n-de

Tuesday, January 1, 2013

Merkel hob die politischen Gesetze der Natur

Angela Merkel schwebt im achten Jahr ihrer Kanzlerschaft dem Wahlsieg entgegen. Die Deutschen haben sich eingerichtet mit dieser Kanzlerin, die ihnen eine unübersichtlich gewordene Welt vom Leib hält

Es ist nicht weniger als eine Sensation: Auf 40 – in einer Umfrage sogar 41 – Prozent wird die Union zu Beginn des Jahres taxiert. Angela Merkel scheint unbesiegbar. Das ist bemerkenswert, gerade im Vergleich: In Frankreich können die Konservativen nicht einmal die Wahl ihres Vorsitzenden organisieren, in Belgien gab es lange keine gewählte Regierung mehr und in Italien aktuell keine solche. Selbst in stabilen Staaten wie den Niederlanden oder Österreich stützen sich als erfolgreich geltende Regierungschefs auf Ergebnisse von unter 30 Prozent.

Der historische Vergleich

Auch der deutsche historische Vergleich fällt für Merkel noch besser aus als die Zahlen auf den ersten Blick: Denn seit Adenauer waren ihre Vorgänger im Kanzleramt – mit der historischen Ausnahme Helmut Kohl – am Ende ihrer zweiten Amtsperiode politisch erschöpft und oft auch persönlich ausgelaugt.
Merkel nicht: Wie die Union den gesellschaftlichen Fliehkräften zu entkommen scheint, trotzt die Kanzlerin dem Verschleiß im Amt. Ausgerechnet Angela Merkel, die Physikerin in der Politik, scheint die politischen Naturgesetze aufgehoben zu haben.
Wie erklärt sich dieses Phänomen, das 2012 prägte und den Ausgang der Bundestagswahl 2013 entscheidend wird? Versuchen wir es einmal ketzerisch und zitieren einen anderen sehr erfolgreichen Christdemokraten: "Die Macht nutzt nur den ab, der sie nicht hat", sagte Giulio Andreotti, der 30 Jahre lang in italienischen Regierungen saß.

Das Phänomen Merkel

Der Zyniker wusste: Im Widerspruch zwischen immer alternativloser erscheinendem Machen und politischem Wollen kommt nicht der Macher um, sondern die ohnmächtig Eingebundenen: Und da ist es – Nebenpointe des Jahres 2012 – ziemlich egal, ob man in der Regierung (wie die FDP) oder in der Opposition (wie die SPD) zustimmen muss. Dieses Zermürben der politischen Wettbewerber ist die eine Seite des Phänomens Merkel. Die andere Seite ist: Wer nicht von der Macht abgenutzt werden will, darf sie nur sehr vorsichtig nutzen – und manchmal gar nicht.
Die zentrale Entscheidung traf die Kanzlerin nicht in Berlin und nicht in Brüssel, sondern in Südtirol, irgendwann in ihrem Sommerurlaub. Die Euro-Zone stand an einer Weggabelung. Über ein Jahr hatte Merkel der Währungsgemeinschaft ihren Willen aufgezwungen: Sie hatte Regierungen ausgetauscht (in Italien), Reformen erzwungen, die Erfolge produzierten (in Irland), aber auch gesellschaftliche Verwerfungen (in Spanien und Portugal).
Doch diese Periode der deutschen Hegemonie in Europa ging zu Ende. Einerseits hatte Merkel mit Nicolas Sarkozys Niederlage den französischen Partner verloren, ohne den sie im Rat der Regierungschefs nicht mehr die Krisenpolitik diktieren konnte. Andererseits war das deutsche Konzept, Hilfe gegen Reformen, im Fall Griechenlands auch objektiv an sein Ende gekommen: Ohne Aussicht auf Erholung taumelten die Hellenen der Unregierbarkeit entgegen.

