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Monday, July 22, 2013

Deutschland hat ein Problem der Asylpolitik neuen Schüler

Ein Trend verstärkt sich: Die Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt um 90 Prozent. Demnächst kommen 5000 Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg. Doch noch weiß keiner, wo sie unterkommen

"Für einen Arzt bist du aber sehr schüchtern, Kamal," lacht Mageda Abou-Khalil. Vorsichtiger Händedruck, leise Stimme. Kamal ist 26, Syrer und vor drei Monaten im Übergangswohnheim für Flüchtlinge an der Eduard-Grunow-Straße in Bremen angekommen. Das Heim unter Leitung von Mageda Abou-Khalil wurde erst Mitte April eröffnet, es verströmt noch den Geruch neuer Räume. Große Fenster, weiß verputzte Wände, warmer Holzboden. Eigentlich sollte aus dem vierstöckigen Gebäude ein Hostel werden, doch angesichts der vielen fehlenden Plätze zur Unterbringung von Asylsuchenden entschied sich die Stadt anders.
Nun wohnen 50 Menschen aus Iran, Afghanistan, Nigeria und Syrien hier. Man kann dieses Heim als einen Glücksfall bezeichnen. Zwar ist auch hier, wie in ganz Deutschland, der Platz knapp, aber die Zimmer sind größer als vorgeschrieben, die Atmosphäre freundlich.
Mageda Abou-Khalil, die noch ein zweites Heim in Bremen leitet und als junge Frau aus dem Libanon nach Deutschland kam, vermittelt Deutsch-Kurse, macht Behördengänge und hilft bei der Wohnungssuche. Nur, es gibt in Bremen keine Wohnungen. Kaum für Normalbürger, noch weniger für Menschen wie Kamal.

1,8 Millionen Syrer auf der Flucht


Er bewohnt ein kleines Zimmer. Zehn Quadratmeter mit Bett, Tisch, Kühlschrank, Fernseher und Bad. Keine Bilder, keine persönlichen Erinnerungsstücke. "Er fühlt sich einsam hier", erzählt Mageda Abou-Khalil, die für alle Bewohner die erste Ansprechpartnerin und oft einzige Zuhörerin und Psychologin ist.
Jetzt übersetzt sie, was Kamal auf arabisch erzählt. Kamal hat in Syrien als Arzt gearbeitet, und sein Fehler war es, ärztliche Neutralität zu wahren. Er behandelte Oppositionelle wie Regierungstreue. Dann kamen die Morddrohungen, von beiden Seiten, und Kamal floh mit seinen Eltern und den sieben Geschwistern in die kurdischen Gebiete Syriens. Von dort gelangte er alleine nach Deutschland. Seine Familie blieb.
Seit Beginn des Bürgerkriegs sind so wie Kamal Tausende syrische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Ende März versprach Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dann, Deutschland werde ein Kontingent von 5000 syrischen Flüchtlingen aufnehmen. Die ersten sind bereits da, die Mehrheit folgt in den nächsten Wochen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind bereits rund 1,8 Millionen Syrer in die Nachbarländer geflohen, vor allem nach Jordanien, in den Libanon und die Türkei sowie den kurdischen Nord-Irak.

Libanon erstickt unter der Last


Dabei steht nur ein Teil der Menschen einer Auswahl für das deutsche Aufnahme-Programm zur Verfügung. Denn zum einen können längst nicht alle 1,8 Millionen Menschen durch das UNHCR erfasst werden, da viele informell über die Grenzen kamen und nun bei Verwandten oder in rasch angemieteten Wohnungen und Behelfsunterkünften leben.
Zum anderen will sich Deutschland nach Angaben des Innenministeriums auf Flüchtlinge konzentrieren, die derzeit im Libanon leben. Denn das Land, halb so groß wie Hessen, droht unter der Last der Bürgerkriegsflüchtlinge zu ersticken.
Offiziell registriert sind im Libanon – Stand 31. März 2013 – rund 509.000 Flüchtlinge, das libanesische Innenministerium vermutet, dass es doppelt so viele Menschen sind. Und die meisten von ihnen hatten nicht vor, eine Reise nach Europa zu unternehmen, sondern planten, irgendwann nach Syrien zurückzukehren.

1600 Menschen für den Wiederaufbau


Deutschland als Ziel kam meist nur bei denen infrage, die hier Verwandte haben. Daher forderten Flüchtlingshilfswerke, dass man die Menschen nicht im Rahmen eines formellen und auf Dauer angelegten Kontingent-Programms holen sollte, sondern es ihnen durch eine Lockerung der Visa-Bestimmungen erleichtern sollte, für einige Zeit nach Deutschland zu reisen. Auf diesem Wege sind einige tausend Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen.
Doch schon weil ein Ende des Bürgerkriegs gar nicht absehbar ist, sollen nun auch Menschen im Rahmen des formellen Kontingent-Programms für längere Zeit nach Deutschland kommen. Neben Schwerverletzten sowie Kleinkindern und Müttern will die Bundesregierung besonders solche Menschen berücksichtigen, die wegen ihres Bildungsstands oder ihres politischen Engagements einen Beitrag für einen Wiederaufbau des Landes leisten können. Rund 1600 Personen aus dieser Gruppe will Deutschland aufnehmen.

