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Thursday, April 25, 2013

Bloomberg spricht über den Angriff auf Times Square

Laut New Yorks Bürgermeister wollten die Terroristen von Boston auch in seiner Stadt ein Attentat begehen. Die beiden glaubten an Verschwörungstheorien – etwa dass die Regierung 9/11 geplant hatte

Die mutmaßlichen Attentäter von Boston haben offenbar ein Attentat auf dem New Yorker Times Square geplant. Dies habe er von der US-Bundespolizei FBI erfahren, sagte Bürgermeister Michael Bloomberg. Die Information sei "eine schreckliche Erinnerung daran, dass wir Ziele für Terroristen bleiben".
Langsam sickern immer mehr Informationen über das paranoide Weltbild von Tamerlan und Dhzorkhan Tsarnaev durch. Die Mutter der Täter flüchtet sich in absurde Verschwörungstheorien: Sie habe vorige Nacht ein Video gesehen, laut dem der ganze Bombenanschlag auf den Bostoner Marathon eine gewaltige Inszenierung war. Ein Schauspiel! Ohne echte Tote und Verletzte, mit roter Farbe statt echtem Blut.
Das sagte Zubeidat Tsarnaev im fernen russischen Dagestan dem Sender CNN. Gekleidet entsprechend muslimischer Tradition mit einem Kopftuch, blieb die 45-Jährige bei ihrer Version, dass ihre Söhne nichts Böses getan hätten. "Sie sind unschuldig, sie wurden verleumdet." Tamerlan, der 26-Jährige, sei mithin ohne jede Schuld auf der Flucht vor der Polizei erschossen worden, und Dzhohkar, der bei den Feuergefechten schwer verletzte und jetzt an ein Krankbett gefesselte 19-Jährige, ebenfalls kein Terrorist.
 
Dass Eltern zu wilden Spekulationen Zuflucht nehmen, wenn sie sich gegen das Eingeständnis übler Verirrungen ihrer Kinder sperren wollen, mag nicht ungewöhnlich sein. Im Fall der Bostoner Brüder, die aus Rache für amerikanische Kriege in islamischen Staaten wie Afghanistan und Irak offenbar wehrlose Zivilisten in ihrer neuen Heimat attackierten, haben Verschwörungstheorien aber einen besonderen Stellenwert.

"Mein Sohn weiß alles darüber"


Denn Tamerlan Tsarnaev, der offenkundig radikalisierte Muslim und Drahtzier des Anschlages, widmete einen großen Teil seiner Zeit derartigen Themen. Der arbeitslose Inhaber einer Greencard, der sich zu Hause um die dreijährige Tochter kümmerte, während seine zum Islam konvertierte amerikanische Ehefrau das Geld verdiente, glaubte nicht an einen Al-Qaida-Angriff am 11. September 2001. 9/11 sei von der US-Regierung inszeniert worden, betete ihm seine Mutter, damals Kosmetikerin in einem Schönheitssalon, nach. "Mein Sohn weiß alles darüber", versicherte sie einer irritierten Kundin. "Man kann das im Internet nachlesen."
Tamerlan, der talentierte Pianospieler und angehende Schwergewichtsboxer, der vorübergehend Chancen zu haben schien auf einen Platz im US-Olympiateam, glaubte offenkundig an Verschwörungstheorien aller Art. Er besuchte, so dringt es jetzt aus Ermittlerkreisen, die Website "Infowars", die von einem der bekanntesten Verschwörungstheoretiker der USA, Alex Jones, betrieben wird.
Jones, man mag es für eine Ironie der Ereignisse halten oder für Spekulationen, die so wild sind, dass sie sich selbst in den Schwanz beißen, wartete gleich nach dem Anschlag auf den Bostoner Marathon mit einer besonderen Erklärung auf: Es handele sich, ließ der stimmgewaltige Radiomoderator vor der Identifizierung der beiden Brüder wissen, gar nicht um eine Terrortat, sondern um eine missglückte Übung des FBI. Man habe Bomben unter die Menge gebracht, um sie dann zu entdecken und zu entschärfen – und dabei sei möglicherweise etwas schief gegangen.
Der gebürtige Russe Tamerlan glaubte nicht nur, dass 9/11 eine gigantische Inszenierung der Regierung war. Er begeisterte sich auch, so sagen Freunde von ihm, für die "Protokolle der Weisen von Zion", jenes antisemitische Pamphlet aus dem russischen Zarenreich, das angeblich die Absprache einflussreicher Juden zur Erringung der Weltherrschaft dokumentiert. Dass diese "Protokolle" gefälscht sind, wies schon 1921 die Londoner "Times" nach. Aber in rechtsradikalen Milieus und in islamistischen Kreisen erfreut sich der Text bis heute höchster Popularität.
Alex Jones zeigt sich von den Nachrichten, Tamerlan Tsarnaev habe zu seinen Anhängern gehört, wenig beeindruckt. "Ich habe das vorausgesehen", setzte er im Gespräch mit einer Journalistin seine verschwörungstheoretisches Puzzle munter fort. "Die Bundesregierung versucht mich in Verbindung mit Tragödien zu bringen."

Name in einer der Listen falsch geschrieben


Kritik am US-Sicherheitsapparat gibt es derweil aber auch von anderer Seite. FBI, sonstige Polizeibehörden und das Heimatschutzministerium (Homeland Security) waren für ihre schnelle Identifizierung der beiden Verdächtigen nach dem Bombenanschlag aus einer scheinbar unübersichtlichen Menge an Videos und für die erfolgreiche Jagd auf die Brüder noch sehr gelobt worden. Jetzt aber wird auch über Fehler weit im Vorfeld der Tat gesprochen. Hat sich die amerikanische Geheimdienst-Bürokratie, zu der 16 unterschiedliche Agenturen, dazu die Bundespolizei und die Homeland Security, mit ihren oft nicht eindeutig definierten Zuständigkeiten in ihrer Unübersichtlichkeit verheddert?
Nicht nur das FBI bekam nämlich bereits 2011 einen Hinweis des russischen Geheimdienstes auf die vermutete Radikalisierung von Tamerlan Tsarnaev, sondern sechs Monate später auch die CIA. Beide Behörden setzten den Namen auf zwei Beobachtungslisten für möglicherweise extremistische Personen. Ungeklärt ist, ob diese Informationen zugleich weitergeleitet wurden an das Commonwealth Fusion Center in Maynard im Bundesstaat Massachusetts, das nach dem 11. September 2001 eigens zum Abgleich von Informationen unterschiedlicher Dienste eingerichtet worden war.
Das FBI untersuchte die Vorwürfe, nahm Tsarnaevs Internetaktivitäten und Telefonverbindungen unter die Lupe und befragte auch ihn und seine Mutter. Dabei wurden keine belastenden Indizien gefunden. Danach erfolgten keine weiteren Schritte, zudem eine Bitte des FBI an den russischen Geheimdienst um weitergehende Informationen im Juni 2011 unbeantwortet blieb.
Hinzu kam, dass der Name Tsarnaev in einer der Listen falsch geschrieben wurde. Zudem tauchte der junge Mann in beiden Listen mit unterschiedlichen (und zudem falschen) Geburtsdaten auf. Darum wusste schließlich die Homeland Security von der Reise Tsarnaevs von Januar 2012 bis Juni nach Russland. Aber CIA und FBI blieben ahnungslos.
Wüssten Verschwörungstheoretiker wie die Hörer von Alex Jones von derartigen Pannen, würden sie kaum noch glauben, dass finstere Mächte wie die CIA und die Regierung das Land und wohl die gesamte Welt regieren.
 
 
 

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