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Saturday, May 11, 2013

Warum ist die Zahl der eingebürgerten Türken stagniert

83 Prozent der türkischen Staatsbürger hierzulande wollen nicht Deutsche werden. Die Einbürgerungsrate der meisten anderen Zuwanderergruppen liegt höher. Ist das besorgniserregend oder erfreulich?

Im Umgang mit ihren Türkeistämmigen wirken die Deutschen manchmal wie gekränkte Liebhaber. So beobachtete einst Ex-NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU). Ergäbe eine Umfrage, dass Türkeistämmige sich mit dem Land ihrer Ahnen identifizierten, empfänden viele Alteingesessene das sogleich als Korb – und fragten sich, warum "die bloß nicht zu uns gehören" wollten.
Sollte an Laschets im Scherz hingeworfenem Vergleich etwas dran sein, wäre das brisant. Denn gekränkte Liebhaber, das hat die psychologische Forschung bewiesen, neigen zur Überreaktion. Und Kränkungen in ihrem Sinne gäbe es nicht wenige. Erst am Mittwoch stellte das Essener Zentrum für Türkeistudien und Integration (ZfTI) eine Studie zur Einbürgerungsbereitschaft der landesweit gut 900.000 und bundesweit 2,9 Millionen Türkeistämmigen vor.

Fehlende Anreize


Ihr Ergebnis: 83 Prozent der türkischen Staatsbürger hierzulande wollen derzeit keine Deutschen werden, 2012 waren es 81 Prozent. Die Zahl der eingebürgerten Türkeistämmigen stagniert damit bei 40 Prozent. Die Einbürgerungsrate der meisten anderen Bevölkerungsgruppen mit Zuwanderungsgeschichte liegt höher.
Als Gründe benennt die Studie vor allem zwei: erstens die im Staatsangehörigkeitsgesetz geforderte Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit, zweitens fehlende Anreize, den türkischen Pass abzugeben, um den deutschen zu bekommen. Denn: Anders als manch europäisches Nachbarland braucht man hierzulande nicht Deutscher sein, um etwa in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen, wie die Studie anmerkt.
Und noch eine potenzielle Kränkung – um im Bild zu bleiben – hielt sie bereit: Mit Deutschland als Heimat identifizieren sich demnach 68 Prozent der Deutschen mit türkischen Wurzeln und 54 Prozent der hier lebenden türkischen Staatsbürger, während sich rund 90 Prozent aller Türkeistämmigen auch mit dem Land ihrer Ahnen identifizieren. Die meisten Türkeistämmigen wollen also – zumindest auch – Türken bleiben.

Aufregung in der Schulpolitik


Wie es der Zufall wollte, wurde am Mittwoch nicht nur diese Studie im NRW-Landtag vorgestellt, sondern auch ein benachbartes Thema debattiert. Die CDU-Fraktion entrüstete sich über den Versuch des türkischen Staates, den Unterricht türkeistämmiger Schüler an Schulen zu beeinflussen. Hintergrund: Türkische Konsulate verteilen laut Schulministerium nicht zugelassene Schulbücher für den muttersprachlichen Türkisch-Unterricht an Lehrer.
Darin werde "nationalistisches und minderheitenfeindliches" Gedankengut gelehrt, so warnte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dies konnte das Ministerium zunächst allerdings nicht bestätigen.
Dennoch diskutierten Schulpolitiker nun, ob der türkische Staat hierzulande einen nationaltürkischen Block errichten wolle. Unter den Abgeordneten kam nun ein besorgter Tonfall auf. Da wurde an die Versuche des "Ministeriums für Auslandstürken" und seiner hiesigen Helfer erinnert, die türkische Identität der Türkeistämmigen zu zementieren. Da erinnerte auch Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) daran, dass der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan immer noch versuche, "für alle Türkeistämmigen zu sprechen".

Wichtig ist "ein Grundvertrauen"


