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Sunday, April 21, 2013

Tsarnaev kann nicht in Frage gestellt werden


Der Gesundheitszustand des mutmaßlichen Bomben-Attentäte
rs Dzhokhar Tsarnaev ist kritisch, ob er vernommen werden kann bleibt unklar. Dabei sind viele Fragen offen. Waren weitere Anschläge geplant?


Die Hintergründe des Anschlags auf den Boston-Marathon werden möglicherweise nie aufgeklärt. Der Bürgermeister der Ostküstenmetropole, Tom Menino, sagte am Sonntag, der gefasste 19-jährige Tatverdächtige werde wegen seiner schweren Verletzungen womöglich nie befragt werden können. "Wir wissen nicht, ob wir jemals in der Lage sein werden, die Person zu vernehmen", sagte Menino in der Sendung "This Week" des US-Senders ABC. Der aus dem Kaukasus stammende Dzhokhar Tsarnaev befinde sich in einem "sehr ernsten Zustand", sagte Menino. Details nannte er nicht.
Der junge Mann war in der Nacht zum Samstag bei einer beispiellosen Polizeiaktion in einem Bostoner Vorort entdeckt und festgenommen worden. Bei einer Schießerei mit der Polizei war er in den Hals getroffen und an der Zunge verletzt worden, wie eine mit den Ermittlungen vertraute Person sagte. Es sei unklar, wann er wieder sprechen könne. Er liegt im Krankenhaus.
Da sich Tsarnaev in einem kritischen Zustand befindet, werde der Richter oder ein Vertreter ihn an seinem Krankenbett über die Anklagepunkte informieren. Die Anklageverlesung werde dann später erfolgen. US-Senator Dan Coats sagte, es sei fraglich, ob Tsarnaev je wieder werde sprechen können. Seinen Informationen nach sei dem Verdächtigen in den Hals geschossen worden. "Das heißt nicht, dass er überhaupt nicht wird kommunizieren können." Derzeit sei er aber in einem Zustand, in dem von ihm keinerlei Informationen zu erwarten seien. Das Motiv für den Anschlag ist damit weiterhin völlig unklar. Eigentlich hatten sich die Ermittler von der Befragung des Überlebenden Aufschluss über die Beweggründe und mögliche Komplizen erhofft.
 

"Wir haben eine Million Fragen"


Noch am Sonntag sollte Anklage gegen den Dzhokhar Tsarnaev erhoben werden. Sein 26 Jahre alter Bruder Tamerlan war bei dem massiven Polizeieinsatz, der den Großraum Boston am Freitag praktisch lahmgelegt hatte, getötet worden. Bei dem Anschlag auf den Boston-Marathon am vorigen Montag waren drei Menschen getötet und 176 verletzt worden.
"Wir haben eine Million Fragen, und diese Fragen müssen beantwortet werden", sagte der Gouverneur des US-Bundesstaates Massachusetts, Deval Patrick. Die Bundespolizei FBI geht davon aus, dass der ältere Tsarnaev-Bruder die führende Kraft der beiden war. Ermittlerkreisen zufolge wird allerdings noch untersucht, ob weitere Personen in das Attentat verwickelt sind. Nach ersten Indizien ist allerdings davon auszugehen, dass die zwei keine Komplizen hatten, wie der örtliche Polizeichef Edward Deveau dem Fernsehsender CNN sagte.
Dennoch planten die Brüder eventuell weitere Anschläge. Wie der Bostoner Polizeichef Ed Davis am Sonntag dem TV-Sender "CBS" sagte, hätten die Beamten im Rahmen ihrer Verfolgung der beiden Brüder ein ganzes Arsenal hausgemachter Bomben und Materialien sichergestellt. "Wir haben auf Basis der gefundenen Beweise allen Grund zu der Annahme (...), dass sie noch weitere Menschen attackiert hätten", so Davis.
Sicherheitskreise schließen einen islamistischen Hintergrund nicht aus. So wurde Tamerlan Tsarnaev bereits Anfang 2011 vom FBI befragt, nachdem russische Sicherheitsdienste ihn radikal-islamischer Überzeugungen verdächtigt hatten. Das FBI erklärte allerdings, nach einer Überprüfung habe es damals keine Anhaltspunkte für "terroristische Aktivität" gegeben. Tamerlan Tsarnaev war im Januar 2012 nach Moskau gereist und hielt sich sechs Monate in der Region auf, wie aus Ermittlerkreisen verlautete. Es sei allerdings unklar, wozu die Reise diente und ob der aus Tschetschenien stammende Verdächtige womöglich Kontakte zu militanten islamistischen Gruppen aus der Kaukasusregion hatte.

