden Euro um. 2020 sollen es 101 Milliarden Euro sein. Zum Vergleich: Osram erlöste im vergangenen Jahr 5,4 Milliarden Euro.
 
Die Entwicklung setzt traditionelle Hersteller wie Osram oder Philips unter Druck. Neue Wettbewerber sehen den Technologiewandel als Chance, sich auf dem Markt zu etablieren. "Unternehmen aus anderen Branchen, wie LG Electronics oder Samsung sowie andere Unternehmen in der Halbleiterbranche (…) dringen erfolgreich in den LED-Beleuchtungsmarkt ein", warnt Osram im Börsenprospekt. "Diese Unternehmen können Skaleneffekte in der Elektronikfertigung ausnutzen, die Osram derzeit nicht in gleichem Maße zur Verfügung stehen." Gefährlich dürften auch Wettbewerber aus China werden, die auf Staatshilfen setzen können.

Massive Überkapazitäten


Mit der Entwicklung einher geht ein massiver Preiskampf. "Der bestehende Preisdruck ist darauf zurückzuführen, dass Marktteilnehmer häufig Preisstrategien verfolgen, die darauf ausgerichtet sind, Marktanteile zu gewinnen oder zu schützen und die Auslastung der Produktionskapazität zu erhöhen", warnt Osram. Hierzu haben in den vergangenen zwei Jahren auch massive Überkapazitäten beigetragen. Osram stellt derzeit LED-Chips in Werken in Regensburg und in Malaysia her.
Eine unmittelbare Gefahr dürfte diese Entwicklung für Osram allerdings nicht darstellen. Das Unternehmen hat sich eine Position erarbeitet, die neue Spieler nicht ohne Weiteres angreifen können. So ist Osram der weltweit führende Hersteller von Beleuchtungen für Autos. In jedem zweiten Neuwagen, der weltweit von den Bändern rollt, steckt Technologie des Münchner Unternehmens.
In der Sparte "Speciality Lighting" erzielt Osram im ersten Halbjahr auch einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebita) in Höhe von 123,6 Millionen Euro. Im traditionellen Lampengeschäft hingegen fiel ein Verlust an, wozu auch Umbaukosten beitrugen. Überdies verfügt Osram über einen Schatz von 21.000 Patenten. Der garantiert, dass die Siemens-Tochter selbst dann Geld verdient, wenn Konkurrenten mit eigenen Ideen auf den Markt kommen.
Darüber hinaus kann Osram noch immer mit traditionellen Produkten Geld verdienen. So sorgt das Verbot von Glühbirnen in der EU dafür, dass etwa Halogenlampen von Osram stark nachgefragt werden. Man werde noch die "Erfolge der Vergangenheit" ernten können, steht es wörtlich im Prospekt.

Osram muss 8000 Jobs streichen


Osram ist trotzdem gezwungen, auf die unvermeidliche Umwälzung im Beleuchtungsmarkt zu reagieren. Das Unternehmen setzte im vergangenen Jahr das Transformationsprogramm "Osram Push" auf. Dieses Programm soll die Leistungsfähigkeit der Gruppe durch neue Prozesse und Strukturen sicherstellen.
Teil des Programms ist das Projekt "Zukünftige Werkslandschaft". Das sieht vor, dass die Produktionskapazitäten weltweit der künftigen Marktnachfrage angepasst werden. Das Ziel des Transformationsprogramms ist es, ab 2015 eine operative Marge von durchschnittlich acht Prozent zu erreichen.
Der Umbau dürfte jedoch zahlreiche Jobs kosten. Insgesamt werden 8000 Stellen dem Programm zum Opfer fallen, 1400 davon in Deutschland. Hierzulande soll der Abbau sozialverträglich erfolgen. Darüber hinaus stellt Osram Werke außerhalb Deutschlands, die nicht mehr zeitgemäße Produkte herstellen, zum Verkauf. So will das Unternehmen Ende 2014 nur noch 33 Werke weltweit betreiben. Ende 2011 betrieb man noch 39 Werke in 15 Ländern.
Die Umbauphase von Osram dürfte lange dauern. "Wir gehen davon aus, dass der Restrukturierungsteil des Osram Push-Programms im Geschäftsjahr 2014 im Wesentlichen abgeschlossen sein wird", schreibt Osram zwar. Gleichwohl wird gewarnt: "Osram erwartet jedoch, dass der technologische Wandel über das Jahr 2014 hinausgehen wird, welches zu weiteren Restrukturierungen im traditionellen Geschäft führen wird."

Merkel durchsetzen gegen Putin

Fingerhakeln auf offener Bühne: Die Kanzlerin droht mit einem verkürzten Besuch in Russland – und erzwingt so gegen Wladimir Putin ihr Rederecht bei einer Kunstausstellung mit deutscher Beutekunst

Wenige Politiker sind so erfahren in internationaler Diplomatie wie der russische Präsident Wladimir Putin und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber einen solchen Tag haben beide auch nicht oft erlebt: Aus einer Art Fingerhakeln auf offener Bühne ging am Ende Merkel als Siegerin hervor.
Merkel hatte einen bis dahin hinter den Kulissen schwelenden Streit am Morgen überhaupt erst öffentlich gemacht. Unmittelbar vor dem Abflug erfuhren die Journalisten aus geänderten Ablaufplänen: Merkel verkürzte ihre Reise schon vor deren Antritt! Die legendäre Eremitage von St. Petersburg werde sie nun nicht, wie geplant, besuchen – so der neue Plan.
In der Eremitage wollte die Kanzlerin gemeinsam mit ihrem Gastgeber Wladimir Putin am Abend eine bemerkenswerte Ausstellung mit Teilen aus deutscher Beutekunst in Russland eröffnen. "Bronzezeit – Europa ohne Grenzen" zeigt 600 Exponate, die vor dem Zweiten Weltkrieg in deutschen Museen zu sehen waren, unter anderem Schatzfunde von Heinrich Schliemann aus Troja, dessen Schatz von Priamos fast komplett von der Roten Armee aus Berlin weggeschafft worden war.
 

Eine Brüskierung der Kanzlerin


Das Gold war – wie die meisten damals geraubten Kunstgegenstände – lange weder zu sehen noch für Wissenschaftler zugänglich. Die Ausstellung bedeutet deshalb einen großen Schritt nach vorn – den Merkel würdigen wollte.
Aber die russische Seite wollte das nicht: Merkel sollte die Ausstellung wortlos eröffnen – so hatte es sich jedenfalls Putin vorgestellt. Die vom Protokoll vereinbarten Ansprachen des russischen Präsidenten und der Kanzlerin müssten entfallen, hatte es zwei Tage vor dem Besuch plötzlich aus dem Kreml geheißen. Merkels Leute im Kanzleramt konnten es erst gar nicht glauben. Ein aus Berlin angereister Staatsgast sollte der Eröffnung nur beiwohnen und schweigend zwei Reden von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und der Direktorin der Eremitage hören? Eine Brüskierung.
Doch Merkels Mitarbeiter reagierten nicht sofort beleidigt. Zu sensibel ist das Feld "Beutekunst": Die Duma, Russlands Parlament, hatte 1998 in einem Gesetz pauschal die von sowjetischen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg mitgenommenen Kunst- und Kulturgüter zu "Staatseigentum" erklärt. Deutschland hält dieses Gesetz für völkerrechtswidrig.

Nicht zusätzliches Öl ins Feuer gießen


Zuletzt gab es Hoffnung, dass von den über eine Millionen Kunstgegenständen wenigstens einige zurückgegeben würden, etwa solche, die nicht auf Befehl, sondern in sogenannten "Einzelplünderungen" entwendet, aus kirchlichen Beständen oder von Gegnern des Nationalsozialisten geraubt wurden. Andererseits las man in der Bundesregierung mit Besorgnis Meldungen, dass die Duma solche Gesten des guten Willens mit einem neuen, noch schärferen Gesetz ausschließen will.
Vor diesem Hintergrund wollte Merkel nicht zusätzliches Öl ins Feuer gießen. Ihre Berater boten als Kompromiss an, dass die Kanzlerin ihre Rede bei der Ausstellung auf ein kurzes Grußwort beschränkt. Am Ende war gar von weniger als drei Minuten die Rede. Aber alles half nichts: Die Russen wollten wohl um gar keinen Preis die deutsche Position in der Eremitage hören: Das Gespräch über die Beutekunst sei noch nicht zu Ende.
Die Russen wollten diese Botschaft nicht hören. Durch Merkels Absage waren die internationalen Medien nun voll davon. Und überschatteten den eigentlichen Anlass der Reise: Merkel besuchte das "Internationale Wirtschaftsforum", eine Visite, die sich Putin im Gegenzug zu seinem Auftritt bei der Hannover Messe erbeten hatte.
Begleitet wurde die Kanzlerin von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation: Eckhardt Cordes, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, nahm mit den Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock, BASF, Jürgen Fitschen, Deutsche Bank, Peter Löscher, Siemens, Martin Winterkorn, VW, und Jim Snabe, SAP, in der Regierungsmaschine Platz.

