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Wednesday, January 2, 2013

Erweiterte politischen Steinbrück und SPD

Nach dem Geld-Interview des SPD-Kanzlerkandidaten herrscht unter Sozialdemokraten Fassungslosigkeit. Vielen erscheint der Preis, ihn zu verteidigen, zu hoch. Will der Mann überhaupt Kanzler werden?

Eine kluge Antwort hatte sich Peer Steinbrück ausgedacht, als er in einem Interview gefragt wurde, ob er sich unterbezahlt fühle. Steinbrück brach in Lachen aus und bekundete: "Das ist eine tödliche Frage." Messerscharf war diese Analyse Peer Steinbrücks als Bundesfinanzminister vor gut sechs Jahren. Dabei drückte er sich mitnichten um eine Antwort. Nach den einleitenden Worten von der "tödlichen Frage" sprach er davon, er erhalte einen Nettostundenlohn von 35 bis 40 Euro, und sagte: "Das halte ich nicht für überbezahlt angesichts der Aufgaben, für die ich Verantwortung trage."
Wer wollte Steinbrück da widersprechen? Sein damaliges Interview beschäftigte die Republik eher einige Stunden denn einige Tage, wenn überhaupt, und kein Wahlkämpfer der SPD sah Anlass für Depressionen – anders als nach den Worten, die ihr Kanzlerkandidat vor wenigen Tagen fand. So wie der Ton die Musik macht, so kann die Einleitung einer Antwort die Aussage eines Interview verändern. Gewiss, Journalisten neigen anschließend dazu, Zitate zu pointieren. Politiker wiederum relativieren noch so prägnante Zitate aus dem eigenen Munde mit dem Hinweis, dieser oder jener Satz sei "verkürzt" wiedergeben worden.
Anders bei Peer Steinbrück zum Jahreswechsel 2012/2103. Steinbrück gab der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ein Interview, das sich in weiten Teilen dem Thema "Geld" widmete. Allein diese Tatsache ließ geruhsame Gemüter aufhorchen und manchen Parteifreund, nicht zuletzt allerlei Anhänger, erschaudern. Warum bloß spricht Steinbrück wieder über Geld, und dann noch in eigener Sache? Eben erst war die monatelange, kräftezehrende Debatte um seine sogenannten Nebeneinkünfte als Abgeordneter abgeklungen, nun rief er sie ins Gedächtnis. "Das Thema Geld ist für Steinbrück verbrannt, seit dem Tag seiner Nominierung", sagt einer, der ihn gut kennt.
Schlimmer noch, Steinbrück teilte dem Volk, welches ihn in knapp neun Monaten (indirekt) zum Bundeskanzler wählen soll, schon jetzt mit: Die Bezüge in jenem Amt sind zu gering. Von Angela Merkel hat man derlei Dinge noch nie gehört, und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert verkündete sogleich, die Kanzlerin sei mit ihrem Gehalt zufrieden.

Wieder einmal fehlte das Fingerspitzengefühl

Steinbrück hat schon oft eine zu schlechte Bezahlung von Politikern beklagt, und selbst der Vergleich mit den Sparkassendirektoren in Nordrhein-Westfalen ist nicht neu. Auch deshalb wurde die explosive Wirkung der wenigen Worte weder von ihm noch von seinem Pressesprecher Michael Donnermeyer erahnt.
Von Fehlern, vor allem handwerklichen Mängeln, ist nun im Willy-Brandt-Haus die Rede. Relativierend wird verwiesen auf die nachrichtenarme Zeit (die so absehbar war wie das jährlich wiederkehrende Silvester) und die Kritik von Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Politiker seien in Deutschland "angemessen bezahlt", sagte der in der "Bild am Sonntag" und legte sogar nach: "Wem die Bezahlung als Politiker zu gering ist, der kann sich ja um einen anderen Beruf bemühen."
Hätte, wäre, könnte: Leicht ließe sich ein eleganter Hinweis in das Interview einbauen, der die Grundaussage – Politiker sind zu schlecht bezahlt – abgefedert hätte. Einem Sozialdemokrat hätte es gut angestanden, auf die recht bescheidene Entlohnung von Erzieherinnen, Busfahrern oder Krankenschwestern hinzuweisen. Auch mehrere Nachsätze in eigener Sache, und Steinbrück wäre wohl dem "Shitstorm" entkommen. Etwa der Hinweis darauf, dass es Größeres gäbe für einen Kanzler als sein Gehalt: nämlich die Ehre, die Herausforderung oder (norddeutsch knapp und pathosfrei) die Arbeit, dem Land zu dienen. Oder die zutreffende Bemerkung, er selber habe ja längst ausgesorgt, verzichte gar auf Geld, um seine inzwischen opulente inhaltliche Agenda – von mehr Anerkennung für Alleinerziehende bis weniger Waffenexporte – durchzusetzen.
Den mehrfach vorgetragenen Hinweis auf die Gehälter der Sparkassenchefs von Nordrhein-Westfalen hätte er auslassen können, zum einen, wo er doch als Finanzminister und Ministerpräsident viel mit ihnen zu tun hatte. Und, noch mehr, weil er doch vor der Sparkasse Witten (NRW) einen bezahlten Vortrag gehalten hatte, nicht einmal ein Jahr ist das her. Wieder einmal fehlte das "Fingerspitzengefühl", an dem er es schon oft mangeln ließ.

