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Saturday, August 3, 2013

Statussymbole der Deutschen ist unbezahlbar

Neun der zehn wichtigsten Wünsche der Deutschen gibt es nicht zu kaufen. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala steht laut einer Studie die Zeit. Weitere Ergebnisse sind deutlich überraschender.

Beim Streben nach Status schauen die Deutschen verstärkt auf Dinge, die man sich mit Geld nicht kaufen kann. Für besonders erstrebenswert halten sie es etwa, Zeit für sich zu haben, körperlich fit zu sein oder viele Sprachen zu sprechen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Online-Befragung der Berliner Strategieagentur Diffferent, die der "Welt am Sonntag" exklusiv vorliegt.
"In vielen Bereichen ist eine Sättigung eingetreten", sagt der Autor der Studie, Dirk Jehmlich, Director Trends & Innovation bei Diffferent. "Ein Smartphone zu besitzen zum Beispiel ist per se kein Statussymbol mehr." Eher könnte künftig das Gegenteil der Fall sein.
Mehr als die Hälfte der Befragten nannte eine bewusste Auszeit von Handy und Internet als Möglichkeit, um sich von anderen abzugrenzen. Immerhin 45 Prozent fanden eine solche Auszeit auch für sich selbst erstrebenswert. Ihre Freunde treffen die Menschen übrigens lieber in Person als virtuell.
Allem Hype um die sozialen Netzwerke zum Trotz: Lediglich 16 Prozent der Befragten findet es erstrebenswert, viele Kontakte auf Facebook oder Xing zu haben. 60 Prozent dagegen wünschen sich "im echten Leben" einen großen Freundeskreis.
 
 

Zeit ist das Wichtigste


Für die Studie hat Diffferent eine repräsentative Stichprobe von rund 2000 Menschen online befragt. Außerdem wurden 30 Interviews mit Unternehmensvorständen und Wissenschaftlern zum Thema Statussymbole geführt.
Ganz hoch im Kurs stehen der Umfrage zufolge die immateriellen Güter. Neun der top zehn Begehrlichkeiten gibt es nicht zu kaufen. Auf Platz eins rangiert die Zeit für sich selbst, die 90 Prozent der Befragten durch alle Altersschichten erstrebenswert finden.
Auch ein "unbefristeter Arbeitsvertrag", "Kinder haben", "eine Ehe führen", "richtig gut kochen können", "stets über die Weltpolitik informiert sein" und "sich ehrenamtlich engagieren" schaffen es auf die vordersten Plätze. Für die Autoren der Studie deutet das darauf hin, dass die Mehrheit der Menschen lieber zur Wissens- und Bewusstseinselite als zur Geldelite gehören möchte.
Diese Bewusstseinseliten indes sind für Unternehmen besonders begehrte Kunden. "Sie sind oft die Vorreiter und Trendsetter der Gesellschaft", sagt Jehmlich. Sie stehen für ihre Werte ein. Das fänden andere Menschen gut und folgten. "Deshalb steht diese Gruppe beim Marketing besonders im Fokus."

Unternehmen reagieren auf Begehrlichkeiten


Das gilt zum Beispiel bei der Deutschen Bahn. Kunden, denen eine nachhaltige Mobilität wichtig ist, hatte der Konzern schon lange. In den vergangenen Jahren allerdings sei ihre Zahl "erheblich gewachsen", berichtet Marketingvorstand Manuel Rehkopf.
Zudem hätten Angehörige der Bewusstseinselite ganz gewichtigen Einfluss: "Dieses Segment ist besonders sprachmächtig und somit ein wichtiger Multiplikator", sagt Rehkopf.
Kein Wunder, dass die Bahn mit einzelnen Aktionen direkt auf diese Gruppe abzielt. Seit April bezieht der Konzern etwa den Strommix für sämtliche Bahncard-Kunden zu 100 Prozent aus regenerativen Energien. Man wolle glaubhaft zeigen, dass man es ernst meine mit der Verantwortung, sagt Rehkopf.
Unter den Top-zehn-Statussymbolen der Diffferent-Rangliste lässt sich tatsächlich nur die Nummer vier mit Geld kaufen: das eigene Haus oder die Eigentumswohnung. Die Immobilie finden 80 Prozent aller Befragten erstrebenswert, unter den Jungen zwischen 18 und 29 Jahren liegt der Anteil sogar bei 84 Prozent.