"Manchmal auch streng miteinander sein"


Viel mehr geht nicht: Denn so kompliziert das deutsch-russische Verhältnis in historischen Angelegenheiten und bei Menschenrechten ist, so gut läuft es ökonomisch. Putins Riesenreich hat Geld: In Petersburg berichtete er stolz, Russland komme nicht nur ohne neue Schulden aus, sondern habe auch die Inflationsrate im vorigen Jahr mit 6,3 Prozent auf einen für ein Schwellenland vernünftigen Wert gedrückt. Die Kanzlerin erklärte: "Deutschland will Russland in seinem Bemühen um Diversifizierung ein guter Partner sein."
Doch Putin hatte, wenig subtil, selbst beim Auftritt der Kanzlerin deutlich gemacht, welche Alternativen sein Land hat: Unmittelbar nach Merkel sprach der chinesische Vize-Premier Zhang Gaoli. Die Botschaft war klar: Wir haben nicht nur im Westen Abnehmer für unsere Rohstoffe.
Putin applaudierte Merkel bei ihrer Rede vor allem, als sie auf die Bewältigung der Euro-Krise zu sprechen kam. Ihre zum Repertoire gehörende Erklärung, warum es keine deutschen Hilfen ohne Reformen in Südeuropa geben könne, endete mit dem Satz: "Deshalb müssen wir manchmal auch streng miteinander sein."
Putin, der auch auf internationalen Gipfeln in internen Runden der Staat- und Regierungschefs stets die deutsche Position der Haushaltskonsolidierung stärkt, fand dazu jetzt das interessante Bild: "Bevor man etwas hineinpumpt, sei es Kavier oder Honig, sollte man sicherstellen, dass das Fass einen Boden hat."

"Es ist eine wichtige Ausstellung"


Weniger einig ist man sich beim Thema Syrien. Putin argumentierte, seine Waffenlieferungen an den Diktator Assad seien legitim, da dieser einem legitimen Regime vorstehe. Andere, damit waren unschwer die USA und ihre Verbündeten gemeint, rüsteten hingegen Rebellengruppen ohne Legitimität aus.
Merkel erinnerte an den Anfang der Woche auf dem G-8-Gipfel erzielten Kompromiss: Niemand unterstütze Terroristen, die UN prüfe die Vorwürfe, Giftgas sei eingesetzt worden, alle wirkten auf eine Friedenskonferenz in Genf hin. Bei der anschließenden Pressekonferenz überraschte Putin, dann, als er fragte: "Kann Assad gehen? Wer wird dann kommen?" Damit hätte er erstmals den Diktator aufgegeben – wenn es keine rhetorische Frage gewesen wäre. Auf Nachfrage erklärte er: Ob Assad gehen oder bleiben sollte – und welche Form der Regierung entstehen sollte, "das können nicht wir dem syrischen Volk vorschreiben."
Merkel wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass sie den Tag gewonnen hatte. Denn unmittelbar zuvor hatte Putin im Gespräch mit Merkel nachgegeben. Er lenkte ein und verkündete: "Heute Abend werden wir mit der Frau Bundeskanzlerin die Ermitage besuchen."
Putin bestritt aber, dass die Ausstellungseröffnung jemals abgesagt worden sei. Es sei nur um die Frage gegangen, ob es genügend Zeit für die Fahrt zur Eremitage geben werde. Beide Politiker kündigten eine Stellungnahme an. Merkel sagte: "Es ist eine wichtige Ausstellung."
Beim erstrittenen Rundgang mit Putin durch die Eremetage ließ sich Merkel demonstrativ Zeit. Anschließend kam es vor geladenen Gästen zum Showdown. Nach einleitenden Floskeln fragte Putin: "Was macht es für den normalen Bürger, ob diese Kulturgüter in Berlin gezeigt werden, in Petersburg oder der Türkei?" Ein sanfter Hinweis darauf, dass Teile der Artefakte von deutschen Forschern in Kleinasien gefunden worden waren.
Doch Putin beließ es nicht bei der Andeutung: "Vielleicht würden die Türken dann auch nicht die Kulturgüter von Deutschland zurückfordern und die Deutschen nicht von den Russen und die Russen nicht von den Deutschen. Dann hätten alle weniger Angst, sie aus dem Keller zu holen und zu zeigen."
Das war deutlich, doch auch Merkel zahlte mit gleicher Münze zurück: "Wir sind der Meinung, dass diese Ausstellungsstücke wieder nach Deutschland zurückkehren und den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Rechtsnachfolgern zurückgegeben werden sollten – und wir werden auch weiter darüber sprechen." Wie an diesem Tag.

Mitarbeit: Julia Smirnova
 

Anti Polen Worte Schlesien Köpfe sorgt Skandal

Neuer Skandal um die Landsmannschaft der Schlesier: Antipolnische Töne des Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka sorgen aktuell für Unruhe. Vorstandsmitglieder kündigten ihren Rücktritt an.

Das Deutschlandtreffen der Schlesier am Wochenende wird von einem Eklat um antipolnische Töne des Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka überschattet. Der als moderat geltende Vorsitzende der Schlesischen Landesvertretung, Michael Pietsch, trat nach Kenntnisnahme des Redemanuskripts zurück.
Die Rede wollte Pawelka beim Treffen des umstrittenen Vertriebenenverbands Landsmannschaft Schlesien in Hannover halten.
Sowohl Niedersachsens Landtagspräsident Bernd Busemann als auch Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagten ihre Teilnahme ab, nachdem sie vom Inhalt des Manuskripts vorab erfahren hatten. Das teilte das Innenministerium am Freitag in Hannover mit.

Auch andere Vorstandsmitglieder kündigen Rücktritt an


Busemann sagte, die geplante Rede Pawelkas diene nicht der deutsch-polnischen Versöhnung. Außerdem wolle Pawelka in seiner Rede Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch die CDU ins Visier nehmen. Neben Pietsch hätten auch andere Vorstandsmitglieder ihren Rücktritt angekündigt.
Beim letzten Deutschlandtreffen der Schlesier vor zwei Jahren war Niedersachsens damaliger Ministerpräsident David McAllister (CDU) während Pawelkas Rede aus dem Saal gelaufen, als dieser von einer polnischen Beteiligung am Holocaust gesprochen hatte.
Obwohl viele Vertreter der Landsmannschaft Schlesien wie Pietsch sich in der Vergangenheit als Brückenbauer zwischen Deutschland und Polen erwiesen haben, hielten sich auch rückwärtsgewandte Stimmen wie etwa die von Pawelka.

Häufig in der Kritik


Wegen antipolnischer Töne und dem Vorwurf einer mangelnden Abgrenzung von Rechtsextremisten standen die Landsmannschaft und Unterorganisationen immer wieder in der Kritik.
Das alle zwei Jahre abgehaltene Deutschlandtreffen mit Zehntausenden Teilnehmern wird in Hannover organisiert, da Niedersachsen Partnerland der Schlesier ist. Die Mehrzahl dieser Vertriebenengruppe – insgesamt rund 70.000 – fand nach dem Krieg in Niedersachsen eine neue Heimat. Jeder vierte Niedersachse hat schlesische Wurzeln.

dpa/fp

Monday, June 17, 2013

Beamte der Vermögenswerte der Rentner Lachen

Ein durchschnittlicher Rentner verfügt laut Bundesbank über ein Vermögen von 186.000 Euro – ein Beamter im Ruhestand hat 420.000 Euro. Zahlen zeigen: Der Wohlstand kommt bei vielen Deutschen nicht an.