Höhere Akzeptanz in der Bevölkerung


In den Bundesländern ist man skeptisch. "Wer kann bei der Auswahl prüfen, ob diese Menschen auch tatsächlich wieder zurück gehen werden und wollen? Außerdem wird das humanitäre Kontingent dadurch geschmälert", heißt es aus einem Landesministerium. Doch man kann darin auch eine Chance sehen. "Es ist zumindest ein interessanter Ansatz, der auch bei der Bevölkerung die Akzeptanz erhöhen könnte", sagt Evelyn Jäger, Referatsleiterin für die Aufnahme und Integration von Migranten in Schleswig-Holstein.
Eine Auswahl nach Bildungsstand würde auch bedeuten, dass Christen überproportional vertreten wären. Zwar beträgt ihr Anteil an der syrischen Gesamtbevölkerung nur 8,5 Prozent, doch unter den Flüchtlingen scheinen sie stärker vertreten zu sein. Hinzukommt, dass Christen in Syrien eher der Mittel- und Oberschicht angehören, sodass sie dem Bildungskriterium eher gerecht werden könnten.

Ein Anstieg der Asylanträge um 90 Prozent


Aber wohin mit diesen Flüchtlingen? Egal in welches Bundesland man blickt, überall sind die Flüchtlingsheime überfüllt oder hangeln sich an der Kapazitätsgrenze entlang. Und die Zahl der Asylanträge steigt immer weiter. Bis Ende Juni dieses Jahres wurden in Deutschland rund 43.000 Asylanträge gestellt. Im Vorjahr waren es zum gleichen Zeitpunkt knapp 22.500. Das ist ein Anstieg um rund 90 Prozent.
Und diese Zahl beinhaltet nicht die Flüchtlinge aus sogenannten Resettlement-Programmen, die Deutschland aus Drittstaaten aufnimmt, so wie die 99 Iraker, die in der letzten Woche aus der Türkei in Hannover ankamen. Auch die 5000 Syrer werden nicht mit eingerechnet, da sie direkt einen Aufenthaltsstatus erhalten und theoretisch sofort in Deutschland arbeiten könnten.
Den größten Teil der Asyl-Antragsteller bilden Menschen aus Russland, viele von ihnen aus Tschetschenien. Der starke Zustrom aus dieser Region wurde wahrscheinlich durch Gerüchte ausgelöst, die sich in der Nordkaukasischen Republik verbreiten. Man erzählt sich dort, Deutschland sei bereit, 40.000 Tschetschenen aufzunehmen. "In einigen Dörfern verkaufen ganze Straßen ihr ganzes Vermögen, um die Schlepper zu bezahlen", sagt Swetlana Gannuschkina, Leiterin der Nichtregierungsorganisation "Bürgerlicher Beistand".

Die Hoffnung, aufgenommen zu werden


Swetlana Gannuschkina vermutet, dass die Schlepper die Gerüchte verbreiten könnten. Dass die Menschen so leicht die Lügen glauben, hänge aber vor allem mit der Aussichtslosigkeit der Situation zusammen. Mit der fehlenden Rechtsstaatlichkeit und der Willkür des Präsidenten Ramsan Kadyrow.
"Die Situation erinnert an die schlimmsten Stalin-Zeiten", sagt Gannuschkina. Menschen werden entführt und ermordet, es gebe aber keine Ermittlungen in den Fällen. Die Verwandten von Opfern wenden sich aus Angst nicht an die Staatsanwaltschaft und nur selten an Menschenrechtler. "Die Menschen fliehen und sind bereit, an alles zu glauben, was ihnen die Hoffnung gibt, aufgenommen zu werden."
Diese Hoffnung wird in Deutschland dann zu einer Zahl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wagt eine Prognose für die Zahl der Asylanträge: "Wir rechnen damit, dass die 100.000-Marke in diesem Jahr überschritten wird", sagt Christiane Germann vom BAMF.
Bei dem chronischen Mangel an Plätzen, könnte diese Entwicklung katastrophal sein. "Wir haben ein ganz grundsätzliches Problem mit der Unterbringung von Flüchtlingen in ganz Deutschland", sagt David Lukaßen von der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen in Bremen. Nach den 90er Jahren sei die Zahl der Flüchtlinge so stark zurückgegangen, dass Heime leer standen. "Leere Heime muss man natürlich rechtfertigen. Also wurden sie mangels Bedarf geschlossen."
Und heute suchen die Länder händeringend nach Lösungen zur Unterbringung. Das können Zelte oder Wohncontainer sein. Wer es dann wie Kamal in ein Wohnheim wie das in Bremen schafft hat großes Glück, sofern Glück hier überhaupt eine Kategorie sein kann. Wo die 5000 Flüchtlinge in einigen Wochen unterkommen sollen, weiß bis jetzt noch niemand so recht.

Mitarbeit: Julia Smirnova

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