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Sunday, April 21, 2013

Deutsch Autobauer Expansion in Westchina

Die Märkte an der reichen Ostküste sind gesättigt. Deshalb zieht es immer mehr Autoproduzenten ins Landesinnere. Doch die erstarkten einheimischen Hersteller schlafen nicht


Im Saal des Autohauses in Shanghai ist es dunkel. Ein Film flimmert über die Leinwand, James Bond jagt einen Bösewicht – unterlegt mit chinesischen Untertiteln. Und wenn 007 es geschafft hat, sich zurücklehnt, ist für die Zuschauer der große Moment gekommen. Dann gehen sie zwei Stockwerke tiefer und holen ihren nagelneuen Mercedes ab.
Das Kino ist nicht die einzige Unterhaltung, die das Shanghai Zhongsheng Star-Autohaus im Westen der 24-Millionen-Metropole Shanghai bietet. Es gibt ein Fitnesscenter, die Rauchbar, einen Massageraum, zwei Billardtische, einen Kinderspielplatz, einen Lesesaal und ein VIP-Buffethaus. "Unsere Weinverkostungen kommen immer besonders gut an", sagt General Manager Zhou Yu. Andere Hersteller bieten Ähnliches. "Chinesische Kunden erwarten viel, nicht nur vom Produkt, sondern auch vom Service", sagt Nicholas Speeks, Chef der Vertriebsgesellschaft von Mercedes-Benz in China.
Im Schnitt bringen die Chinesen mehrere Stunden im Autohaus zu. Sie schleppen die Familie mit, rauchen bei Klaviermusik Zigarre, machen Sport – und kaufen im besten Fall zum Schluss eine der schwarzen S-Klassen, die im ersten Stock für 930.000 Renminbi, etwa 116.250 Euro, angeboten werden.

Deutsche profitieren von Chinas Höhenflug


Es lohnt sich für die Automobilkonzerne, chinesische Kunden so zu umwerben, dass es Europäer kaum glauben können. Ohne den riesigen Markt in Fernost würden selbst die erfolgsverwöhnten deutschen Hersteller in der Krise stecken. 14 Millionen Autos werden dieses Jahr voraussichtlich in der Volksrepublik verkauft, das sagt der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) voraus, erneut ein Plus.
 
In den USA werden es wohl 15 Millionen sein. Die USA und China, das sind die beiden entscheidenden globalen Automärkte, der Rest ist entweder deutlich kleiner oder im Dauersinkflug wie Europa. In keinem Land sind die Absatzzahlen zuletzt so in die Höhe geschnellt wie in China. 2009 wurden dort gerade mal 8,4 Millionen Pkw und kleine Transporter verkauft.
Die Deutschen haben von dem Höhenflug besonders profitiert, mehr als beispielsweise die sonst so schlagkräftige und exportorientierte japanische Autoindustrie: Jedes fünfte Auto, das in China verkauft wird, zählt zu einer deutschen Konzernmarke. Doch die ganz großen Boomzeiten in Fernost sind für die gesamte Branche vorbei, die Hersteller spüren es bereits.
Also ziehen sie auf der Motorshow Shanghai, die am Wochenende begonnen hat, alle Register – und machen sich bereit, für den langen Marsch nach Westen: Nun sollen im Inneren des Riesenreiches neue Kunden gewonnen werden, damit die Absatzzahlen nicht wegbrechen. Denn das wäre angesichts der Dauerschwäche in Europa ein Desaster für die Branche.