Durch Deutschland geht nicht ein Riss, sondern zwei – zumindest finanziell gesehen. Denn die Vermögen sind innerhalb der Bundesrepublik sehr ungleich verteilt, wie eine Studie der Bundesbank nun ergab. In den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind die privaten Haushalte besonders wohlhabend.
Das Median-Nettovermögen, bei dem sich die Haushalte in eine ärmere und eine reichere Hälfte teilen, liegt dort bei fast 106.000 Euro. Das ist knapp doppelt so viel wie in Gesamtdeutschland mit 51.400 Euro. Noch eklatanter aber ist der Unterschied, wenn man die drei Bundesländer mit dem Osten vergleicht. Der Median liegt hier bei 21.440 Euro.
Doch damit nicht genug: Die selbstbewussten Süddeutschen sind der Bundesbank-Studie nicht nur reicher als der Osten. Sie sind auch deutlich reicher als der Norden der Republik, wo das Median-Vermögen bei 41.440 Euro liegt.
Die Bundesbank selbst begründet die ungleiche Vermögensverteilung innerhalb Deutschlands unter anderem mit der jahrzehntelangen Teilung von Ost und West. "Der gesamtdeutsche Median ist also immer noch durch das Erbe der DDR gedrückt, da die Haushalt im Osten vor der Wende nur wenige Möglichkeiten und Anreize hatten, Vermögen aufzubauen", schreiben die Autoren der Studie.

Und weil das Einkommen im Süden der Bundesrepublik dank der guten Wirtschaftslage dort auch höher ist als etwa in Norddeutschland oder in den Regionen Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz, hatten die Menschen mehr Geld, um größere Vermögen, vor allem Wohneigentum, aufzubauen.

EZB-Zahlen sorgten für Aufregung


Die gute wirtschaftliche Entwicklung im Süden hat für die Menschen dort einen weiteren Vorteil: Sie sind im Vergleich zum Rest Deutschlands nicht nur besonders wohlhabend, die Ungleichheit bei den Vermögen ist in dieser Region auch noch besonders niedrig. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Vermögen in den ärmeren Ländern auch noch ungleicher verteilt sind.
Doch nicht nur zwischen einzelnen Regionen Deutschlands ergeben sich große Gefälle. Auch zwischen den sogenannten "Referenzpersonen nach sozialer Stellung" sind die Unterschiede bemerkenswert – vor allem zwischen Rentnern und pensionierten Beamten. Das Median-Vermögen deutscher Rentner liegt bei 74.610 Euro. Pensionäre können darüber nur lachen. Deren Median-Vermögen liegt bei 261.000 Euro.
Ebenso auffällig ist der Unterschied bei den Durchschnittsvermögen der Alten: Deutsche Rentner nennen im Schnitt 186.000 Euro ihr Eigen, berichtet die Bundesbank. Pensionäre dagegen kommen mit 420.000 Euro auf deutlich mehr.
Die Bundesbank begründet diesen riesigen Unterschied vor allem mit der beruflichen Sicherheit der Beamten. Erstens würden diese nie arbeitslos und könnten daher über ihr gesamtes Berufsleben hinweg Vermögen aufbauen, ohne dass Jobverluste ans Ersparte gingen, sagte ein Sprecher.
Zweitens täten sich die Beamten leichter, Wohneigentum als stärkste Quelle privater Vermögen zu erwerben. Wer keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben müsse, könne sich auch leichter eine Wohnung kaufen.
Wenig überraschend dagegen ist, dass die Vermögen mit steigendem Bildungsgrad deutlich zulegen. Wer eine Fachschule, Fachhochschule oder Hochschule abgeschlossen hat, spart in Deutschland die höchsten Vermögen an, dank höherer Einkommen. Und nach Nationalität gegliedert, haben Deutsche in der Bundesrepublik mit 54.920 Euro ein mehr als doppelt so hohes Median-Vermögen als Bürger anderer Nationalität mit 20.240 Euro.
Die Studie zu den Vermögensverhältnissen in Deutschland basiert auf einer Umfrage im Auftrag der Europäischen Zentralbank (EZB). Bereits Anfang April hatte eine erste Auswertung dieser Befragungen für Aufsehen gesorgt.

Die Teilung des Landes wirkt nach


Fast verschämt wurde damals nach der umstrittenen Rettung Zyperns veröffentlicht, dass die Menschen in Krisenregionen der Euro-Zone über ein weit höheres Vermögen als die Deutschen verfügen. In Zypern etwa haben die Bürger ein Median-Nettovermögen von 266.900 Euro, in Italien von 173.500 Euro und in Spanien von 182.700 Euro. Ganz oben auf der Liste stehen die Luxemburger, die auf fast 400.000 Euro kommen.
Grund für das im europäischen Vergleich recht geringe Vermögen der Deutschen sind laut Bundesbank die Folgen der beiden Weltkriege, die Teilung des Landes und der – im internationalen Vergleich – geringe Anteil von Eigenheimbesitzern. Laut Studie sind Eigentümer von Immobilien deutlich reicher als Mieter-Haushalte, was wenig überrascht. Gleichzeitig sei Wohneigentum in Deutschland vergleichsweise selten, betonte die Bundesbank.
"Der Erwerb von Immobilien scheint sich, angesichts eines breiten und leistungsfähigen Marktes für Mietwohnungen, als weniger dringlich darzustellen." Außerdem sind Wohnungen in den Krisenländern nach Jahren der Krise heute häufig längst nicht mehr so viel Wert wie zum Zeitpunkt der Befragung. In Spanien, wo ein Immobilienboom geplatzt ist, fällt das besonders auf.
Zudem stellt die Studie im Vergleich mit den Euro-Ländern eine ungleiche Verteilung von Geld und Besitz fest, allerdings sei sie "deutlich gleichmäßiger" als in den USA und der Schweiz.
Lesen Sie auch den Kommentar.

War Obama von Europas Machtzentrum erwartet

Washington hofft, dass Deutschland endlich auch außerhalb Europas eine Außen- und Sicherheitspolitik betreibt, die seinem Gewicht angemessen ist - und nicht länger die zweite Schweiz sein will

Seit Jahren stimmen Kommentatoren den Abgesang auf die amerikanische Weltmacht an, die im Niedergang begriffen sei. Wer wissen will, wie es wirklich um den Zustand Amerikas als globale Macht bestellt ist, muss sich nur ansehen, in welch fiebrige Aufgeregtheit Besuche des US-Präsidenten die Öffentlichkeit des jeweiligen Gastlandes versetzen. Das ist in Deutschland nicht anders als in Israel, Birma oder Großbritannien.
So wird man im Kanzleramt nicht müde, das "Historische" des anstehenden Besuches zu unterstreichen, wenn Barack Obama am Mittwoch in der Stadt reden wird, in der sein Vorgänger John F. Kennedy vor 50 Jahren die Deutschen mit seinen berühmten Worten "Ich bin ein Berliner" der Unterstützung Amerikas versicherte. Die Welt hat sich seitdem deutlich gewandelt.
Aus einem verunsicherten, geteilten Deutschland ist die wiedervereinigte Großmacht im Herzen Europas geworden. Und Amerika, das mit seiner Entschlossenheit den Kalten Krieg für sich entschied, sieht sich einer neuen Weltunordnung gegenüber, die nach mehr Ordnungskraft verlangt, als das nach zwei Kriegen erschöpfte Land zu geben bereit ist.
 
Wenn Barack Obama und Angela Merkel in Berlin konferieren, dann treffen der widerwillige europäische Hegemon und der widerwillige globale Hegemon aufeinander. Und diese Rollenverteilung erklärt einige der Schwierigkeiten, die Deutschland und die USA in den vergangenen Jahren miteinander hatten.

Europas Nutzen für Amerika


Obama sieht es als seine Aufgabe, die US-Außenpolitik wieder in Deckung zu bringen mit den wirtschaftlichen und fiskalischen Möglichkeiten des Landes. Er ist ohnehin kein sentimentaler Politiker, hat aber auch persönlich kaum Bindungen an Europa.
Frei von Sentimentalitäten fragt sich Obama heute vor allem, welchen Nutzen der Kontinent bringt, um die Amerikaner als Weltordnungsmacht zu entlasten. Und darauf lautet die Antwort: immer weniger. Europa hat es seit Jahrzehnten versäumt, einen fairen Beitrag an den Verteidigungsausgaben innerhalb der Nato zu leisten. Und seit die Krise zugeschlagen hat, werden die Verteidigungsbudgets weiter zurückgeschnitten.
Selbst wenn Mächte wie Frankreich oder Großbritannien noch über eine globale strategische Vision verfügen, so mangelt es ihnen an der militärischen Hardware, um diese Vision gegebenenfalls auch mit Machtprojektionen unterfüttern zu können. Und dann ist da noch der ökonomische Riese Deutschland, dem es an beidem fehlt: an Hardware genauso wie an der Mentalität, sich auch außerhalb Europas als strategisch handelnder außenpolitischer Akteur zu verstehen.
Die Obama-Regierung war in den vergangenen Jahren nicht besonders glücklich über die Art, wie Berlin die Euro-Krise gemanagt hat, auch weil es in Washington an Verständnis fehlte für den delikaten Balanceakt Merkels, einerseits Hilfen zu gewähren, andererseits den Reformdruck auf die Krisenländer aufrechtzuerhalten. Dennoch wurde Berlin auch in den Augen Washingtons zum eigentlichen Machtzentrum Europas und zur ersten Anlaufstelle in der Euro-Krise. Wenn die Amerikaner jedoch in harten außereuropäischen Fragen nach Partnern suchen, dann steht Deutschland weit unten auf der Liste, egal, ob es um Libyen geht, um Ägypten oder Syrien oder gar um das Kräftegleichgewicht im Südchinesischen Meer.