Radikalisierung in den Staaten


Ein Sprecher einer islamistischen Gruppe aus Dagestan, die gegen die russische Regierung kämpft, distanzierte sich von den Anschlägen auf den Marathon. Er stellte klar, seine Gruppe befinde sich nicht im Krieg mit den USA.
In der russischen Region Dagestan leben heute die Eltern der beiden Brüder. Die Jungen wuchsen im muslimisch geprägten Kirgisistan auf, wo die Familie zu einer kleinen Gemeinschaft von Tschetschenen gehörte. Sie siedelte 2001 nach Dagestan über. In den russischen Nordkaukasus-Provinzen gibt es häufig Anschläge von Aufständischen, die für einen islamischen Staat kämpfen.
Der Verdacht gegen die Tsarnaev-Brüder schlug auch auf höchster politischer Ebene Wellen. Einer Mitteilung des russischen Präsidialamts zufolge vereinbarten Präsident Wladimir Putin und sein US-Kollege Barack Obama in einem Telefongespräch eine engere Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus.
Ruslan Zarni, nach eigener Auskunft der Onkel der mutmaßlichen Attentäter, sagte dem Sender CNN, er habe den Wandel in den religiösen Überzeugen von Tamerlan Tsarnaev erstmals 2009 bemerkt. Er deutete an, dass es in den USA zur Radikalisierung seines Neffen gekommen sei.

Tamerlan Tsarnaev hinterlässt Frau und Kind


Unterdessen wurden weitere Details aus dem Leben der Brüder bekannt. Tamerlan Tsarnaev war verheiratet mit einer Frau aus der amerikanischen Mittelschicht, deren Vater Mediziner ist. Das Paar hatte zusammen ein kleines Kind. Die Familie der Frau erklärte in einer Stellungnahme, die an der Haustür befestigt war: "Unsere Tochter hat heute ihren Mann verloren, den Vater ihres Kindes. Wir können nicht fassen, wie es zu dieser schrecklichen Tragödie kam." Der festgenommene Dschochar Zarnajew war Student an der Universität von Massachusetts Dartmouth.
Mit Schweigeminuten und Trauerbändern gedachten in Hamburg und London Zehntausende Marathon-Läufer der Opfer des Boston-Anschlags. Die Großveranstaltungen bildeten den Auftakt der diesjährigen Langlaufsaison in Europa. In Hamburg gingen 21.000 Läufer an den Start. Ein Karton in einer U-Bahn-Station löste kurzzeitig einen Bombenalarm an. Die Polizei gab aber nach kurzer Zeit wieder Entwarnung. Die Polizei hatte nach früheren Angaben 400 Beamte in der Hansestadt im Einsatz, die Sicherheitsvorkehrungen waren jedoch nicht weiter erhöht worden.
In London gingen sogar 36.000 Läufer an den Start, die zum Gedenken an die Opfer von Boston schwarze Bänder trugen. Die Polizei hatte in der britischen Hauptstadt eine Aufstockung der eingesetzten Beamten um 40 Prozent angekündigt. Es bestehe jedoch keine konkrete Gefahr.
Reuters

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