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Saturday, August 3, 2013

Für den Erfolg in einer Karriere ohne Uni

Jahrelang zog es Abiturienten nur an die Universität – deswegen fehlen jetzt tausende ausgebildete Fachkräfte. Wirtschaftsvertreter fordern ein Umdenken – und werben für die Berufsausbildung

Marjon Hopman braucht Leute, die anpacken – doch sie findet keine. Vor zehn Jahren hat sie das 200-jährige Herrenhaus Schloss Basthorst bei Schwerin mit ihrem Mann ersteigert und dann zu einem Hotel mit Golfplatz und Wellnesslandschaft umgebaut.
19 Zimmer und Suiten beherbergt es, ein Restaurant sowie zwei Bars. Das Geschäft läuft gut. Doch Hopmans Personaldecke ist löchrig. Genau sieben Fachkräfte fehlen ihr, für das Restaurant, die Zimmer, die Küche, den Rezeptionsbereich.
Hopman bemüht sich um Nachwuchs: Sie geht in Schulen und wirbt für ihr Hotel, bietet Praktika an, hat ein Lehrlingswohnheim gebaut und Bonusprogramme eingeführt. "Ich finde trotzdem nicht genügend Mitarbeiter", sagt sie.
Nicht nur die Hochqualifizierten werden in Deutschland knapp, sondern auch und vor allem die Fachkräfte mit einem beruflichen Abschluss. Bei Kellnern, Klempnern oder Pflegekräften ist der Engpass größer als bei studierten Vermessungstechnikern, Ärzten oder Mechatronikern

Ganze 119 so genannte Engpassberufe, bei denen die Zahl der Stellenangebote die gemeldete Zahl der Arbeitslosen im Juni übersteigt, hat das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) für die "Welt am Sonntag" definiert. Die "Fachkraft Gastronomieservice", die Hopman sucht, ist auch dabei.

Studium nur für jeden fünften Engpassberuf


Mehr als drei Viertel der Engpassberufe werden von Fachkräften ohne Studium ausgeübt, ergibt die "Engpassanalyse". Davon sind 55 Prozent Berufe, zu denen eine berufliche Ausbildung allein befähigt, 23 Prozent sind sogenannte Spezialistenberufe, die neben der Ausbildung auch Fortbildungen voraussetzen.
Einen Hochschulabschluss braucht man dagegen nur für jeden fünften der Engpassberufe. Die Arbeitgeber kennen das Problem: "Fachkräfteengpässe zeigen sich mehr und mehr auch bei beruflich Qualifizierten.
Vier von zehn Unternehmen, die Stellenbesetzungsprobleme haben, suchen derzeit ohne Erfolg dual ausgebildete Fachkräfte", sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammertages (DIHK).
Gerade in technischen Berufen und im Gesundheitswesen hätten bereits heute viele Unternehmen Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Friedrich Hubert Esser, hält die Lage in vielen Branchen und Berufen bereits für "dramatisch" – im Zuge der demografischen Entwicklung werde sie sich noch verschärfen.
Denn wenn es insgesamt weniger Jugendliche gibt, werden die Azubi-Zahlen wohl kaum steigen. "Das hat vor allem mit dem Imageverlust vieler dieser Berufe zu tun", sagt Esser.

Duale Ausbildung immer weniger beliebt


Dass die derzeit im Ausland so viel gelobte duale Ausbildung in Deutschland eine so geringe Anziehungskraft ausübt, ist eine Entwicklung, die schon vor Jahrzehnten begonnen hat. Seit den 50er-Jahren habe sich die Mittelschicht stetig vergrößert, immer mehr Eltern wollten, dass ihre Kinder Abitur machen und studieren, sagt Friedhelm Pfeiffer, Bildungsexperte vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
"Wenn der Wohlstand steigt, wollen die Eltern mehr Bildung für ihre Kinder." Diese Bildungsexpansion hat sich in der vergangenen Dekade fortgesetzt: Im Jahr 2000 erwarben 37 Prozent der Schulabgänger die Hochschulreife. Heute sind es 50 Prozent. Der Anteil der Schüler, die ein Gymnasium besuchen, statt früh eine Lehre zu beginnen, ist rapide gestiegen.
Zur dualen Ausbildung nach dem Abitur wird den Schulabgängern selten geraten: Die Berufsberatung der Gymnasiallehrer sei vor allem auf akademische Karrieren ausgerichtet und lotse die Abiturienten an die Universitäten, sagt BIBB-Präsident Esser: "Es gibt keine gleichberechtigte Orientierung von Studium und beruflicher Ausbildung."