Zwischen Charmeoffensive, Enttäuschung und Akzeptanz


Das Verhältnis des Präsidenten zu Europa hat drei Phasen durchlaufen. Anfangs umgarnte er die Europäer mit einer Charmeoffensive. Dann setzte Enttäuschung ein, weil klar wurde, dass es nicht nur George W. Bush war, der die europäischen Partner abgehalten hatte, sich in Afghanistan oder anderswo stärker zu engagieren.
Und inzwischen sind die USA in der Phase ernüchterter Akzeptanz angelangt. Sie erwarten nicht mehr sonderlich viel von Europa und versuchen, das Beste daraus zu machen. Ausdruck dieses neuen Pragmatismus ist der Versuch, ein nordatlantisches Freihandelsabkommen zu schließen. In der Handelspolitik sind die Europäer, was sie in der Außenpolitik gerne wären, aber wohl nie sein werden: eine mächtige Einheit.
Ein solches Abkommen würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen, es würde Unternehmen beiderseits des Atlantiks Kostenvorteile verschaffen. Vor allem jedoch würde es dem Westen ermöglichen, weiter Standards zu setzen, und gleichzeitig ein wichtiges politisches Signal der Einigkeit aussenden.
Zwar leidet Frankreich weiter unter seiner Globalisierungsneurose und ist derzeit der wichtigste Unsicherheitsfaktor für die gemeinsame Freihandelszone. Dennoch stehen die Zeichen für ein Abkommen besser denn je, weil das Gefühl der eigenen Schwäche beide Seiten des Atlantiks eint. Angesichts der aufstrebenden Player in Asien und Lateinamerika hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass der Westen enger zusammenstehen muss, wenn er die neuen Herausforderungen meistern möchte.

Verantwortung für das Schicksal des freien Westens


Es ist nicht das Schlechteste, wenn der Westen neben der stets beschworenen Wertegemeinschaft sich nun auch stärker als Nutzwertgemeinschaft definiert. Denn gerade den jüngeren Deutschen sagen Kalter Krieg, Rosinenbomber und Luftbrücke immer weniger. Die ritualisierten Beschwörungen der Geschichte und die Anrufung Kennedys reichen nicht mehr, um das deutsch-amerikanische Verhältnis zukunftsfähig auszurichten.
Die Deutschen sollten sich aber auch darauf einstellen, dass das Nazi-Argument immer weniger zieht. Denn immer häufiger haben unsere Partner das Gefühl, Berlin setze die Vergangenheit nur als wohlfeiles Argument ein, um sich aus den Händeln dieser Welt herauszuhalten.
Deutschland hat inzwischen innerhalb Europas das in der Wiedervereinigung angelegte Machtpotenzial realisiert. Und nicht nur Washington wartet weiter darauf, dass Berlin auch jenseits Europas eine Außen- und Sicherheitspolitik betreibt, die seinem wirtschaftlichen Gewicht angemessen ist. Außenpolitisch eine "größere Schweiz" zu bleiben, wie es der "Economist" gerade genannt hat, wird da nicht reichen.
In der Zeit Kennedys erwartete sich Deutschland militärischen Schutz und außenpolitische Problemlösung vor allem von den USA. Heute erwarten die USA und andere Partner, dass wir uns mit einem fairen Anteil an den Lasten einer westlichen Sicherheits- und Ordnungspolitik beteiligen. Vor 50 Jahren erklärte sich Kennedy zum Berliner, um die Einheit des freien Westens zu demonstrieren.
Heute ist die Frage, ob der Berliner zum wirklichen Weltbürger wird. Ob Deutschland also bereit ist, gleichermaßen Verantwortung für das Schicksal des freien Westens zu übernehmen.

Wednesday, June 12, 2013

Allianz der amerikanischen Erzfeinde Erotik

Ist Edward Snowden ein Held oder ein Verräter, weil er das Ausmaß des US-Spähprogramms enthüllte? Zwischen Rechten und Linken bilden sich in der Frage Allianzen, die vor Kurzem undenkbar schienen

Präsident Obama schweigt, der Verräter – oder Held – Edward Snowden ist untergetaucht, und Amerikas politische Klasse zerfällt in erstaunliche Allianzen, die das Establishment beider Parteien gegen Radikale beider Lager vereint: Was immer Snowden mit der wohl spektakulärsten Enthüllung von Regierungsgeheimnissen seit den Pentagon Papers 1971 im Sinn hatte, schon jetzt hat er Unerhörtes erreicht.
Barack Obama, 2007 angetreten in der Empörung gegen eine Bush-Regierung, die nach "9/11" die Sicherheit der Bürger über deren Freiheitsrechte erhob, sieht sich von zornigen Ex-Anhängern wie von libertären Erzfeinden auf der Rechten als Freiheitsverächter gebrandmarkt. Seine Regierung wird mit Prozessen überzogen. Der Mann, der auszog, der "transparenteste Präsident" der US-Geschichte zu sein, gilt früheren Verehrern als zynischer Lügner.
Zugleich bildet die linksliberale US-Senatorin Barbara Boxer mit ihrem republikanischen Lieblingsfeind im Senat Lindsay Graham und Fraktionschef John Boehner ein Bündnis, das in dem Prism-Programm eine notwendige Konsequenz aus "9/11" erkennt. Die das Programm verteidigt und Leute wie Snowden als Verräter, bestenfalls als sträflich naiv verurteilt. Liberale Journalisten wie Jeffrey Toobin, Rechtsexperte von CNN und "New Yorker", sowie Joe Klein ("Time") schimpfen Snowden einen kriminellen Narziss und lästern über "durchgeknallte Menschenrechtler" (Klein).
 

Erinnerungen an Irak-Kriegszeit werden wach


Die sonderbaren Allianzen erinnern an die Monate vor und nach Ausbruch des Irak-Krieges. Damals schlugen sich Linksintellektuelle wie Christopher Hitchens auf die Seite der Neokon-Interventionisten um Präsident George W. Bush. Wiederum war "9/11" die Zäsur, die linksliberale Idealisten zum Umdenken bewogen hatte.
Der terroristische Erwähltheitswahn der Dschihadisten machte Hardliner aus reflexhaften Menschenverstehern. Sie sahen die westliche Werte, von der Bergpredigt bis zur Aufklärung, angegriffen und verteidigten den Krieg in Notwehr. Hitchens, im Dezember 2011 viel zu jung – mit 62 Jahren – an Krebs gestorben, wäre heute auf der Seite der Verteidiger von Prism. Es gibt keinen Schutz der Freiheit ohne ihre Einschränkung, würde er argumentieren. Mit Orwells Überwachungsstaat, der Freiheit hasst, habe das nichts gemein.
Ebenso argumentiert heute der konservative Kolumnist David Brooks, der Snowden noble Motive und gefährliche Blindheit unterstellt: "Big Brother ist nicht die einzige Gefahr, der sich das Land gegenübersieht. Eine andere ist die ansteigende Flut des Misstrauens, die zersetzende Wirkung des Zynismus, das Zerfasern des sozialen Gewebes und der Aufstieg von Menschen, sie so individualistisch in ihrem Weltbild sind, dass sie nicht mehr wissen, wie man zusammenkommen und das Gemeinwohl schützen kann." Diese Gefahr, so Brooks, verstehe Snowden nicht: "Er macht sie schlimmer."