Und manchem Christdemokraten fiel wieder ein, dass schon 2009 der türkische Generalkonsul in Düsseldorf seinen Hut nehmen musste, weil er gegenüber Türkeistämmigen gesagt haben soll, die Deutschen würden den Türken am liebsten "das gleiche antun, was sie während der Nazi-Diktatur den Juden angetan haben" (was der Beklagte bestritt).
Türken wollen Türken bleiben, Ankara versucht sie zu steuern – vor der Explosivität dieses Informationsgemischs warnen Konflikt- und Migrationsforscher wie Klaus Bade seit Langem. Allzu schnell werde da das Bild vom monolithischen Block abgrenzungsversessener Türken gezeichnet, das den Stoff biete, aus dem migrationspolitische Teufelskreise gemacht seien.
In der Tat: Wächst das Misstrauen gegenüber der vermeintlich abweisenden Minderheit, verstärkt das ihre Zurückhaltung, wodurch wiederum das Misstrauen der Mehrheit weiter steigt. Und dagegen, so predigt Experte Bade seit Jahren, helfe aufseiten der Mehrheitsgesellschaft nur der Versuch, einmal durch die Augen der Minderheit zu schauen, die Ansprüche an diese auf ein realistisches Maß zurückzufahren und dadurch "ein Grundvertrauen" zwischen Mehrheit und Minderheit zu stärken.
Darum bemühte sich auch die Studienmacherin Martina Sauer. Sie verwies auf erhebliche Vorbehalte, denen Türkeistämmige hierzulande begegneten, was die Identifikation mit der deutschen Heimat erschwere. Ein Beispiel bot 2012 eine Studie des Bundesfamilienministeriums.
Ihr zufolge haben Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland nur dann gute Chancen bei einer Stellen-Bewerbung, wenn sie sich anonym bewerben. Wissen die Personalentscheider dagegen um den Zuwanderungshintergrund der Interessenten, sinken deren Chancen.

Angst gegenüber "dem Islam"


Zudem berichten 25 bis 30 Prozent der Türkeistämmigen laut Studie von regelmäßigen Diskriminierungserfahrungen durch Alteingesessene – mehr als andere Gruppen mit Zuwanderungshintergrund.
Als abschreckend erfahren Türkeistämmige auch die Terrorserie der NSU, deren Opfer zu 80 Prozent türkeistämmig waren. Laut Untersuchung der Hacettepe-Universität Ankara fürchten drei Viertel der Türkeistämmigen nun weitere rechtsextreme Morde.
Doch die Kette derart verschreckender Akte reicht weiter zurück – bis zu den rechtsextremen Mordanschlägen von Solingen und Mölln Anfang der 90er, die laut ZfTI einen massiven Rückschlag bei der Verbundenheit Türkeistämmiger mit Deutschland bewirkten.
Zu den wenig einladenden Akten gehörte laut ZfTI-Leiter Haci Halil Uslucan auch die Sarrazin-Debatte, in der es immerhin um die brüskierende Frage ging, ob Türken genetisch bedingt weniger leistungsfähig seien. Auch etliche Umfragen der letzten Jahre dürften kaum einladend gewirkt haben, denen zufolge mal 50, mal 60, mal 90 Prozent der Deutschen Angst gegenüber "dem Islam" und "den Muslimen" äußerten.

Heimat trotz Ausgrenzungserfahrung


Damit verbunden ist eine weitere Erfahrung, die unter Türkeistämmigen laut Expertin Sauer verbreitet ist: die Zuschreibung des Türke-Seins durch die Umgebung. Demnach erleben Türkeistämmige regelmäßig, dass sie selbst dann von Alteingesessenen als Türken bezeichnet werden, wenn sie muttersprachlich Deutsch sprechen und deutsche Staatsbürger sind – "weil ihr Name türkisch klingt und ihr Phänotyp vermeintlich nicht deutsch" erscheine.
Vor diesem Hintergrund könnte man die Ergebnisse der ZfTI-Studie ganz anders einordnen: Zwei Drittel der Türkeistämmigen identifizieren sich auch mit Deutschland als Heimat – trotz aller Ausgrenzungserfahrung und trotz einer permanenten Werdet-bloß-nicht-zu-deutsch-Predigt aus Ankara.
Zudem ist die Zahl der Eingebürgerten 2012 um immerhin 11.985 angestiegen. Das könnte man mit Minister Schneider als "ausgesprochen erfreulich" bezeichnen.
Die Debatte um Hindernisse auf dem Weg zur "Eindeutschung" ignoriert laut fast allen Vertretern der türkischen Gemeinde aber einen Punkt, auf den die Studie verweist: Rund 90 Prozent der Türkeistämmigen finden es schön, zumindest auch Türke zu sein. Sie schätzen "den Reichtum der türkischen Kultur, sie fühlen sich ihrer Musik, Sprache, Dichtung, Lebensart und Spiritualität verbunden", wie der Islamratsvorsitzende Ali Kizilkaya sagt.
Das habe bei den meisten aber nichts mit einer Absage an die deutsche Kultur zu tun, sondern mit dem Versuch, "zwei reichen Welten gerecht zu werden". Ist das kränkend oder, nach Lage der Dinge, erfreulich?

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