OECD macht Druck


Dabei spielte auch internationaler Druck eine Rolle: Immer wieder hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisiert, dass es in Deutschland zu wenige Hochschulabsolventen gibt. Wirtschaftsvertreter wie Handwerkspräsident Otto Kentzler regen sich darüber auf: "Wir brauchen beides, berufliche und akademische Bildung. Abi und Studium werden jedoch blind gepusht", kritisiert er.
Doch die Entscheidung, zu studieren, ist nicht irrational: Ein Hochschulabschluss gleicht einer Beschäftigungsgarantie. Eine repräsentative Untersuchung des Instituts für Hochschulforschung (HIS) in Hannover des Prüfungsjahrgangs 2000/2001 ergab, dass nur ein Prozent der Absolventen zehn Jahre nach dem Examen arbeitslos war.
Und die Verdienstmöglichkeiten der Akademiker sind im Durchschnitt wesentlich besser. Vor allem in der Dienstleistungs- und Gesundheitsbranche schrecken niedrige Löhne Azubis ab.
Auch deshalb werden zwischen 2010 und 2030 nur sieben Millionen Menschen in die mittlere Qualifikationsebene des Arbeitsmarkts eintreten, während 11,5 Millionen ausscheiden, wie das BIBB gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berechnet hat.

Wirtschaftsvertreter fordern Umkehr


Bei den Akademikern prognostizieren sie dagegen unterm Strich ein Plus: 3,2 Millionen gehen in den Ruhestand, 4,9 Millionen Menschen mit Universitätsabschluss kommen neu hinzu. Die Institute gehen davon aus, dass der Bedarf an Fachkräften mit speziellen beruflichen Qualifikationen höher als das Angebot bleibt.
Angesichts dieser düsteren Perspektive fordern Wirtschaftsvertreter nun eine Umkehr von der einseitigen Werbung für die akademische Karriere. "Viele Schulabgänger treffen Entscheidungen für den weiteren Lebensweg, ohne die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten zu kennen", sagt DIHK-Vize Dercks. "Dadurch gehen auch solche Schulabgänger beispielsweise zur Uni, die in einem dualen Beruf bessere Karrierechancen hätten."
Unterstützung bekommen die Wirtschaftsvertreter inzwischen auch von der OECD: Am deutschen Arbeitsmarkt hätten berufliche Qualifikationen einen "ebenso hohen Stellenwert wie andere Bildungsabschlüsse", heißt es im jüngsten OECD-Bildungsreport.
Wer sich spezialisiere und fortbilde, der könne auch mit einer beruflichen Qualifikation gut verdienen, argumentiert das BIBB. Zwar verdienen Akademiker im Durchschnitt rund 160 Prozent des Einkommens von Beschäftigten mit Berufsausbildung – doch diese Lücke könne durch eine Fortbildung zum Meister, Techniker oder Fachwirt "deutlich reduziert werden".

Beim Verdienst können Fachleute aufholen


So verdienten Männer mit Abitur, Berufsausbildung und Fortbildungsabschluss rund 130 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens aller männlicher Erwerbstätigen mit Berufsausbildung, ergab eine Befragung des BIBB.
Marjon Hopman auf Schloss Basthorst versucht, Mitarbeiter mit Aufstiegsperspektiven zu locken. Die Bezahlung ist in der Gastronomie nicht üppig – ein Kellner kann je nach Erfahrung auf 1000 bis 1400 Euro netto kommen.
Hopman beteuert aber, dass die Aufstiegschancen gut seien: "Wer motiviert ist und ein paar Jahre Erfahrung hat, kann auch Restaurantmanager werden." Die Hotelchefin versucht, die Jobs dadurch attraktiv zu machen, dass ihre Angestellten viel Verantwortung tragen und mitgestalten dürfen, die Hierarchien seien flach. "Das ist das Allerwichtigste", glaubt sie.
Das weiß auch Marc Staiger, Geschäftsführender Gesellschafter beim Ventilhersteller Staiger bei Stuttgart. Er tut sich schwer, gute Industriemechaniker zu finden – auch einer der Engpassberufe.