Bürgerrechtler strengen Prozess an


Während das US-Justizministerium versucht, eine Anklage vorzubereiten und damit einen Haftbefehl, der allein die Behörden in Hongkong zur Auslieferung Snowdens bewegen könnte, formiert sich die Gegenseite in den USA zum Angriff auf den "anmaßenden Überwachungsstaat" über die Gerichte. Die American Civil Liberties Union" (A.C.L.U.) hat als Kundin des Telefonkonsortiums Verizon (und damit als Ausspähziel der Regierung durch Prism) einen Prozess angestrengt.
Die einzige Hoffnung besteht in einem Eilmarsch durch die Instanzen bis zum U.S. Supreme Court. Das amerikanische Verfassungsgericht ist, so hoffen die A.C.L.U. und ihre Alliierten, die Instanz, die das Prism-Gesetz kassieren könnte. Allerdings sind ähnliche Vorstöße von Bürgern wie Institutionen häufig daran gescheitert, dass die Regierung mit Verweis auf "Staatsgeheimnisse" die Gerichte zur Abweisung der Verfahrens bewegt.
Was aber eint den linken Filmemacher Michael Moore mit dem Radio-Rechtsausleger Rush Limbaugh? Was verbindet den libertären Senator Rand Paul mit Daniel Ellsberg, dem Enthüller der "Pentagon Papers"? Es ist das moralisch begründete Gefühl, dass Edward Snowden kein Verräter ist, sondern ein Held. Dass ihm Dank und Preise gebühren, nicht Strafverfolgung und Haftstrafen.

Bushs Beliebtheit steigt plötzlich wieder


Es versteht sich, dass die Allianz der Erzfeinde fragil ist und auf das Engste auf den NSA-Skandal begrenzt. Doch ihre Existenz allein ist eine Sensation. Eine PEW-Umfrage sieht 56 Prozent der US-Bürger auf der Seite der Regierung, 41 Prozent im Protest gegen die Ausspähung. Wie aussagekräftig solche Werte sind, bleibt angesichts der dürren Informationslage über die "Staatsgeheimnisse" fraglich.
Wenn man nichts zu verbergen habe, schworen schon George W. Bush und seine Anhänger bei der Verabschiedung des Patriot Act, müsse einen staatliche Kontrolle nicht schrecken.
Ist es ein Zufall, dass eine neue Gallup-Erhebung zum ersten Mal seit 2005 eine mehrheitlich positive Meinung über George W. Bush feststellt? 49 Prozent schätzen den Mann, 46 lehnen ihn weiter ab. Bush wird es mit Genugtuung sehen, Barack Obama vielleicht mit Schrecken.
Snowden jedefalls hält den Ball ganz flach. Aus Hongkong lässt er lapidar wissen: "Ich bin weder Verräter noch Held. Ich bin ein Amerikaner."

"Wir sind zu einer Gesellschaft klüger"

Das Hochwasser von 2002 bewegte viele Deutsche zum Spenden. 2013 ist das anders, die Hilfsorganisationen klagen über geringere Geldeingänge. Warum? Ein Gespräch mit einem Katastrophenforscher
 
Die Welt: Die Deutschen spenden kaum für die Flutopfer. Das war nach 2002 noch anders. Woran liegt es ?
Wolf Dombrowsky: Viele Menschen haben Zweifel, ob die Spendengelder auch an der richtigen Stelle ankommen. Und gehen davon aus, dass bei uns die meisten versichert und im Allgemeinen recht wohlhabend sind. Sie haben zudem den Eindruck, dass es große Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der Hilfen gibt. Und es ärgert sie, wenn eine Gemeinde etwa in ein neues Rathaus statt in einen Deich investiert hat. Das hält viele Menschen vom Spenden ab.
Die Welt: Betroffene und Hilfskräfte scheinen die Dinge besser im Griff zu haben als 2002. Spielt auch das eine Rolle bei Bereitschaft, zu spenden?
Dombrowsky: Ja, die Spendenbereitschaft steigt, wenn man glaubt, dass die Menschen Opfer einer Katastrophe wurden, gegen die man nichts tun konnte. Wenn jedoch angenommen wird, dass man die Katastrophe hätte vermeiden oder mildern können, bleibt das Portemonnaie zu. Die Diskussion über Versäumnisse beim Hochwasserschutz und bei der Eigenvorsorge der Anwohner trägt zu dieser Sichtweise bei
 
Die Welt: Was bewirken Bilder von der Flut?
Dombrowsky: Bilder von hilflosen Menschen schüren Emotionen, und das erhöht die Bereitschaft, ihnen zu helfen und Geld zu spenden. Bei der Elbeflut vor elf Jahren wurde noch sehr emotional über die Ereignisse berichtet, heute überwiegen sachliche Reportagen. Die Wahrnehmung einer Hochwasserkatastrophe hat sich verändert. Das sehe ich als großen Fortschritt.
Die Welt: Die Menschen haben dazugelernt?
Dombrowsky: Die Gesellschaft ist klüger geworden und weiß heute besser, mit viel Regen und viel Wasser in den Flüssen umzugehen. Die Gesellschaft und jeder Einzelne haben stärker das Gefühl, das Schicksal gestalten und sich vor Katastrophen selbst schützen zu können.
Die Welt: Nach einer Massenkarambolage auf der Autobahn ruft ja auch niemand zu Spenden auf.
Dombrowsky: Zwar ist beim Hochwasser die Dimension größer – trotzdem: So wie Verkehrsplanung und Verkehrserziehung vor Schaden bewahren, könnte auch das Flussmanagement und der Bevölkerungsschutz Risiken mindern und vor Schäden bewahren. Das wäre klüger als jedes Spenden.
Die Welt: Welche Konsequenzen sollte die Politik aus dem veränderten Bewusstsein der Bevölkerung ziehen?
Dombrowsky: Die Politiker sollten den Gestaltungswillen der Menschen aufgreifen und fördern. Wenn eine Bank systemrelevant ist, dann ist es ein Fluss – zumindest in den Augen der Betroffenen – auch.
Die Welt: Trotz der geringen Spendenbereitschaft ist die Hilfsbereitschaft der Menschen nach wie vor sehr groß. Wie ist das zu erklären?
Dombrowsky: Menschen helfen sich in der Not. Das ist eines der grundlegenden menschlichen Tauschverhalten: Hilfst du mir, helfe ich dir. Ohne die Unterstützung der anderen kann der Einzelne im Katastrophenfall nicht überleben.
Die Welt: Steckt das in den Genen?
Dombrowsky: Ja, wir sind Gruppenwesen, deshalb wird gegenseitige Hilfe nie verschwinden. Und zunehmend wird soziale Direktheit gesucht. Die Menschen fahren persönlich vor Ort, um selbst zu helfen. So können sie sicher sein, dass ihre Hilfe ankommt, wo sie gebraucht wird. Auch das trägt dazu bei, dass weniger Geld gespendet wird.
Die Welt: Welche Rolle spielen die sozialen Medien wie Twitter und Facebook bei der Organisation der Hilfseinsätze?
Dombrowsky: In den USA ist das schon seit vielen Jahren üblich, in Deutschland ist das in der Tat ein neuer Trend. Twitter und Facebook eröffnen die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und Hilfe zu dirigieren. Auch das trägt dazu bei, sich nicht als dummes Opfer zu fühlen.
Wolf Dombrowsky ist Professor für Katastrophenmanagement an der Steinbeis Hochschule Berlin und Mitglied im Deutschen Komitee für Katastrophenvorsorge

Friday, June 7, 2013

China erwägt Strafzölle auf europäische Autos

Der Handelsstreit zwischen der EU und China eskaliert. Ging es zunächst nur um Strafzölle auf Solarmodule, droht Peking nun mit Sonderabgaben auf Autos. Besonders deutsche Hersteller wären betroffen.


