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Monday, May 27, 2013

Wahlen, schürt Angst Katastrophe "virtuelle Demokratie"


Noch nie war die Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein so gering wie bei der Kommunalwahl. Die Parteien sorgen sich um ihre Basis. Ministerpräsident Albig denkt sogar über Internet-Abstimmungen nach

So richtig zufrieden ist niemand an diesemKommunalwahlabend in Schleswig-Holstein.Rund 46 Prozent Wahlbeteiligung bedeuten einen historischen Tiefststand. So wenig Menschen haben sich noch nie an einem Wahlgang im nördlichsten Bundesland beteiligt. Die Reaktion, vor allem der beiden großen Parteien, fällt eindeutig aus.
SPD und CDU ermahnen die Bürger zu einem stärkeren politischen Engagement. Andernfalls, so Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) stöhnend im Kieler Lokalfernsehen, "verlieren wir bald die Basis. Dann bekommen wir eine virtuelle Demokratie, in der alle paar Jahre Wahl gespielt wird."
Hinter dem klaren Sieg der Nichtwähler verblassen die Ergebnisse der einzelnen Parteien deutlich. Die CDU, so das vorläufige amtliche Landesergebnis, bleibt mit 38,9 Prozent zwar stärkste Partei, kann aber gegenüber dem historischen Tiefstand der Kommunalwahl 2008 nur marginal zulegen.

Die Grünen legen ordentlich zu


Die SPD, mit 29,8 Prozent noch unterhalb des schon relativ schwachen Werts der Landtagswahl vor einem Jahr, verpasst damit ihr Ziel deutlich, stärkste Partei zu werden. Die insgeheim befürchtete Abmahnung für die rot-grün-blaue Küstenkoalition stellt die Restwählerschaft dagegen nicht aus. Die Grünen legen mit 13,7 noch einmal zu; die dänische Minderheitspartei SSW als dritter Koalitionspartner bleibt mit rund drei Prozent stabil. Regierungschef Albig spricht dennoch von einem unbefriedigenden Ergebnis.
 
Klare Verlierer des aus der Summe von Kreistags- und Stadtparlamentswahlen gebildeten landesweiten Ergebnisses sind die anderen kleinen Parteien: FDP und Linke, die bei den Kommunalwahlen 2008 vergleichsweise stark abgeschnitten hatten, stürzen jeweils um vier Prozent ab und landen bei fünf beziehungsweise 2,5 Prozent. Die Piraten spielen mit 1,6 Prozent landesweit keine Rolle.
Auch lokale Wählergruppen, die beim letzten kommunalen Urnengang für viele Nichtwähler attraktiv gewesen waren, büßen an diesem Sonntag massiv Stimmen ein. Gerade in größeren Städten wie Lübeck und Flensburg gewinnen die etablierten Parteien in den Parlamenten an Gewicht, weil viele Bürger sich von den freien Wählervereinigungen abwenden und lieber zu Hause bleiben.

Sorge über mangelndes Bürgerengagement


Wer aus dem schleswig-holsteinischen Klein-Klein Schlüsse auf die bevorstehenden Bundestagswahlen ziehen möchte, sieht die Verstärkung einiger bekannter Trends. Schwarz-Gelb hat auch in einem strukturell immer noch recht konservativen Land derzeit kaum Chancen auf eine Mehrheit; Angela Merkel muss sich voraussichtlich einen neuen Koalitionspartner suchen. Rot-Grün stagniert, die Chancen auf ein solches Bündnis im Bund sind an diesem Sonntag auch nicht gestiegen.
Wichtigster Fingerzeig aus dem Norden aber ist das mangelnde Interesse der Wähler an demokratischen Wahlen, insbesondere auf lokaler Ebene. Schleswig-Holsteins neuer CDU-Vorsitzender Reimer Böge macht deshalb aus seinem Herz auch keine Mördergrube: Es sei erschütternd, dass 70 Prozent der Bürger laut Umfragen nicht bereit seien, sich auf kommunaler Ebene zu engagieren.
"Wir haben ein grundsätzliches Problem", konstatierte Böge im NDR.Bürgerinnen und Bürger müssten allmählich wieder begreifen, "dass ein Minimum an Engagement dazugehöre".

Kommen jetzt digitale Wahlmöglichkeiten


In der Tat ist es so, dass in zahlreichen kleinen bis winzigen Gemeinden Schleswig-Holsteins selbst die großen Parteien keine Listen mehr aufstellen können, weil ihnen schlicht das Personal fehlt. Böges Heimatgemeinde Hasenmoor ist ein klassisches Beispiel: Dort tritt allein die CDU an, Konkurrenz gibt es nicht. Für Böge ist das kein Wunder. Die "Basis an den Marktständen" sei es doch, die den Kopf hinhalten müsste, wenn in den Medien wieder einmal gemeckert werde über die Politik.
Einmal in Fahrt grätscht Böge auch der Landespolitik-Reporterin des NDR vor laufender Kamera in die Parade. Deren Frage, ob das schlechte Ergebnis der CDU auch für ihn persönlich einen Niederlage sei, kontert der Unionsvorsitzende mit dem wenig charmanten Ausruf: "Das ist doch Schwachsinn."
Er sei ja gerade mal zwei Monate im Amt und habe genug damit zu tun gehabt, die Partei nach den Turbulenzen der vergangenen Monate ein wenig zu beruhigen. Für den langjährigen Europaabgeordneten ist ungerechtfertigte Negativberichterstattung eine Ursache für die zunehmende Abkehr der Menschen von der Politik.

Fehlt Norddeutschen der Leidensdruck?


Auch Ministerpräsident Albig macht sich an diesem eher trostlosen Kieler Wahlabend Gedanken über die Demokratie. Zwar habe auch das miserable Wetter dieses Wochenendes zu dem Grau-in-Grau-Eindruck beigetragen, der sich ihm aufgedrängt habe, als er in einem leeren Klassenraum seinen Wahlzettel in die Urne steckte.
Man dürfe sich aber auch jenseits des Dauerregens Gedanken darüber machen, wie man das Wählen wieder attraktiver machen könne. Dazu, so der Sozialdemokrat, gehöre möglicherweise auch die Chance, seine Stimme digital über das Internet abzugeben.
Das allgemeine Trübsalblasen durchbricht nur die Kieler SPD-Bürgermeisterin Susanne Gaschke, in deren Stadt die Sozialdemokraten deutlich zugewonnen hatten: Die geringe Wahlbeteiligung könne man ja auch so interpretieren, dass "der Leidensdruck" im Norden der Republik "nicht so groß" sei.

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