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Wednesday, July 10, 2013

Eigenkapital hektischen Attribute

Vom verhasstesten und verspotteten Politiker hat es Außenminister Guido Westerwelle mittlerweile zum Staatsmann und zum neuen Liebling des Volkes gebracht. Wie konnte das nur geschehen?


Wenn Totgesagte länger leben, so muss es mit Totgeschriebenen noch schneller gehen. In der jüngeren Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik gab es kaum einen Politiker, der mit mehr Häme, Verachtung und Herablassung behandelt wurde als Guido Westerwelle. Als Oppositionsführer zu Zeiten der großen Koalition spitzte der damalige FDP-Chef zu, was der Werkzeugkasten des liberalen Polemikers zuließ, und legte sich mit dem neoetatistischen Establishment an.
Die Profiteure des Wohlfahrtsstaates, die Sozialindustrie und auch die ehrenamtlichen Genossen, die in den Medien für den Überbau zuständig waren, kochten. Doch Westerwelles FDP stellte sich unbeeindruckt gegen den Mainstream. Die Wähler gaben dem Protest ein beeindruckendes Votum: 14,6 Prozent. Ein spektakuläres Ergebnis.
Was danach folgte, war ein beispielloser Abstieg. Dieser bildete sich nicht nur in Umfragen ab, sondern im Sound der Entwertung, mit dem über den FDP-Politiker hergezogen wurde. Zur Herausforderung des neuen Amtes kam die Unsicherheit hinzu. Westerwelle scheiterte an seiner Rolle als Vizekanzler und fand wenig Zugang zum Amt des Außenministers.

Die Partei wurde nervös, dann kopflos


Im Herzen blieb er Oppositioneller. Und da er sein Herz auf der Zunge trug, blieb das kaum einem Bundesbürger, der es wissen wollte, verborgen. Die Partei wurde nervös, dann kopflos, dann aktionistisch, und schließlich trat Westerwelle als Vorsitzender zurück. Die Art von Spott, mit der dies im Blätterwald – von der Blogosphäre und den sozialen Netzwerken ganz zu schweigen – kommentiert wurde, deutete an, wie sehr der angriffslustige Rheinländer das sozialreligiöse Zentralnervensystem der Bundesrepublik verletzt hatte. An ihm wurde Rache genommen – auch dafür, dass er es gewagt hatte, im Geiste der schröderschen Hartz-IV-Reformen weiterzudenken.
Irgendwann hörten die geifernden Kommentare und Karikaturen auf. Es war keine Galle mehr da. Westerwelle, so waren sich heimliche und offene Antiliberale sicher, war erledigt. Ein "dead man walking". Ein Stück Vergangenheit, das bald aus dem Regierungsbetrieb verschwunden sein würde. Die Umfragewerte für Schwarz-Gelb ließen jede Hoffnung auf eine zweite Legislatur absurd erscheinen.
Das war Westerwelles Chance. Die wichtigsten Qualitätsanforderungen an einen Politiker in dieser Berliner Republik sind Beharrungsvermögen, was Psychologen als Persistenz beschreiben, und Unerschütterlichkeit, was die Stoiker Ataraxie nennen. Wer an den Anfeindungen aus innerer Stärke nicht zerbricht, qualifiziert sich für ein Comeback – ein wenig wie bei Heidi Klums Modelshow.

Das einstige Leichtgewicht wandelt sich


Vorbildlich rehabilitiert wird der Außenminister im Augenblick von den linksliberalen Medien. Ein sensibles Porträt im "Magazin der Süddeutschen Zeitung" auf sechs Seiten gab Ende Juni den Ton an. Das einstige Leichtgewicht Guido Westerwelle habe sich, so die Magazinmacher, zum seriösen Staatsmann gewandelt: "Kommt gut an, im Ausland wie zu Hause. Nur die Freunde in seiner angeschlagenen Partei sehnen sich nach den alten Zeiten, als Westerwelle der meistgehasste Politiker war."
Nun folgt der "Stern" mit einem Interview, dessen Inszenierung einzigartigen Pomp aufbietet. Im Zentrum der Rotunde des Alten Museums in Berlin, umgeben von antiken Skulpturen, in einem Meer von Marmor steht der Außenminister da und blickt kühn in die Kamera. "Allein mit den Göttern" verspricht die Überschrift. Es folgt ein Interview des Chefredakteurs, in dem Westerwelle kaum sympathischer wegkommen könnte.

Comeback als Wiedergutmachung


Das deckt sich mit den jüngsten Umfragewerten, nach denen der Außenminister es zum drittbeliebtesten Politiker des Landes gebracht hat. Das Comeback hat Züge einer hektischen Wiedergutmachung mit einem Politiker, dessen Fehler ins Monströse überhöht wurden, während seine Leistungen gerne ignoriert oder kleingeredet wurden. Besorgniserregend daran sind nur die Amplituden der Ausschläge in die eine wie die andere Richtung. Dies hat zwei Gründe.
Westerwelle ist Liberaler, etwas, das stets für maximales Misstrauen sorgt. Zweitens: Westerwelle steht für den Typus bürgerlicher Schwuler, der von den linken Schwulenlobbys genauso skeptisch beäugt wird wie von einigen Parteigängern ranzigen Ressentiments. Beides zusammen hat Westerwelle zu einer Provokation gemacht – auch weil er nie klein beigegeben hat. Die Früchte dieser Unbeugsamkeit genießt er heute. Er macht wieder Witze.
Im Interview mit dem "Stern" nennt er die Homophoben eine "schrille Minderheit", ein lässiger Konter gegen CSU-General Alexander Dobrindt, der mit diesem Ausdruck die Anhänger der Homo-Ehe diffamieren wollte. Westerwelle ist ein Lehrstück über den Wankelmut des politischen Betriebs und über die oft groteske Sehnsucht, auf Verklärungen Dämonisierungen folgen zu lassen und umgekehrt. Wer soll das noch ernst nehmen?
 

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