Staus und Sozialneid


Grundsätzlich wären die weiteren Aussichten für die Autoindustrie in China gar nicht schlecht. Pünktlich zum Start der Automesse in Shanghai meldet der Entwicklungsreport Auto 2013, der in der Reihe der "Blaubücher der Pekinger Akademie für Sozialwissenschaften" erscheint, dass der Privatbestand an Autos in der Volksrepublik die Marke von 100 Millionen übersprungen hat.
Ende 2012 waren es 93,5 Millionen gewesen, statistisch kamen damit 23,2 Autos auf hundert Familien. Ab 20 Privatautos pro 100 Familien zählt man zu den Staaten mit einer "Autogesellschaft", die die Erstmotorisierung hinter sich gelassen hat. Und glaubt man den Autoren des Reports, wird sich der Bestand innerhalb von fünf Jahren auf 40 Wagen pro 100 Familien verdoppeln. Die Kaufbereitschaft sei da, allerdings würden auch die Unsicherheiten und Risiken für die Autobauer zunehmen.
Fünf Probleme identifiziert das Blaubuch, die den Autoboom bremsen könnten: die zunehmende Umweltbelastung und Einschränkung der freien Fahrt. Der Trend zu einer "unharmonischen Autoklassengesellschaft" mit ihrem Sozialneid schürenden Reich-Arm-Gefälle und zuletzt steigende Korruption und Privilegien (es gibt acht Fahrklassen), die erlauben, sich über Verkehrsregeln hinwegzusetzen.

Wettbewerb wird immer härter


Je deutlicher diese Probleme vor Augen treten, desto stärker drängen die Autobauer in das bislang vergleichsweise schwach entwickelte Innere und den Westen Chinas. Nur an der Küste vertreten zu sein, reicht längst nicht mehr, zumal immer mehr Autokonzerne auf dem chinesischen Markt Fuß fassen wollen. Der Wettbewerb, bislang schon scharf, wird immer härter.
Zugleich steigt das Selbstvertrauen der chinesischen Autobauer. Auf der Automesse Shanghai ist das deutlich zu sehen. Während die deutschen Hersteller in Hallen weit ab vom Schuss untergebracht sind, logieren Geely, Chery, Changan und JAC prominent am Eingang des Expo-Geländes und nehmen jeweils fast eine halbe Messehalle in Beschlag. JAC, der staatliche Autobauer aus Hefei, präsentiert knapp zwei Dutzend Fahrzeuge, dazu tanzen junge Chinesinnen in traditionellen rot-goldenen Kleidern.
Auch Geely scheint die ganze Produktpalette zeigen zu wollen. Models mit glitzernden Brilliantkleidern und schulterlangen Ohrringen lehnen sich an die Wagen und lächeln in die Kameras. Das macht einen etwas billigen Eindruck – wie auch die Autos. Trotzdem: Die chinesischen Anbieter haben qualitativ aufgeholt, gerade im Mittelklassebereich, in dem Volkswagen einen großen Teil des Umsatzes macht. "Die Wagen sind viel, viel besser geworden", sagt Bill Barranco von Autovision, einer Unternehmensberatung in den USA.
Neben der globalen und lokalen Konkurrenz sind es derzeit aber vor allem die staatlichen Stellen, die es der Autoindustrie immer schwerer machen: Zentralregierung und Provinzbehörden kappen ihre Etats für Dienstwagen. Metropolen wie Peking, Shanghai oder Kanton schränken Neuzulassungen über Los- oder Auktionssysteme ein. Großstädte wie Tianjin oder Shenzhen sind dabei, es ihnen nachzutun, die dritte Garde wie Chengdu, Changchun, Lanzhou, Nanchang, Hangzhou oder Guiyang setzten auf partielle Fahrbeschränkungen.