China erwägt nach Angaben der europäischen Autobauer Strafzölle auf den Import von Fahrzeugen. Ein Sprecher des europäischen Autoherstellerverband ACEA sagte, vorläufige Strafzölle auf Autos mit einem Hubraum von mehr als zwei Litern könnten ab September erhoben werden. Vor allem BMW, Daimler und Audi sind in China in diesem Segment stark vertreten.
Damit sei zu rechnen, falls die EU-Kommission nicht von ihrer gegenwärtigen Handelspolitik gegenüber China abweiche. Die EU hatte Strafzölle auf chinesische Solarmodule verhängt, die Volksrepublik hatte daraufhin am Mittwoch eine Anti-Dumping- und Anti-Subventionsprüfung gegen europäische Wein-Importe eingeleitet.
Vor allem einige deutsche Autobauer, die in China einen großen Marktanteil haben, nähmen die Drohungen sehr ernst, sagte ein ACEA-Sprecher. Wenn es keine Verbesserung des politischen Klimas gebe, dann werde China voraussichtlich "Vergeltung" üben.
Die französische Zeitung "Les Echos" hatte zuvor berichtet, die Regierung in Peking werfe europäischen Oberklasse-Autobauern vor, dass diese dank Beihilfen ihre Fahrzeuge in China unter Wert verkaufen könnten. Die chinesischen Behörden prüften entsprechende Beschwerden einheimischer Autobauer
 
Deutschland und andere EU-Staaten haben sich gegen die EU-Solarstrafzölle ausgesprochen, weil sie einen Handelskrieg mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt befürchten. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatte die Strafzölle deshalb als schweren Fehler bezeichnet. Die europäische Solarbranche befürwortet sie jedoch, weil sich die Unternehmen durch Billigimporte aus China in ihrer Existenz bedroht sehen.

USA fordern globale Lösung des Streits


Die USA machen sich unterdessen für eine globale Lösung des Solarstreits mit China stark. Die USA hätten bereits anfängliche Verhandlungen geführt, die zu einer globalen Einigung auf die Beilegung des Handelskonfliktes führen könnten, sagte Mike Froman aus dem Wirtschaftsstab von Präsident Barack Obama bei einer Anhörung zu seiner Nominierung für den Posten des US-Handelsbeauftragten. Er selbst spreche sich für eine solche Einigung aus, erklärte Froman.
EU-Handelskommissar Karel De Gucht hatte im Mai erklärt, die USA und Europa verzichteten vorerst auf einen Schulterschluss in dem Streit über Solarmodule. China droht der EU mit Vergeltung für Solarstrafzölle und hat Strafabgaben auf Wein-Importe aus Europa angekündigt.
De Gucht hofft nach eigenen Angaben trotz der jüngsten Zuspitzung des Streits auf eine Verhandlungslösung.
Reuters/dpa/pos
 

Washington bekommt Nutzerdaten von Google und Facebook

Die US-Regierung kann offenbar direkt auf die Server aller großen Internetkonzerne zugreifen und so Daten von Nutzern holen, von E-Mails bis Bewegungen. Obama wird täglich darüber berichtet.

Der US-Geheimdienst NSA und die Bundespolizei FBI zapfen nach Informationen der "Washington Post" direkt die zentralen Rechner von fünf Internet-Firmen an – mit deren Zustimmung. Den Zeitungen zufolge extrahieren die NSA- und FBI-Fahnder Audio, Video, Fotos, E-Mails- Dokumente und Verbindungsdaten, um Kontakte und Bewegungen einer Person nachzuvollziehen.
Der Zeitung zufolge wurde PRISM im Jahr 2007 unter Präsident George W. Bush gestartet und von dessen Nachfolger Barack Obama ausgebaut. Die Erkenntnisse aus dem Programm seien inzwischen Grundlage für jeden siebten Geheimdienstbericht.
Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar. Diese hätten im vergangenen Jahr in 1477 Einträgen PRISM-Erkenntnisse zitiert.

Geheimdienst-Mitarbeiter hat Papiere öffentlich gemacht


Die "Washington Post" beruft sich bei ihren Angaben auf eine interne Programm-Präsentation für leitende NSA-Analysten. Dazu gehörten Diagramme, die der Zeitung zugespielt worden seien. Das Blatt berichtete weiter, ihm seien die Papiere zum streng geheimen Programm von einem Geheimdienst-Mitarbeiter zugespielt worden.
Dieser sei entsetzt gewesen über die grobe Verletzung der Privatsphäre der Nutzer. "Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren", wurde der Insider zitiert. Die Daten ermöglichten es den Behörden, Bewegungen und Kontakte einer Person über einen langen Zeitraum zu verfolgen.
 
Den Angaben zufolge geht daraus hervor, welche Internet-Firmen sich beteiligten: Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple. Der Clouddienst "Dropbox" soll in Kürze folgen.

Betroffene Firmen dementieren


In ersten Reaktionen hieß es bei Microsoft, Google, Apple, Facebook und Yahoo, man gewähre keiner offiziellen Stelle direkten Zugang zu Servern. Google teilte mit, der Regierung sei nie "eine Hintertür" geöffnet worden.
Microsoft erklärte, man folge nur solchen Anweisungen, die sich auf "spezifische Nutzer oder identifizierende Merkmale" bezögen. "Wir haben noch nie von PRISM gehört", sagte gar ein Apple-Sprecher. Wenn eine Regierungsstelle Zugang zu Nutzerdaten erhalten wolle, müsse sie eine richterliche Anordnung vorlegen.

Erfassung von Telefondaten


Die britische Zeitung "The Guardian" berichtet zudem, dass der amerikanische Geheimdienst derzeit Daten über Telefongespräche von Millionen US-Einwohnern sammelt. Ein Gericht habe entschieden, dass der große Telefonanbieter Verizon detaillierte Informationen über alle Telefonate innerhalb der USA und zwischen der USA und dem Ausland an die Behörde geben müsse.
Bei einem Treffen mit Vertretern der US-Geheimdienste haben sich Senatoren erstaunt über ein Regierungsprogramm zur Erfassung der Telefondaten von Millionen Amerikanern gezeigt. Einige hätten verwundert bemerkt, dass sie nichts davon gewusst hätten, sagte die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Dianne Feinstein, nach der hastig angesetzten Sitzung am Donnerstag.
An dem Treffen hinter verschlossenen Türen nahmen unter anderem hochrangige Mitglieder des Nachrichtendienstes NSA sowie der Bundespolizei FBI teil. Von 100 Senatoren erschienen 27. Feinsteins republikanischer Kollege Marco Rubio erklärte anschließend zur Frage, ob Missbrauch betrieben worden sei: "Man kann jedes Programm verbessern."
Die Regierung von Präsident Barack Obama hat die Existenz des Programms inzwischen bestätigt. Die Maßnahme diene dem Schutz vor Terroranschlägen.
Unklar blieb jedoch, ob die Abgeordneten vom Umfang der Sammlung wussten. Der republikanische Senator Josh Earnest zeigte sich in einer Anhörung mit Justizminister Eric Holder besorgt, dass mit dem Programm auch die Telefondaten von Abgeordneten oder des Obersten Gerichts erfasst worden sein könnten. "Es hat nie die Absicht bestanden, etwas in dieser Art zu unternehmen", sagte Holder dazu. Er könne Einzelheiten des Programms jedoch nicht öffentlich besprechen.

Geheimhaltung soll gelockert werden


Bei der US-Regierung ist die Aufregung unterdessen groß. Geheimdienstchef James Clapper nannte die Veröffentlichungen "verwerflich" und eine mögliche Gefährdung der Sicherheit. Die Fähigkeit der USA, auf Bedrohungen reagieren zu können, könnte langfristig und unumkehrbar geschädigt werden.
Clapper sagte, die Medienberichte über die Programme enthielten Ungenauigkeiten und hätten entscheidende Informationen weggelassen. Er werde die Geheimhaltung über einige Details des Telefonprogramms aufheben, damit die US-Bürger über dessen Grenzen informiert würden. Dazu gehöre, dass ein Sondergericht das Programm alle 90 Tage überprüfe. Dieses Gericht untersage den Behörden, wahllos Telefondaten zu durchsuchen. Alle Anfragen würden nur genehmigt, wenn Fakten einen begründeten Verdacht belegten.
dpa/Reuters/AP/fbr/pos/dma

Merkel "ein klares Nein zu allen Steuererhöhungen"

Die Bundeskanzlerin erteilt der Vermögensteuer eine Absage. Sie hält die geplanten Mehrausgaben trotzdem für finanzierbar. Höhere Zinsen sieht sie erst nach erfolgreichen Strukturreformen in Europa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Steuererhöhungen eine kategorische Absage erteilt. Deutschland müsse ein unternehmerfreundliches Land sein, weil sonst eine Abwanderung von Firmen auch innerhalb der EU drohe. "Ich sage ein klares Nein zu allen Steuererhöhungen." Dies gelte besonders für die Besteuerung von Vermögen.
Die CDU-Vorsitzende setzte sich damit klar von Forderungen der SPD und der Grünen ab. Deutschland brauche eine Mischung aus Haushaltskonsolidierung und einer wachstumsfördernden Politik. "Deshalb halten wir Steuererhöhungen in der jetzigen sehr fragilen Situation für falsch", sagte Merkel am Freitag in Berlin.