Jung und konservativ


Überhaupt tendieren die jüngeren Befragten zu konservativen Werten: 77 Prozent – fünf Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt aller Deutschen – möchten eine Ehe führen. Und immerhin noch 59 Prozent finden es erstrebenswert, "einen gepflegten Garten" zu haben.
Noch wichtiger ist es den Jungen allerdings, einen Partner zu finden, den andere Menschen für gut aussehend halten (64 Prozent), und ein Smartphone zu besitzen (68 Prozent).
Bei den Älteren dagegen überwiegt schon der Wunsch, eine Auszeit von diesen elektronischen Geräten zu nehmen. Studienleiter Jehmlich hält das für typisch: "Man muss viele Dinge erst besitzen, um zu bemerken, dass man sie nicht braucht."
So kommt es, dass in einer alternden und immer reicheren Bevölkerung immaterielle Statussymbole immer wichtiger werden. Je älter die Menschen, desto weniger Dinge kaufen sie, um andere damit zu beeindrucken.

Eindruck schinden


Unter den 18- bis 29-Jährigen gaben immerhin noch 42 Prozent zu, dass sie sich etwas leisten, um bei ihren Freunden Eindruck zu schinden. Bei den über 50-Jährigen waren es nur noch 14 Prozent. "Erlebnisse und Services stehen mehr und mehr im Vordergrund", sagt auch Jehmlich.
Das heißt in den Augen des Gesellschaftsforschers aber nicht, dass die Menschen künftig unabhängig werden von materiellen Bedürfnissen. "Immaterielle Statussymbole stehen nicht im Widerspruch zu den Statusklassikern. Zeit zu haben, muss man sich leisten können. Auch Moral kann teuer sein", sagt Jehmlich. "Menschen, die nach Ruhe und Selbstbestimmung streben, landen dann doch oft wieder beim Boot oder dem abgeschiedenen Ferienhaus. Jedes immaterielle Symbol benötigt ein Produkt, in dem es sich manifestiert. Und das ist die Chance fürs Marketing."
Davon ist auch die österreichische Markt- und Motivforscherin Helene Karmazin überzeugt. Der Wunsch nach positiver Unterscheidung sei in unserer Gesellschaft nach wie vor zentral. "Materielle Statuszeichen haben also keineswegs ausgedient – an ihnen kann man eben den Status relativ einfach ablesen, da sie sichtbar sind", sagt Karmazin.
Wirkliche Eliten setzen diese Statuszeichen noch immer ein, "wenn auch mit großem Geschmack". Daneben träten heute die Demonstration von moralischer Gesinnung, Zeitsouveränität oder eines perfekten Körpers. Schwierig an diesen neuen Entwicklungen sei es, solche immateriellen Werte in "beobachtbare Zeichen" zu übersetzen, sagt Karmazin. "Ein Auto ist leicht zu klassifizieren, aber eine moralische Gesinnung?"

Auto ist immer noch Statussymbol


Die Diffferent-Befragung gibt Anhaltspunkte für die neuen und alten Statussymbole. 48 Prozent der Deutschen nennen noch immer das Auto an erster Stelle. Es folgen Computer und Smartphones mit 16 Prozent noch vor Mode, Unterhaltungselektronik, Uhren und Schmuck.
Bei den Marken schafft es der Computer-Riese Apple auf den ersten Platz (mit zwölf Prozent der Nennungen). Unter den Automarken siegt Audi noch vor Mercedes-Benz, BMW und Porsche. Audi-Marketingvorstand Luca de Meo setzt auf die Verbindung von Produkt und Gesinnung.
"Premium-Automobile müssen heute in Nachhaltigkeitsfragen genauso überzeugen, wie sie es bei Sportlichkeit, Komfort und Sicherheit tun", sagt er. Auch er sieht allerdings den eindeutigen Trend, "den Besitz von Gütern mit immateriellen Werten zu verknüpfen". Diese Werte allerdings lassen sich mit Geld eben nicht kaufen.

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