Geschichte eines gescheiterten Krisenmanagements

Steinbrück und sein Sprecher Donnermeyer hatten die schriftliche Fassung des vor Weihnachten geführten Interviews, wie zu hören ist, nach den Feiertagen genau gelesen und dann "autorisiert". So ist es üblich bei Politiker-Interviews in deutschen Zeitungen. Vermutlich ging der Gesprächsverlauf über weitere Schreibtische in der SPD-Zentrale, Abteilung Wahlkampfleitung. Das Frühwarnsystem, das hier angesiedelt sein sollte, aber versagte, und genau dieser Umstand wird innerhalb der Partei nicht zum ersten Mal beklagt. Namentlich Donnermeyer wird kritisiert. Der Sprecher der einst legendären "Kampa" von 1998 enttäusche immer wieder, ist in Kreisen der SPD zu vernehmen.
Die Geschichte von Steinbrücks Kanzlerkandidatur, immerhin gut ein Vierteljahr alt, ist die Geschichte eines gescheiterten Krisenmanagements. Steinbrück musste getrieben werden, einen Teil seiner sogenannten Nebenverdienste – nämlich für die 89 Vorträge – offenzulegen. Was bloß wäre, hätte er sich durchgesetzt und dies nicht getan? Seit Wochen würden dann diese teilweise erklecklichen Summen nach und nach durchsickern.
Warum bloß heuerte Steinbrück einen Online-Berater an, der einst – in der SPD nicht vermittelbar – für als "Heuschrecken" verfemte Hedgefonds tätig war? Und wieso verteidigte er diesen Mann, als dieser längst sein Kurzzeit-Büro in der SPD-Zentrale geräumt hatte? Auch die Schnapsidee, drei Tage vor seiner offiziellen Kür zum Kandidaten noch einen Vortrag bei einer Schweizer Privatbank halten zu wollen, zeugte von einem mangelnden Gespür.

Verteidigt hat ihn nur Nahles

All diese Peinlichkeiten ihres Kandidaten hat die SPD in erstaunlicher Geschlossenheit verteidigt, teilweise bis zur Selbstverleugnung. Nach seiner Klage über das zu geringe Kanzler-Gehalt war das erstmals anders: Allerlei Parteifreunde aus der zweiten und dritten Reihe äußerten öffentlich ihr Unverständnis. Das ist ein Alarmzeichen, das dem Kandidaten zu denken geben muss.
Noch mehr Funktionäre kaschierten ihr Entsetzen schweigend. Nicht ein Landesvorsitzender hat Steinbrück seither verteidigt, und selten haben führende Sozialdemokraten in so großer Zahl auf ihren Weihnachtsurlaub und eine vermeintliche Nicht-Erreichbarkeit verwiesen. Die SPD verharrt gewissermaßen im politischen Funkloch, und dies seit nunmehr vier Tagen. Der Preis, Steinbrück wider eigene Überzeugung in Schutz zu nehmen, erscheint vielen als zu hoch.
Verteidigt wurde er von Generalsekretärin Andrea Nahles. "Peer Steinbrück hat etwas ausgesprochen, das schlicht stimmt. Die Aufregung darüber kann ich nicht nachvollziehen", sagte Nahles der "Bild"-Zeitung. Derzeit wird Sozialdemokraten viel abverlangt, und zumindest in ihrem zweiten Satz hat Nahles, nun ja, die Wahrheit ein wenig gedehnt.

