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Wednesday, June 11, 2014

Macht die Legitimität der modernen Sklaverei

Er hat Kisten geschleppt und Kühlschränke, drei Monate für eine Umzugsfirma gearbeitet. Keinen Cent hat der Flüchtling aus Ghana bis heute dafür gesehen. „Du bist ja illegal“, haben sie ihm gesagt. Vielen ist es in Deutschland so ergangen. Ist das Zufall oder System? 

Die Beweise sind auf seinem Smartphone gespeichert, und Isaac gefällt es, das zerkratzte Plastikteil aus seiner Hosentasche zu ziehen, mit dem Finger von einem Bild zum nächsten zu wischen. Da sind: der weiße Küchenschrank. Ein Schreibtisch. Der Bauernschrank mit der feinen Maserung und den Zierleisten, da war er beim Aufbauen sehr vorsichtig, sagt Isaac, damit nichts zerschrammte. Dann wieder ein Tisch, ein Bücherregal, der nächste Schrank. Das Doppelbett ist erst zur Hälfte aufgebaut. Es zusammenzusetzen habe Stunden gedauert, das Holz war alt und verzogen.
Es gibt auf Isaacs Smartphone auch Bilder, die ihn auf dem Beifahrersitz eines weißen Sprinters zeigen.

Er trägt ein verschwitztes Shirt, hat dicke Tropfen auf der Stirn, und er grinst. Auf dem Foto wirkt Isaac wie einer, der gerade im Sommerurlaub ist, den Moment für später mit einem Schnappschuss festhalten möchte. Genau das ist der Grund, warum er die Bilder aufgenommen hat. Nicht als Absicherung, um hinterher beweisen zu können, dass er tatsächlich gearbeitet hat. Sondern als Erinnerung, sollte er abgeschoben werden. Im Herbst könnte es so weit sein. Wahrscheinlich zurück nach Italien, woher er eingereist ist. Da hat er auch schon Möbel aufgebaut.
Die ganzen Bilder sind im Sommer 2013 entstanden, als Isaac erlebte, was in Berlin vielen Flüchtlingen widerfährt: für schwarze, aber geleistete Arbeit nicht bezahlt zu werden. Volle drei Monate hat er für ein kleines Berliner Umzugsunternehmen auch Kisten und Kühlschränke Treppen hoch- und runtergeschleppt, davon hat er aber keine Bilder, Isaac fotografiert nur, woran er sich später erinnern möchte. Sieben Euro pro Stunde hatte der Deutsche ihm versprochen, an manchen Tagen durfte er zehn Stunden arbeiten, an anderen gar nicht. Als es nach Ende des ersten Monats kein Geld gab, beruhigte ihn der Deutsche, er müsse sich erst einen Trick einfallen lassen, Isaac das Geld offiziell auszuzahlen, Isaac dürfe ja schließlich als Ghanaer nicht in Deutschland arbeiten. Aber kein Problem, versprach der Mann, wir sind beide auf derselben Seite, ich will dir helfen.

Jetzt sitzt Isaac auf einem metallenen Kinderstuhl vor einem verdreckten Kindertisch auf einem Spielplatz in Marienfelde. Isaac ist einer der Flüchtlinge, die nach Auflösung des Camps am Oranienplatz zunächst im Übergangslager an der Marienfelder Allee untergebracht wurden. Man würde gern viel mehr über Isaac erzählen, zum Beispiel von den tiefen Fleischwunden, die er sich bei seiner Flucht aus Libyen zugezogen hat und die ihm das Kistenschleppen für den Deutschen im letzten Sommer schwer gemacht haben. Aber das geht nicht, weil Isaac auf keinen Fall will, dass Behörden ihn erkennen. Deshalb hat er sich für das Treffen mit dem Reporter den Namen Isaac ausgesucht, deshalb will er nur sagen, dass er ungefähr 40 Jahre alt ist.
Als Isaac nach dem zweiten Monat noch immer kein Geld sah, behauptete der Arbeitgeber, dass wohl der Buchhaltung ein Fehler unterlaufen sein müsse. Doch kein Problem, sagte er wieder, jede geleistete Stunde werde ja notiert und anschließend im Computer gespeichert.



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