Merkels Verständnis von Macht

Merkel brauchte eine neue Idee. Der britische "Economist" sagte damals in einer ebenso spektakulären wie spekulativen Titelgeschichte voraus: Die Deutsche würde jetzt Griechenland aus dem Euro stoßen. Die britischen Beobachter hatten Merkels vorheriges Handeln analysiert und mit ihren Beratern gesprochen – und doch etwas Entscheidendes übersehen: Merkels Verständnis von Macht.
Denn die Kanzlerin setzt für ihre politischen Ziele Mühe, Schläue und Geduld ein, aber nicht ihre Macht aufs Spiel. Was die Europäer jetzt erfuhren, kennen die Deutschen schon länger. Merkel hat – anders als die Mehrheit der Öffentlichkeit und des Wahlvolkes – ihren Glauben an die Notwendigkeit weiterer marktwirtschaftlicher Reformen nie verloren. Doch sie erzwingt diese eben nicht wie ihr Vorgänger Schröder.
Wenig spricht dafür, dass die Physikerin ihre Analyse revidiert hat, der Übergang zu erneuerbaren Energien sei sinnvoll nur mit einem langsamen Ausstieg aus der Atomkraft zu bewerkstelligen. Doch nach Fukushima war sie nicht mehr bereit, dies ihren Wählern zu sagen. Überspitzt formuliert: Die Machtpolitikerin Merkel entscheidet sich im Zweifelsfall eben für Macht – und nicht für Politik. Ein Rausschmiss Griechenlands wäre im Sommer möglich, aber politisch hochriskant gewesen: Deshalb sollte Griechenland plötzlich doch um jeden Preis im Euro bleiben.
Ironischerweise gab Merkel, um ihre Macht nicht zu riskieren, sie genau damit zu einem entscheidenden Teil ab: Denn aus dem Europa der Angela Merkel wurde damit zwangsläufig das Europa des Mario Draghi. Der Zentralbankchef entscheidet jetzt mittels Ankauf von Staatsanleihen, wer in Europa wofür Geld bekommt. Verloren demokratisch gewählte Politiker in den Krisenländern ihre Macht schon zu Beginn der Euro-Krise, so folgten ihr nun auch die Politiker der stabilen Staaten.

Der Grundton des Wahlkampfes der Union

Bei den Bürgern kam das erstaunlicherweise gut an. Denn die Deutschen möchten gar nicht, dass sie – über ihre Kanzlerin – in Europa den Ton angeben. Sie wollen nicht Einfluss (geschweige denn Herrschaft!), sondern Ruhe. Die Wähler wollen um die großen Schritte in Europa genauso gerne herumkommen wie um die klaren Schnitte zu Hause. Merkel hat das erkannt und tauschte im entscheidenden Moment Macht gegen Popularität. Man kann dies einen neuen, leisen Populismus nennen.
Merkel sieht das selbstverständlich nicht so. Sie rationalisiert ihre Methode mit dem Argument, die Probleme seien so komplex geworden, dass sie nicht mehr durch einmalige Kraftanstrengungen zu lösen seien. Tatsächlich passt die Vorstellung, der gordische Knoten sei eher durch ständiges Zurren zu entwirren statt durch einen beherzten Schwerthieb, gut in unsere postheroische Zeiten.
Doch etwas von Biedermeier liegt über dem Land: Bürger, denen die sich dynamisch verändernde Welt immer unheimlicher wird, bestätigen eine Regentin, die ihnen diese vom Leib hält. Merkels Neujahrsbotschaft, die Zeiten würden härter, passt dazu: Denn sie hat nicht angekündigt, was daraus für die Deutschen folgt. Der Grundton des Wahlkampfes der Union wird aber eher die erstaunliche Mitteilung Wolfgang Schäubles sein, bei der Euro-Krise sei das Schlimmste überstanden. Bis zur Wahl könnte es damit tatsächlich reichen. Die interessante Frage stellt sich danach: Was kann Merkel ihren Wählern abverlangen, wenn sie muss?

No comments:

Post a Comment