Mühlstein für die Wahlkämpfer in Niedersachsen

Wie nach jedem Fettnapf, in den Steinbrück in den vergangenen Wochen mehr hineinsprang als dass er hineingeriet, ist nun zu hören, die SPD wolle zu "Sachthemen" zurückkehren. Es ist abermals ein frommer Wunsch, und die Wahlkämpfer in Niedersachsen müssen nun Hausbesuche mit einem Mühlstein am Hals absolvieren.
Ironischerweise war es die niedersächsische SPD, die auf eine frühzeitige Nominierung des Kandidaten gesetzt hatte. Nun könnte aus einem erhofften Steinbrück-Bonus ein Steinbrück-Malus werden. Einen rot-grünen Wahlsieg hat nicht zuletzt der Kanzlerkandidat – ziemlich gewagt, wie immer – längst eingepreist. Sollte es am 20. Januar indes nicht zu einer solchen parlamentarischen Mehrheit reichen, die SPD steckte dann knietief im Schlamm. Die Aussicht, acht Monate später das Kanzleramt erobern zu können, verdüsterte sich. Ein Sieg indes würde die SPD euphorisieren, vorerst.

Die Mitstreiter zahlen einen hohen Preis

Der nächste Fettnapf, den Steinbrück in Aussicht nimmt, ist schließlich wohl nur eine Frage der Zeit. Das äußern auch Sozialdemokraten, wenn sie ehrlich und souverän sind, was vielen in diesen Tagen besonders schwer fällt. Das sei wohl der Zwiespalt, mit dem SPD leben müsse, heißt es über den Kandidaten mit der losen Zunge. Er werde mit der Causa Kanzler-Gehalt nicht das letzte Mal derart irritiert haben. "Scheiße" ist das Wort, das intern derzeit besonders oft fällt, und andere Vokabeln lauten: unerklärlicher Fehler und taktische Mängel. Das Fazit? Allgemeine Fassungslosigkeit.
"Ich will mich nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen", sagt Steinbrück, und mancher in seinem Umfeld will ihn inszenieren als authentisch, kantig, direkt, ganz anders also als die Kanzlerin. Mister Klartext gegen Schwurbel-Merkel, lautet diese Gleichung. Sie ist hochriskant, wie sich nun abermals zeigt. "Er sagt, was er denkt", heißt es oft über Steinbrück. Es ist ein Urteil, das einen erschaudern lassen muss. Man verkündet innere Überzeugungen nicht zu jeder Zeit, schon gar nicht jedem gegenüber. Das ist im privaten Leben nicht möglich, und im politischen noch weniger.
Steinbrück, der in wenigen Tagen 66 Jahre alt wird, hat den Vorteil, auf "alles oder nichts" setzen zu können. Das entspricht seinem Charakter. Diese "Ich will so bleiben, wie ich bin"-Philosophie aber erinnert nicht nur an eine cholesterinfreie Margarine, sondern auch an die Attitüde, mit der schon Kurt Beck als SPD-Vorsitzender in Berlin gescheitert ist. "Links" ist sie noch am wenigsten. Steinbrück aber, der in inhaltlichen Fragen hoch flexibel ist, will persönlich konsequent bleiben. Seinen Mitstreitern nötigt das einen hohen Preis ab.

Er macht es ganz anders als die Kanzlerin

Mit seinem jüngsten Interview ist sich Steinbrück dann auch treu geblieben: Er beklagt zu Recht, dass Politik nicht genug wertgeschätzt wird. Aber was hat er mit seiner Botschaft erreicht? Der Widerstand gegen höhere Bezüge für Kanzler und Abgeordnete ist seither größer denn je. Steinbrück hat, wie so oft, eskaliert und seine Leute strapaziert. Er hat eine Eliten-Debatte geführt, für die allenfalls fünf Prozent der Bevölkerung Verständnis haben, und von der das verknappte Bild eines geldgierigen Politikers zurückbleibt.
Wie so oft, hat Steinbrück apolitisch agiert. Er will Recht haben, wie ein Wissenschaftler, nicht Recht bekommen, wie ein Politiker. Steinbrück kennt die Ökonomie von Konflikten, doch oft genug missachtet er sie. Mit dieser Masche weckt er Widerstände und macht es ganz anders als die Kanzlerin: Merkel sediert Widerstände.
Natürlich redet in der SPD niemand offen über die größte aller Was-wäre-wenn-Fragen, nämlich: Ist es möglich, dass ihr der Kanzlerkandidat noch vor der Bundestagswahl abhanden kommen sollte, auf welche Weise auch immer? Sicher jedenfalls kann die Sozialdemokratie nicht sein, dass ihr Kandidat noch im September Peer Steinbrück heißt. Manche sagen, ohne Steinbrück brauche die SPD gar nicht anzutreten. Diese These sichert ihm Loyalität in schwerer Zeit.
 

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