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Monday, April 15, 2013

Wird der Nachweis der Krise in Europa, kann Merkel stoppen

Hört die Bundeskanzlerin 2015 auf? Nur dann, wenn sie den CDU-Vorsitz vertrauensvoll abgeben kann – und wenn Europa so krisenfest geworden ist, dass es auf sie nicht mehr ankommt

Peer Steinbrück hat auf dem SPD-Wahlparteitag zutreffend festgestellt: "Dem Land geht es gut." Umso verblüffender wirkt eine Debatte darüber, ob Angela Merkel nach einer etwaigen Wiederwahl ihr Amt 2015 vorzeitig zur Verfügung stellen könne.
Deutschland geht es gut, Europa aber weniger. Die Bundeskanzlerin hält dort das Steuer in den Händen. Wenn sie amtsmüde aussähe, hätte das in der EU eine dramatische Wirkung. Merkels Dementi kam postwendend. Sie tritt für die ganze Amtszeit an, bis 2017. Anderes zu suggerieren wäre das politische Ende gewesen – nicht nur für sie selbst, sondern auch und vor allem für die europäische Reformpolitik, der Merkel ihren Ruf verdankt.
Der Urheber der Spekulation, der Buchautor und stellvertretende "Bild"-Chefredakteur Nikolaus Blome, führt eine Reihe von denkbaren Gründen für den möglichen Rücktritt an. Er wettet sogar darauf, dass seine Prognose stimme. Leichtfertig wettet die "Bild"-Zeitung nicht, schon gar nicht bei einem solchen Thema. So manches klingt sehr plausibel.

Spekulationen über Amtsübergabe


Plausibel freilich ist auch eine andere Einschätzung. Merkel mag zwar vielleicht einen Idealfall im Auge haben, wann und wie sie ihre Amtszeit beendet. In der Praxis aber hängt es von der konkreten Lage ab, ob sie glaubt, in dieser Hinsicht frei zu sein. Zwei Jahre in der heutigen Politik entsprechen zehn Politikjahren in der Bundesrepublik vor 1989 und in der DDR mehr Jahren, als sie überhaupt existiert hat. Jede Prognose dazu, ob Angela Merkel 2015 eine Amtsübergabe in Berlin als riskant einschätzen würde oder nicht, ist derzeit Kaffeesatzleserei.
Sicher ist, dass die Bundeskanzlerin vorher eine andere Frage sehr sorgfältig durchdenken würde: Für wie lange ist der CDU-Vorsitz bei mir in guten Händen? Denn Angela Merkel beurteilt jede Lage vom Standpunkt aus, dass die Mitglieder einer Koalitionsregierung kompromissfähig sein müssen, um politisch wirksam zu sein. Davon hängt die gesamte Durchschlagskraft ab.
 
Die wichtigsten Kompromisse müssen in Merkels eigener Partei zustande kommen, weil die CDU in jeder Regierungskonstellation derzeit der stärkste Koalitionspartner ist. Politischer Streit ist in einer großen Partei kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen der Normalität. Ein Zeichen von Schwäche wäre es allerdings, wenn der Streit nicht durch einen Kompromiss zu beenden wäre. Die CDU-Vorsitzende Merkel verwendet darauf viel mehr Zeit, als es nach außen sichtbar wird.

Zeitplan für eine Frauenquote


Die Debatte über die richtige Form und den besten Zeitplan für eine Frauenquote in Führungspositionen ist ein Beispiel dafür. Der nun gefundene Kompromiss bedeutet in der Sache, dass Angela Merkel sich mit zwei Auffassungen durchgesetzt hat.
Erstens: Die CDU nimmt mit einer Vorlaufzeit von mehreren Jahren die feste Quote in den Blick. Zweitens: Dieses Ziel ohne zeitlichen Vorlauf sofort zu beschließen hätte den politischen Gesichtsverlust für die Vertreter der flexiblen Quote bedeutet.
Das hätte bis zur Wahl am 22. September mit Blick auf andere Themen Profilierungswünsche wecken können, die zu neuen Konflikten führen. Also wird das Thema mit einer vorgeschalteten, aber nicht unvertretbar langen Frist versehen.

