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Tuesday, May 7, 2013

Deutschland ist das neue Talent in Europa

Die Zuwanderung in Deutschland erreicht ein Rekordniveau. Unter dem Druck der Krise kommen immer mehr Spezialisten aus ganz Europa zu uns. Eine Situation, von der beide Seiten nur profitieren können

Im Café Sankt Oberholz in Berlin wird auch Deutschlands Zukunft verhandelt. Hier, im In-Viertel Mitte, trifft sich die unternehmungslustige Apple-Bohème. Junge Europäer und andere Internationale in ihren 20ern und 30ern. Das Café, so heißt es, ist in zwei Lager geteilt.
Da gibt es einerseits die, die sich am liebsten auf Englisch über neue Projekte und Businesspläne unterhalten. Die zweite dominante Sprache ist Italienisch. Denn das Oberholz ist auch der Treffpunkt der italienischen Start-Up-Szene in Berlin. Sie sind in die deutsche Hauptstadt gekommen, weil es dort mehr kreative Freiheit gibt als in ihrer Heimat, wo die Bürokratie unternehmerische Neugründungen behindert und die Rezession den Jungen dann den Rest gibt.
Die alternde deutsche Gesellschaft kann diese jungen, gut ausgebildeten Talente gut brauchen. Das ist der Grund, warum Arbeitsministerin Ursula von der Leyen von einem Glücksfall spricht, als sie die neuen Rekord-Einwanderungszahlen vorlegt. Mehr als eine Million Menschen kamen im vergangenen Jahr nach Deutschland. Rechnet man die Abwandererzahlen dazu, ergibt sich ein Plus von 369.00 Menschen. So viel, wie seit 1995 nicht mehr. Tatsächlich liegen aber Welten zwischen damals und heute. 1995 hat das wirtschaftlich kriselnde, die Widervereinigung verdauende und von Arbeitslosigkeit geplagte Deutschland Einwanderung vor allem als Bedrohung gesehen.


Es kommen ganz andere Menschen


Heute boomt die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit ist im europäischen Vergleich auf bewundernswert niedrigen Niveau, und dem Land gehen schon die Fachkräfte aus. Und es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass man sich den üppig ausgestatteten deutschen Sozialstaat angesichts der alternden Gesellschaft nur weiter wird leisten können, wenn die ausgebliebenen Babys durch Einwanderung kompensiert werden.
Am wichtigsten ist aber, dass sich auch der Charakter der Zuwanderung verändert hat. Lange Zeit hat Deutschland vor allem niedrig qualifizierte Einwanderer angezogen. Also gerade jene, die am ehesten dem Risiko ausgesetzt sind, irgendwann arbeitslos zu werden und dem Staat auf der Tasche zu liegen. Laut der jüngsten Studie des Deutschen Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat sich das inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Die neuen Migranten sind im Schnitt besser gebildet als die einheimische Bevölkerung. Und sie stehen den Deutschen auch kulturell näher als frühere Einwanderer. Der überwiegende Teil stammt aus Europa, die Türkei rangiert als erstes nichteuropäisches Herkunftsland auf Platz 8.
Natürlich ist Deutschland in gewisser Weise Nutznießer der tiefen Krise in Südeuropa. Aus diesen Ländern sind denn auch die höchsten Steigerungsraten zu vermelden, aus Spanien kamen 45 Prozent mehr Menschen, gefolgt von Griechenland und Portugal (43 Prozent) und Italien mit 40 Prozent.
Allerdings sollte man sich davon auch nicht täuschen lassen: in absoluten Zahlen liegen die osteuropäischen Länder immer noch weit vorne. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat Deutschland seine Rolle als kultureller und wirtschaftlicher Magnet für Osteuropa, die es vor der Nazizeit einmal besaß, langsam wieder zurückgewonnen, befördert auch durch die Präsenz deutscher Unternehmen in der Region.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – in Deutschland


Wer in Osteuropa heute eine Erfolgskarriere in internationalen Unternehmen anstrebt, der denkt dabei natürlich genauso an Deutschland wie an Großbritannien oder die USA. Deutschland ist für viele junge, gut ausgebildete Osteuropäer das Land der Möglichkeiten, wo Leistung etwas gilt und man mit harter Arbeit nach oben kommen kann. Deutschland ist das kleine, geografisch näher liegende Amerika in Europa.
Diese Erkenntnis beginnt sich in Südeuropa langsam durchzusetzen. Doch die hohe Hürde der deutschen Sprache und ein Hochschulsystem im Süden, das auch in technischen Berufen oft gänzlich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbei ausbildet, tragen dazu bei, dass Europa selbst in dieser Megakrise bisher nicht wirklich über einen flexiblen Arbeitsmarkt verfügt.
Dabei profitieren alle davon, wenn gut ausgebildete, aber arbeitslose junge Menschen dorthin gehen, wo ihre Fähigkeiten gebraucht werden. Die junge Generation der Krisenländer, weil sie so eine Perspektive erhält. Starke Volkswirtschaften wie Deutschland, weil sie ihren Fachkräftebedarf decken und innovative Köpfe binden können. Und am Ende werden auch die südlichen Krisenländer profitieren, wenn ein Teil der jungen Auswanderer nach dem Ende der Krise mit Berufserfahrung, neuen Ideen und wertvollen Kontakten in ihre Heimatländer zurückkehrt.

Wir sollten uns bemühen


Deutschland darf sich aber nicht auf der Vorstellung ausruhen, dass es jetzt die Wunderformel gegen den demographischen Niedergang gefunden hätte. Die internationale Start-Up-Gemeinde aus dem Sankt Oberholz besteht aus Weltbürgern, die auch schnell woandershin gehen können, wenn man ihnen das Leben mit bürokratischen Hürden, Überregulierung, mit unfair hohen Steuerlasten oder Ausbrüchen von Fremdenfeindlichkeit schwer macht.
Ähnliches gilt für Ingenieure und andere gut ausgebildete Zuwanderer, die im wirtschaftlichen Powerhouse im Süden Deutschlands gebraucht werden. Nur wenn wir ihnen das Gefühl geben, hier willkommen zu sein und gebraucht zu werden, wird es uns gelingen, auch in Zukunft den für unsere Wirtschaft und unsere Zukunft so wichtigen Zustrom an guten Köpfen aufrecht zu erhalten.

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