Spielraum für Investitionen


Dennoch sieht die Kanzlerin Spielraum für die Mehrausgaben, die die CDU für die nächste Wahlperiode angepeilt hat. Neue Investitionen seien möglich, "in welche Richtung auch immer", sagte Merkel vor der Stiftung Familienunternehmen. Natürlich müsse man die Konsolidierung des Haushalts immer im Blick haben. Aber eine steuerliche Gleichbehandlung von Kindern und Erwachsenen beim Grundfreibetrag sei eine sinnvolle Sache. Auch mehr Renten für Mütter seien aus den Spielräumen der Sozialkassen und aus dem Bundeszuschuss finanzierbar.
Die Opposition hält die Wahlversprechen Merkels hingegen für nicht bezahlbar und wirft der Kanzlerin Wählertäuschung vor. "Die Wählerinnen und Wähler sind nicht dumm, sie lassen sich nicht auf diese Tour kaufen", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
Gleichzeitig scheute sich die Kanzlerin nicht, sich direkt zur Geldpolitik der eigentlich unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB) zu äußern. Für steigende Zinsen sieht Angela Merkel demnach erst dann Chancen, wenn das Vertrauen in Europas Banken wiederhergestellt ist und die Strukturreformen in den EU-Staaten greifen. "Dann wird man wieder zu einem Zinsniveau kommen können, das für die Sparer besser ist als das heute", so Merkel weiter.

Erst Reformen, dann Zinserhöhungen


Sehr niedrige Zinsen seien derzeit ein weltweites Phänomen. "Aber der Hauptpunkt im Euroraum ist, dass die Strukturreformen greifen müssen und dass das Vertrauen in die europäischen Banken wiederhergestellt wird", mahnte die Kanzlerin. Das Misstrauen solle mit einer gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht beseitigt werden. Banken investierten zudem lieber in neue Staatsanleihen.
"Je weniger neue Schulden entstehen, desto mehr Raum ist für Kreditvergaben an Unternehmen", sagte Merkel. Das Problem seien erheblich höhere Firmenkredite in Ländern mit Strukturreformen, was dort das Wirtschaftswachstum schwäche. Wenn die Reformen umgesetzt würden, werde dies Wirkung zeigen. "Dann werden auch die Zinsen wieder steigen."

dpa/Reuters/flo

Saturday, June 1, 2013

Das Land blieb in Deutschland - Hochwasserrisiko wächst

Der Regen hört nicht auf, die Flüsse schwellen weiter an. Die Hochwassergefahr wächst. Autobahnen, Felder und Keller sind überflutet. Im Leipziger Land wurde Katastrophenalarm ausgerufen.

Die Hochwasserlage im Süden und Osten Deutschlands verschärft sich. Erneuter Starkregen soll die Pegel der Flüsse weiter stark ansteigen lassen und noch mehr Überschwemmungen bringen. In Sachsen-Anhalt werden örtlich bis zu 80 Liter Regen pro Quadratmeter erwartet.
Die Orte an den Flüssen bereiten sich auf die steigende Fluten vor. Helfer füllen Sandsäcke und stapeln sie zur Abwehr; Steige werden errichtet. Nördlich von Erfurt lief die Gera über einen aufgeweichten Deich. Wasser strömte auf umliegende Wiesen.
"Es ist ein sehr ernstes Hochwasser", sagte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die direkt aus China kommend in die Flutregionen gereist war. Einige Häuser seien beträchtlich zu Schaden gekommen. Lieberknecht lobte die große Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen. "Der Zusammenhalt in einer solchen Situation ist gut und wichtig", sagte sie in einem Interview von "MDR aktuell". Im Moment gehe es darum, Sandsäcke zu füllen und zu stapeln.

Katastrophenalarm bei Leipzig


In Bayern bereitet sich die Stadt Passau auf Überschwemmungen vor. Der Pegelstand der Donau sei auf gut 7,60 Meter gestiegen, sagte eine Polizeisprecherin. Der Höchststand werde für Sonntag oder Montag erwartet, die Stadt rechnet mit einem Pegelstand über neun Metern. Normal liegt er bei rund 4,50 Meter. Die Arbeiten zum Schutz gegen das Wasser sollen die ganze Nacht durchgehen. Auch in Regensburg droht die Donau über die Ufer zu treten.
Im sächsischen Grimma war die Vereinigte Mulde bereits in der Nacht zum Samstag über die Ufer getreten und hatte mehrere Straßen überschwemmt. Die Stadt verzichtete jedoch vorerst auf eine Evakuierung der Innenstadt. Doch am Sonntag würden in den Mulden wieder steigende Wasserstände erwartet, hieß es.
Die Lage an der Weißen Elster in Borna hatte sich über den Tag zugespitzt, wie die "Leipziger Volkszeitung" berichtet. Dort sei der Pegel innerhalb eines Tages um mehr als einen Meter gestiegen und Alarmstufe drei ausgelöst, inzwischen liegt er bei 3,38 Meter. Der Landrat des Leipziger Landes, Gerhard Gey, habe deshalb Katastrophenalarm ausgerufen. Schon zuvor hatten die Behörden ab sofort verboten, die Deiche zu betreten.
In Sachsen-Anhalt verschärfte sich die Lage weiter. Nach Saale und Weißer Elster stiegen auch an der Mulde die Wasserstände. Die Deiche hielten, so das Innenministerium. Sehr viel Regenwasser dürfe jedoch nicht mehr dazukommen. Örtlich wurde schon die höchste Warnstufe 4 ausgerufen. In Thüringen stieg die Zahl der Pegel, an denen die höchste Alarmstufe galt, bis Samstagnachmittag auf zwölf Stationen an. In Weimar überschwemmte die Ilm den Goethepark.

Erhebliche Verspätungen bei der Bahn


Anhaltender Dauerregen ließ auch in Tschechien die Wasserstände der Flüsse steigen. Die Warnstufe 3, was einer erheblichen Hochwassergefahr entspricht, galt am Samstag an der Kamnitz in der deutsch-tschechischen Grenzstadt Hrensko. Dort liege der erreichte Pegel innerhalb einer Stunde um 70 Zentimeter höher, berichtete Bürgermeister Jan Havel örtlichen Medien.
Auf der Bahnstrecke Berlin-Dresden-Prag kam es zu erheblichen Behinderungen. Sechs Züge in beide Richtungen seien betroffen, sie hätten zusammen eine Verspätung von 300 Minuten, sagte eine Bahnsprecherin. Auf der Internetseite der Bahn sind je Zug Verspätungen bis zu 90 Minuten angegeben. In der Nähe von Prag sei am Nachmittag ein Baum auf die Lokomotive eines Zuges gefallen, teilte die Tschechische Bahn mit. Zuvor hatte es stark geregnet. Die Strecke war wegen der Räumungsarbeiten längere Zeit gesperrt.
Auch Elbe und Rhein schwellen weiter an. Zwischen Rheinfelden in der Schweiz und der Schleuse Kembs wurde die Rhein-Schifffahrt eingestellt. Auf dem Neckar fahren zwischen Stuttgart und Heilbronn seit Freitag keine Schiffe mehr. Auch auf dem Main in Würzburg ruhte die Schifffahrt. Starker Regen und Überflutungen verursachten am Samstag viele Unfälle. Bundesstraßen und mehrere Autobahn-Abschnitte wurden gesperrt.
dpa/sara
 

"A grapeshot groß für Gegner der Volkszählung"

Frauen schummeln bei Umfragen, Ämter schlampen bei Meldestatistiken: Walter Krämer, Statistikprofessor an der TU Dortmund und Buchautor, erklärt die ungewöhnlichen Ergebnisse der Volkszählung