Ein kleines Signal


Wenn Angela Merkel eines Tages das Bundeskanzleramt hinter sich lassen will, möchte sie vorher sicher sein, dass ihre Nachfolge im CDU-Vorsitz genauso zielbewusst denkt. Sie möchte, dass dann genauso unabhängig von weltanschaulichen Prämissen einzelner Parteiströmungen gehandelt wird und unbeirrt die politische Gesamtmechanik des CDU-Spitzenpostens im Blick bleibt. Dessen Zahnräder und Gestänge tragen nicht mehr nur die Bundespartei als Dach der Landesverbände.
Die durchgeölte CDU-Mechanik trägt inzwischen das ganze Europa und muss diese Drucklast aushalten, ohne wegen eines Zahnradbruchs an einer innenpolitischen Frage zum Stillstand zu kommen. Erst wenn Angela Merkel sich absolut sicher ist, dass dies gewährleistet ist und eine in derartigen Fragen ebenso feinfühlige Person den Parteivorsitz von ihr übernähme – erst dann wird sie über den Zeitpunkt des Endes ihrer Kanzlerschaft ernsthaft nachdenken.
Merkel hat im Mai 2010 ohne Worte angedeutet, wen sie dafür im Auge haben könnte. Als Wolfgang Schäuble wegen Krankheit eine wichtige Brüsseler Krisensitzung versäumen musste, schickte sie den damaligen Innenminister Thomas de Maizière dorthin. Das war ein kleines Signal. Allerdings war es auch nicht mehr als das.

Merkels europäische Mission


Die europäische Gesamtverantwortung, die heute mit dem CDU-Vorsitz verbunden ist, erfordert eine Vielzahl derartiger Feuertaufen. Sie erfordert den Beweis einer rundum verlässlichen, allwetterfähiger Belastbarkeit.
An ihr hat de Maizière in den vergangenen Wochen Zweifel aufkommen lassen – kleine Zweifel zwar nur, aber immerhin. Dasselbe gilt für andere mögliche Namen.
Das hat ein gewisses Gewicht. Denn Merkels europäische Mission ist nicht damit beendet, die aktuelle Schuldenkrise abzuwehren und den Euroraum wieder zu stabilisieren. Ihre Mission ist erst dann erfüllt, wenn die Statik und der Reformwille in der EU nicht mehr davon abhängen, welche Personen in den EU-Staaten an die Macht gewählt werden.

Voraussetzungen für den Amtsverzicht


So wie die Bundesrepublik heute in ihrem Lebensnerv unberührt von politischen Koalitionen ist, so sollte die Stabilität der Europäischen Union nicht mehr davon abhängen, welche Politiker und Gruppierungen in den Nationalstaaten das Sagen haben. Die europäischen Institutionen bieten Ansatzpunkte für derartige Reformen. Sie durchzusetzen erfordert eine Autorität, die Merkels denkbare Nachfolger noch nicht haben.
Die Bundeskanzlerin möchte sagen können: Mein Amtsverzicht ist möglich, sobald die Nationalstaaten sich ungeachtet ihrer Eigenwünsche so konstruktiv verhalten wie Bayern zum Bund, wenn es um das gesamteuropäische Interesse geht. Erst dann kann die EU aus eigener Kraft schwimmen.
Es mag sein, dass die entscheidenden Schritte dorthin bis 2015 getan werden können. Es kann ebenso gut sein, dass der Amtsverzicht Angela Merkels so fatal aussähe wie 1890 der Abgang Otto von Bismarcks. Das verlässlich zu beurteilen ist erst 2015 möglich, aber sicher ist: Das europäische Schiff als Lotsin verlassen wird die Kanzlerin erst im sicheren Hafen.

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