Arbeit attraktiver machen


Staiger wirbt mit einem "guten, partnerschaftlichen Arbeitsklima eines Familienunternehmens" und einem "guten Gesundheitsmanagement". Das Unternehmen beteilige sich an der Mitgliedschaft im Fitnesscenter, und ein Physiotherapeut gibt vor Ort Ratschläge zur idealen Körperhaltung bei der Arbeit.
Fachkräfte dürfen den Arbeitsalltag mitgestalten, indem sie ihre eigenen Schichtpläne anpassen und Prozesse optimieren. Die Herausforderung sei, die Leute zu halten, sagt Staiger. Viele seien nicht zufrieden als Facharbeiter, wollten weiterkommen.
Er finanziert manchen deshalb sogar die Meisterausbildung. An der Gehaltsschraube will er jedoch nicht drehen: "Geld ist nur ein Faktor von vielen, allein damit kann man seine Mitarbeiter nicht langfristig binden."
Große Unternehmen wie BMW bieten ihren Azubis mit Abitur sogar an, ihnen ein Studium parallel zur Ausbildung zu absolvieren. Auch die Verbände engagieren sich: Um motivierte Abiturienten in die duale Ausbildung zu holen, setzen die Handwerkskammern bundesweit systematisch darauf, Studienabbrecher anzuwerben, indem sie ihnen etwa verkürzte Ausbildungszeiten anbieten.
Heike Solga, Bildungsexpertin vom Wissenschaftszentrum Berlin, sieht diese Flexibilisierung und Öffnung der dualen Ausbildung als richtigen Weg, um dem Mangel an Facharbeitern zu begegnen. Sie warnt jedoch davor, junge Leute vom Studium abzuhalten. "Die Wirtschaft braucht auch weiterhin die Hochschulabsolventen", sagt sie.

Mitarbeiter nachqualifizieren


Die Berufsausbildung attraktiver zu machen, um die Abiturienten anzuwerben, ist ein Weg. Doch Solga zufolge müssen die Unternehmen sich auch damit abfinden, Facharbeiterstellen mit den Leuten zu besetzen, die keinen oder nur einen schlechten Schul- oder Ausbildungsabschluss haben.
Das heißt aber auch, dass sie diese Mitarbeiter nachqualifizieren müssen. Bundesweit ist laut BIBB dazu nur jede fünfte Firma bereit. Nachschulungen seien teuer für die Unternehmen, sagt Solga.
"Man sollte daher Betriebe bei der Integration dieser Jugendlichen unterstützen", sagt Solga. Mittelständler Staiger besetzt seine Stellen bereits öfter mit Leuten, die formal nicht so gut ausgebildet, aber motiviert sind – und investiert auch ohne Förderung in ihre Qualifizierung.
Um den Fachkräftemangel nicht zur Wachstumsbremse werden zu lassen, hält der DIHK außerdem die Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmer für notwendig. Die Öffnung kommt spät: Erst vor einem Monat ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Zuwanderung für beruflich Ausgebildete aus Nicht-EU-Staaten erleichtert.
Die "Blue Card" für Hochqualifizierte gibt es dagegen schon seit einem Jahr. Auch Staiger sieht Zuwanderer als Option – doch noch hat er Zweifel, ob sich ausländische Mitarbeiter in einem schwäbischen Dorf integrieren lassen. "Wir haben keine Berührungsängste, aber wir sind hier auf dem Land", sagt er. Trotzdem: "Versuchen würde ich es."
 

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