Die Welt: Herr Professor Krämer, in Deutschland leben dem Zensus zufolge 1,5 Millionen Menschen weniger, als die offiziellen Statistiken bisher auswiesen. Wie erklären Sie sich das?
Walter Krämer: Es gibt einfach Menschen, die viel umziehen, gerade unsere ausländischen Mitbürger gehören dazu, deshalb wurde deren Zahl auch bisher besonders stark überzeichnet. Von den Umziehern vergisst ein gewisser Teil, sich am alten Wohnort abzumelden. Und diese Leute sind dann am Ende womöglich in vier Städten gemeldet – und in der Statistik gibt es sie also viermal.
Die Welt: Können die Verwaltungen das nicht in den Griff bekommen?
Krämer: Dann müssten die Meldeämter besser funktionieren. Aber die Städte haben kaum Interesse daran, die korrekten Zahlen zu haben. Die haben wenig Anreiz, zu prüfen, ob Leute wirklich dort wohnen, wo sie gemeldet sind.
Die Welt: Warum nicht?
Krämer: Weil ihre Einnahmen von der offiziellen Einwohnerzahl abhängen. Und dann gibt es noch die Bürgermeister, die wollen, dass ihre Städte mehr als 100.000 Einwohner haben oder mehr als 500.000, denn jenseits dieser Schwellen sind ihre eigenen Gehälter höher. Bei Städten, die an der 100.000-Einwohner-Schwelle liegen, wie Cottbus oder Hildesheim, oder jenen an der 500.000er-Schwelle, wie Duisburg oder Nürnberg, ist der Anreiz, sich die Einwohnerzahl hochzurechnen, deshalb besonders groß
 
Die Welt: In Berlin muss die Einwohnerzahl besonders stark korrigiert werden, in Rheinland-Pfalz dagegen kaum. Schummeln die Berliner Behörden einfach mehr?
Krämer: Ich glaube eher, das hängt mit der Mobilität der Bevölkerung zusammen. Berlin ist eine sehr mobile Stadt, es ziehen viele hin, es ziehen viele weg, da ist immer was los. Und so liegt halt auch die Zahl derer, die vergessen, sich abzumelden, höher. In Rheinland-Pfalz dagegen, ich komme ja selbst daher, ist es anders: Da wird man geboren, da lebt man, und da stirbt man – da passiert so etwas eben nicht.
Die Welt: Was kann gegen amtliche Flunkereien getan werden?
Krämer: Na ja, theoretisch kann man Strafen verhängen. Aber die aktuellen Ergebnisse sind das beste Argument dafür, regelmäßig, am besten alle zehn Jahre, Volkszählungen durchzuführen. Der aktuelle Zensus ist doch ein großes Ätsch an alle Gegner der Volkszählung. Die haben immer wieder gesagt: "Es steht ja alles eh in den Registern drin, da braucht man überhaupt keine Volkszählung." Jetzt wird deutlich: Das Geld ist gut angelegt. Die Botschaft an die Gegner ist also: "Motzt beim nächsten Mal nicht so rum."
Die Welt: Laut Zensus gibt es nur wenige Muslime in Deutschland. So verlässlich scheinen die neuen Zahlen auch nicht zu sein.
Krämer: Es gibt die seltsamsten Diskrepanzen, die dadurch zustande kommen, dass Leute in Umfragen nicht die Wahrheit sagen. Wir haben in manchen Statistiken auch mehr verheiratete Frauen als Männer, weil Frauen in Umfragen lange Zeit ungern zugaben, nicht verheiratet zu sein. Oder nehmen Sie das Beispiel der Ureinwohner in Kanada. Deren Definition ist schwammig, weil nicht klar ist, wie viele Vorfahren Indianer gewesen sein müssen, damit man selbst auch Ureinwohner ist. Also kann sich jeder die Antwort aussuchen, die ihm gerade passt. Und als es schicker wurde, sich als Indianer zu bezeichnen, hat sich auf einmal die Zahl der Ureinwohner von einer zur nächsten Volkszählung vervierfacht.
Die Welt: Aber der Wert des von Ihnen so gelobten Zensus wird dadurch eingeschränkt, oder?
Krämer: Gewisse Zahlen kann man nicht türken. Ob man zum Beispiel existiert oder nicht, das ist eine Ja/nein-Frage

Erdogan nicht zu stoppen wütet gegen die Türken

Die türkische Regierung frisst Kreide: Die Polizei zieht sich vom Istanbuler Taksim-Platz zurück. Aber die Wut gegen Erdogan wächst bei den Demonstranten. Neue Proteste sind im Gange


Es war eine gespenstische Rede, die der türkische Ministerpräsident am Samstag vor Parteiangehörigen hielt. Wie von jemandem, der die Realität nicht mehr erkennen kann. Die Menschen, die seit Tagen gegen ihn demonstrierten, seien "extreme Gruppen", sagte Recep Tayyip Erdogan. Und sie sollten es nicht wagen, mit ihm zu wetteifern: "Wenn sie 200.000 Menschen bringen, kann ich eine Million auf die Straßen bringen."
Kaum eine Stunde später waren wirklich mehr als eine Million Menschen auf den Straßen. Aber es waren nicht seine. Sie riefen alle: "Erdogan, verschwinde". Wenn sie "extreme Gruppen" waren, müssen extreme Gruppen einen erheblichen Anteil der Bevölkerung des Landes stellen.
Zu dem Zeitpunkt, sehr kurz nach Erdogans Rede, hatte irgend jemand plötzlich ein Ende der Polizeiaktionen befohlen. Und zwanzig Minuten später kam aus seinem Amt ein Schreiben an Journalisten, das Erdogans schärfste Äußerungen in seiner Rede zu relativieren versuchte. Vor allem bestehe er nicht darauf, das Bauprojekt, das die Proteste ausgelöst hatte, durchzuführen: Der Gezi-Park am Taksim-Platz bleibe erhalten, er werde eigentlich ausgeweitet.

Gewinner ist Staatspräsident Gül


Der angesehene Kolumnist Murat Yetkin schrieb, das die Order für den Polizeirückzug nicht von Erdogan und nicht vom Istanbuler Bürgermeister gekommen sei, sondern von Staatspräsident Abdullah Gül. Er ist der Gewinner der Krise: Das Image des allmächtigen Erdogan ist unwiderruflich zerstört, er ist ab sofort ein politisch verwundeter und weiter verwundbarer Mann. Gül aber könnte die Regierungspartei AKP retten – wenn er Erdogan höflich beiseite drängt.
Der Ministerpräsident ist nun ein Magnet für Volkszorn, und der Rückzug der Polizei vom Taksim-Platz ändert daran nichts: In den frühen Abendstunden machten sich die noch siegestrunkenen und feiernden Demonstranten daran, den Platz zu befestigen. (Die wohl bizarrste aller Fahnen der Istanbuler Proteste war dabei eine schwarze Totenkopfflagge mit der Aufschrift "St.Pauli.")
Offenbar wollen die Demonstranten den Taksim-Platz oder zumindest den Gezi-Park besetzt halten, als ein Zentrum ihrer Proteste gegen das "Regime", wie einst der Tahrir-Platz in Kairo oder der Syntagma-Platz in Athen.
Derweil kam es weiter unten am Bosporus zu weiteren schweren Schlachten zwischen Polizei und Demonstranten, in Besiktas, wo Erdogan sein Istanbuler Büro hat. Die Polizei feuere Tränengasgranaten ab, berichteten Aktivisten im Internet. Auch türkische Medien berichteten über den Polizeieinsatz. Demonstranten hätten einen Polizeiwagen angezündet.

Demonstranten bunt gemischt


Auch in Ankara kam es zu schweren Protesten und Auseinandersetzungen, und in einer ganzen Reihe von Städten zu Solidaritätsdemonstrationen. Die Regierung hat mancherorts deswegen einen schweren Stand, weil sie am Samstag gezwungen war, starke Kontingente aus anderen Städten abzuziehen, um sie nach Istanbul zu bringen. Per Flugzeug.
Die gesamte Istanbuler Innenstadt war am Samstagabend schwer verwüstet und es war nicht klar, was die nächsten Tage bringen werden. Die Proteste gegen die Regierung sind jedenfalls nicht abgeflaut, das Selbstbewusstsein der Demonstranten aber enorm gestiegen. Sie sind überwiegend jung und haben von der Regierung die Nase voll: Es sind linke Gewerkschafter, Liberale, Nationalisten, Säkulare, Anarchos, Musiker.
Es gibt keine lenkende Kraft, obwohl die Oppositionsparteien die Bewegung zu kapern versuchen und Erdogan das zu fördern scheint: Die etablierten Parteien im Parlament haben keinen besseren Ruf als er selbst und manche der NGOs, die die Demonstrationen mit gestalten, fürchten, dass eine Übernahme der Proteste durch Politiker das Ende der Bewegung wäre.
Im ganzen Land hat die Polizei bei der Protestwelle bei 90 verschiedenen Demonstrationen insgesamt 939 Menschen festgenommen. Viele wurden davon bereits wieder freigelassen, sagte Innenminister Muammer Guler. Insgesamt seien 79 Menschen verletzt worden.

mit Reuters