VW baut sieben neue Werke in China


Die Autobauer halten dagegen, setzen auf noch mehr neue Modelle, mehr Service und verstärkt Produktion vor Ort, also weitere Werke in China. Allen voran VW. Die Wolfsburger, die vor 30 Jahren den ersten Santana in China produzierten, bauen maßgeblich auf China, um bis 2020 der größte Autobauer zu werden. Bis 2015 sollen mit den Joint-Venture-Partnern 9,8 Milliarden Euro investiert werden, sieben neue Werke sind geplant.
Fünf davon nehmen noch in diesem Jahr die Produktion auf. Sie liegen im Süden, in Foshan, aber auch in Urumqi, ganz im Westen. "Wir sind in Urumqi, noch bevor einer unserer Wettbewerber hier ankommt", sagt VW-China-Chef Jochem Heizmann. Bei rund 18 Prozent Markanteil liegt VW derzeit im Westen Chinas. "Das ist das Schlachtfeld der Zukunft, für alle von uns", sagt Weiming Soh, Vize-Chef für China.
Zuletzt hatten sich die Verkäufe von VW schlechter als der Gesamtmarkt entwickelt, um "nur" elf Prozent waren sie gestiegen. Die Branche war der China Association of Automobile Manufacturers zufolge um 13 Prozent gewachsen.
Die Expansion im Westen fällt auch deshalb schwer, weil die Kaufkraft in den Provinzen deutlich geringer ist. Dort sind ganz andere Autos gefragt, als in den bislang erschlossenen Regionen. Auf die Fragen, mit welchen Modellen man dort punkten will, wie die Produktpalette für das neue China aussehen soll, bekommt man in Shanghai man nur spärliche Informationen.
Volkswagens China-Vize Soh druckst herum, auch der Chef von Audi in China, Dietmar Voggenreiter, wird nicht konkreter. Immerhin sagt er: "Wir bedienen bisher nur die Hälfte der kleineren Millionenstädte." Derzeit eröffne pro Woche ein neuer Händler-Standort. So solle Audi der Schritt nach Westen gelingen. Konkurrent Daimler traut sich derweil nicht mal eine Prognose nach seiner jüngst gestarteten China-Offensive zu. Klar sei nur, dass man den Absatz auf dem weltgrößten Automarkt weiter steigern wolle, sagte der neue China-Vorstand Hubertus Troska.

Daimler hinkt bislang hinterher


Daimler steht in der Volksrepublik besonders unter Zugzwang. Die Schwaben fahren ihren deutschen Konkurrenten BMW und Audi deutlich hinterher. Auch weil der Vertrieb schlecht organisiert war, ein Problem, das inzwischen behoben wurde. Dennoch ist die Produktion weiter zeitaufwendiger und damit teurer als bei den Rivalen.
Dieter Zetsche scheint das nicht sonderlich zu sorgen – der Daimler-Chef machte einen ausgeglichenen Eindruck, als er nach seiner Landung in Shanghai im World Financial Center die Studie des geplanten Mini-SUV GLA vorstellt. Der Kühler des silbernen Wagens summt, als Zetsche in die Kameras spricht. "Wir sind später in den Markt gekommen als unsere Wettbewerber, wir müssen aufschließen."
Wie Volkswagen will auch Daimler in den Westen des Landes expandieren. Die Stuttgarter bauen derzeit landesweit 75 neue Stützpunkte auf. Das Vorgehen im Westen sei dasselbe wie in anderen Regionen: "Wir schauen nach Investoren", erklärt Zetsche, danach suche man nach Händlern. Daimler wolle mit der gesamten Produktpalette gen Westen. Es sei vorstellbar, dass die Kunden dort vermehrt kleinere Motoren oder Kompaktmodelle nachfragten.
Neue Werke soll es aber nicht geben, stattdessen baut Daimler das Pekinger Werk aus. Es wird das größte Mercedes-Werk weltweit sein. Bis 2015 wird Daimler 300.000 Autos im Reich der Mitte verkaufen und zwei Drittel davon vor Ort produzieren – wenn die Nachfrage stimmt.

Kritik an Autos ausländischer Hersteller


Es gibt allerdings Autobauer, die sich in China weiter mit echten Luxusproblemen rumschlagen – BMW zum Beispiel. Der neue China-Chef der Münchner, Karsten Engel, ist froh, dass es mit dem halsbrecherischen Wachstum ein Ende habe. 46 Prozent mehr Autos hatte BMW von 2005 bis 2012 im Schnitt pro Jahr verkauft. Entsprechend rasant hätten die Münchner ihre Kapazitäten und das Händlernetz ausbauen müssen. Dieses Tempo könne auf Dauer auch schiefgehen, so Engel.
Vielleicht ist es das schon. Immer öfter ist in China Kritik an den Autos ausländischer Hersteller zu hören, auch an denen der deutschen Premiumhersteller. Zuletzt wurde BMW, Audi und Mercedes von Staatsmedien vorgeworfen, in den Innenräumen ihrer Fahrzeuge gesundheitsschädliche Dämmstoffe eingesetzt zu haben. Was die Hersteller umgehend zurückwiesen.
 
 

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